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Funktionelle und ernährungsphysiologische Eigenschaften von Zellwandpolymeren

Vielfältige Polymere

Zellwände sind für die Pflanze von mannigfacher Bedeutung. Sie legen Form und ­Größe der Zelle fest und verleihen dieser mechanische Stabilität. Daneben schützen Zellwände die Zelle vor pflanzenpathogenen Pilzen und Bakterien sowie vor Insekten. Die pflanzliche Zellwand ist ein hoch komplexes, im Detail oft unzureichend ­verstandenes Gebilde, das überwiegend aus Polysacchariden, (Struktur-)Proteinen und polyphenolischen Verbindungen besteht – Polymere, die nicht nur in der Pflanze sondern auch im Lebensmittel wichtige Funktionen übernehmen.

Die Zellwand beinhaltet verschiedene Schichten. Die Mittellamelle sowie die aufgelagerte Primärzellwand stellen die Zellwandschichten noch wachsender Zellwände dar, wohingegen ausdifferenzierte Zellen eine Sekundärwand auflagern. Die Zusammensetzung der verschiedenen Zellwandschichten ist sehr heterogen. Daneben ist die Zusammensetzung der Zellwände stark abhängig von der betrachteten Pflanze, dem betrachteten Gewebe sowie dem Entwicklungszustand des Gewebes. Mittellamellen bestehen überwiegend aus Pektinen, Primärzellwände aus Pektinen, Hemicellulosen und Cellulose. Pektine sind die wahrscheinlich komplexesten Polymere, die die Natur bereithält. Ihre Feinstruktur sowie die Interaktionen der verschiedenen, die Pektine aufbauenden Polysaccharide sind nur unzulänglich verstanden. Hemicellulosen, die historisch darüber definiert wurden, dass sie unter alkalischen Bedingungen aus der Zellwand herausgelöst werden können, sind eine große Gruppe strukturell unterschiedlicher Polysaccharide (z.B. Arabinoxylane, ­Xyloglucane, Mannane etc.). In dikotylen Pflanzen (zu denen u.a. auch die Pseudocerealien Amaranth, Quinoa und Buchweizen gehören) dominieren normalerweise Xyloglucane die Hemicellulosefraktion, wohingegen in den mono­kotylen Getreiden Arabinoxylane vorherrschen.

Veränderungen der Zellwand während der Reifung sowie in Nachernteprozessen

Die Zusammensetzung, die Feinstrukturen sowie Interaktionen und somit die physikochemischen Eigenschaften der Zellwandpolymere erfahren weitgehende Veränderungen im Verlauf der Reifung von Obst und Gemüse. Zellwandveränderungen werden jedoch nicht mit der Ernte der Früchte eingestellt, sondern können auch während der Lagerung zu sensorischen Merkmalen führen, die für die Mehrheit der Verbraucher nicht akzeptabel sind. Was ist auf molekularer Zellwandebene dafür verantwortlich, dass sich eine unreife, harte Frucht über einen perfekt texturierten Zustand schließlich zu einer überreifen, mehligen und weichen Frucht ent­wickelt? Weshalb kann man z.B. Spargel nur bedingt im Kühlschrank lagern, bevor er eine feste und faserige Textur bekommt? An diesen Vorgängen sind vielfältige Transformationen pflanzlicher Inhaltsstoffe beteiligt, wobei der Zellwand eine entscheidende Rolle zukommt. So konnte z.B. im Apfel beobachtet werden, dass pektinassoziierte Galaktane im Verlauf der Reifung abgebaut werden, wohingegen ein ­selektiver Abbau von hoch verzweigten Arabinanen nach der Reifung dominiert [1]. Derart selektive Veränderungen an Zellwandpolysacchariden können wir auch in unseren eigenen Untersuchungen anhand verschiedener Gemüse detektieren. Der Abbau spezifischer Zellwandkomponenten bzw. die chemische Veränderung an Esterstrukturen dieser Polysaccharide, insbesondere der Pektinkomponenten, kann unter anderem zum Verlust der Zell-Zell-Adhäsion führen, was z.B. mit dem Mehligwerden von Äpfeln assoziiert wird [2]. Es wurde vorgeschlagen, dass aufgrund der mangelnden Zellad­hä­sion die Zellen beim Kauen gegeneinander abrutschen und nicht aufgerissen werden.

Eine mögliche Einlagerung von Lignin in Zellwände während der Reifung bzw. der Lagerung von pflanzlichen Lebensmitteln führt zu sensorisch unerwünschten Eigenschaften. So wird z.B. bei Spargel mit zunehmender Lagerdauer Lignin in die Zellwand eingelagert (Abb.1), wobei sich auch die Ligninstrukturen im Vergleich zum frischen Spargel verändern. Ähnliche Veränderungen konnten wir auch bei der Lagerung von Brokkoli beobachten.


Abb.1 Dreidimensionale Darstellung eines Ausschnittes aus dem NMR-Spektrum (HSQC-Experiment) von Lignin, das aus Spargel isoliert wurde, der nach der Ernte für drei Tage bei 20°C gelagert wurde. Durch Volumenintegration geeigneter Korrelationssignale kann die Monolignolzusammensetzung des Lignins bestimmt werden.

Neben der Neubildung und der Veränderung bestehender Polymerstrukturen werden die physikochemischen Eigenschaften der Zellwände im Verlauf der Reifung und der Lagerung auch durch die Verknüpfung der Zellwandpolymere verändert, wobei Polysaccharide untereinander, aber auch mit Lignin und eventuell an Strukturproteine gekoppelt werden können. Obgleich experimentell bislang nicht bewiesen, nimmt man an, dass Uronsäuren als Bestandteile bestimmter Zellwandpolysaccharide Esterbindun­gen mit den Hydroxylgruppen anderer Polysaccharidmonomere ausbilden können. Darüber hinaus können polysaccharidgebundene phenolische Verbindungen wie die Ferulasäure oder die Sinapinsäure über Oligomerisierung Zellwandpolysaccharide untereinander oder auch an Lignin und eventuell Proteine koppeln [3]. Für die Pflanze ist dieser Prozess aufgrund der damit einhergehenden Zellwandstabilisierung von Vorteil, für die sensorische Qualität der pflanzlichen Gewebe ist diese Quervernetzung unterschiedlich zu beurteilen. Während es möglich ist, dass die Verknüpfung von Zellwand­polymeren zu einer festeren Struktur und somit einer oft unerwünschten Textur von Gemüse beiträgt, können derartige Veränderungen auch zu einer durchaus erwünschten Kochstabilität bestimmter pflanzlicher Produkte führen, z.B. im Rahmen der Konservenherstellung.

Zellwandbestandteile als Ballaststoffe

Die Definition von Ballaststoffen ist seit Jahrzehnten Gegenstand reger Diskussionen. Unstrittig ist jedoch, dass die Polysaccharide der pflanzlichen Zellwand zum Ballaststoffkomplex gehören. Ebenso wird gemäß der Codex-­Alimentarius-Definition in die Zellwand integriertes Lignin zu den Ballaststoffen gerechnet. Für Ballaststoffe werden generell ernährungsphysiologisch positive Wirkungen angenommen, wobei sich jedoch die Studienlage bezüglich vieler postulierter Wirkungen sehr heterogen darstellt. Dies ist zumindest teilweise darin begründet, dass in solchen Studien häufig nur die Ballaststoffmenge, aber weniger die Ballaststoff­zusammensetzung Berücksichtigung findet. ­Allein die im Ballaststoffkomplex vorkommen­den Polysaccharide weisen jedoch eine enorme strukturelle Vielfalt auf. Die Annahme, dass diese Polymere mit unterschiedlichsten physikochemi­schen Eigenschaften die gleichen bzw. vergleichbare ernährungsphysiologische Eigenschaften aufweisen, ist nicht nachvollziehbar. Auch die häufig getroffene Einteilung in lösliche und ­unlösliche Ballaststoffe oder Ballaststoffe aus Getreide, Obst oder Gemüse ist eine starke Vereinfachung, die wahrscheinlich zu der uneinheitlichen Datenlage bezüglich der ernährungsphysiologischen Eigenschaften von Ballast­stoffen beiträgt. In eigenen Studien konnten wir z.B. zeigen, dass durch eine minimale strukturelle Veränderung, die Verknüpfung von Arabinoxylanen über oligomere Ferulasäuren, die physikochemischen und ernährungsphysiologi­schen Eigenschaften von aus Maiskleie isolierten Arabinoxylanen stark verändert werden können. Zuvor lösliche Arabinoxylane bildeten Gele aus, und in einer Fütterungsstudie mit ­Ratten wurde gezeigt, dass diese verknüpften Arabinoxylane in der Lage sind, den postprandialen Blutzuckerspiegel im Vergleich zu den nicht verknüpften Arabinoxylanen erheblich zu senken [4].

Die mikrobielle Fermentation von Ballaststoffpolysacchariden im Dickdarm ist wahrscheinlich für zahlreiche potenzielle ernährungsphysiologische Eigenschaften von Bedeutung. Ob und wie schnell die Zellwandpolysaccharide von der Darmmikrobiota metabolisiert werden, ist jedoch von der Feinstruktur der Poly­saccharide abhängig. Bestimmte Struktureinheiten können von den Enzymen der Darmmikrobiota nicht oder nur langsam angegriffen werden. Auch die Interaktionen der Polysaccharide mit anderen Zellwandpolymeren, z.B. Lignin, können deren mikrobielle Abbaubarkeit beeinflussen, wie wir in In-vitro-Versuchen gezeigt haben [5].

Dem phenolischen Polymer Lignin kommt im Ballaststoffkomplex wahrscheinlich eine weitere wichtige Funktion zu. So konnten wir z.B. in In-vitro-Experimenten zeigen, dass ­Lignin heterozyklische aromatische Amine, die bei der Erhitzung bestimmter Lebensmittel gebildet werden können und teilweise mutagene Eigenschaften aufweisen, adsorbiert und so möglicherweise deren Absorption im Dünndarm unterbindet – eine Eigenschaft, die für die potenziell krebspräventiven Eigenschaften bestimmter Ballaststofftypen von Interesse sein könnte [6].

Literatur
[1] Pena, M. J. & Carpita, N. C. (2004) Plant Physiol. 135, 130–1313
[2] Segonne, S. M. et al. (2014) BMC Plant Biol. 14, 375/1–375/18, 18 pp
[3] Bunzel, M. (2010) Phytochem. Rev. 9, 47–64
[4] Vogel, B. et al. (2012) J. Agric. Food Chem. 60, 3847–3852
[5] Funk, C. et al. (2007) Mutat. Res. 624, 41–48
[6] Funk, C. et al. (2006) J. Agric. Food Chem. 54, 1860–1867

Foto: © fotolia.com | vege, © istockphoto.com | jrroman

L&M 6 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 6 / 2015.
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