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Notizen zur Geschichte der Chemie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Notizen zur Geschichte der Chemie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Weltruhm, Weltkriege und Nobelpreise

Die Chemie in Karlsruhe kann auf eine lange Tradition zurückblicken, die mit der Gründung der Universität am 7. Oktober 1825 als „Großherzogliche Badische Polytechnische Schule zu Karlsruhe“ nach dem Vorbild der École Polytechnique in Paris begann [1].

Die Einrichtung erlangte in kurzer Zeit einen sehr guten Ruf und wurde vom ersten Präsidenten des MIT, William Barton Rogers (1804–1882), als „model school of Germany and perhaps of Europe“ bezeichnet [2]. Vorläuferinstitutionen waren die Bauschule von Friedrich Weinbrennner (1766–1826) und die Ingenieurschule von Johann Gottfried Tulla (1770–1828). Bereits im Gründungsjahr wurde Friedrich August Walchner (1799–1865), in Freiburg Professor für Mineralogie, Geognosie und Chemie, in das zwölfköpfige Lehrerkollegium berufen. Er übernahm die Lehre in den Fächern Chemie und chemische Technologie. 1841 erhielt auch Carl Weltzien (1813–1870) einen Lehrauftrag am Polytechnikum. Weltzien, der ab 1850 die Leitung der chemischen Abteilung innehatte, kann als Begründer der Chemie in Karlsruhe gelten, denn er baute das Gebiet aus und brachte den Lehrbetrieb auf einen modernen Stand. 1851 wurde auf sein Betreiben hin ein neues chemisches Laboratorium nördlich des heutigen Ehrenhofes nach dem Vorbild des Labors von Justus Liebig in Gießen errichtet. Die Kosten betrugen damals 25.000 Gulden und verschlangen damit fast die Hälfte des Jahresetats des gesamten Polytechnikums. Mit dieser modernen Ausbildungsstätte und dank einer soliden personellen Ausstattung stieg Karlsruhe in die erste Reihe der deutschen Universitätschemie auf.

Der Karlsruher Chemikerkongress

Internationale Beachtung fand zudem der von Weltzien organisierte ­Chemikerkongress in Karlsruhe im September 1860. Anlass war, dass die Chemie zur Mitte des 19. Jahrhunderts als wissenschaftliche Disziplin erst jüngst formiert war und noch unter einem erheblichen Theoriedefizit litt. Insbesondere in Fragen des Atom- und Molekülbaus vertraten verschiedene „Schulen“ unterschiedliche Ansichten. Die Atome waren als kleinste Bausteine der chemischen Verbindungen zwar allgemein akzeptiert, über ihren Aufbau war aber so gut wie nichts bekannt, ebenso wenig herrschte Einigkeit bei anderen grundlegenden theoretischen Fragen wie der Basisgröße der Atomgewichte, der Nomenklatur und Formelschreibweise. Da noch kein Forum existierte, in dessen Rahmen man die aktuellen Probleme hätte diskutieren können, wurde ein Fachkongress von Carl Weltzien zusammen mit Friedrich August Kekulé von Stradonitz (1829–1896) und Charles Adolphe Wurtz (Karl Adolph Würtz, 1817–1884) initiiert. So trafen sich am 3. September 1860 im Ständesaal des badischen Landtages in Karlsruhe über 120 Chemiker aus aller Welt, unter ihnen Robert Bunsen, Adolf von Baeyer, Emil Erlenmeyer, Hermann von Fehling, Carl Remigius Fresenius, Friedrich Konrad Beilstein, Jean-Baptiste Dumas, Stanislao ­Cannizzaro, Dmitri Iwanowitsch Mendelejew und Lothar Meyer. Der Karlsruher Kongress war die erste internationale Fachtagung für Chemie weltweit und begründete eine bis heute andauernde [3]. Im selben Jahr erlangte die Chemie größere Eigenständigkeit als eigene „Schule“ innerhalb des Polytechnikums. 1868 folgte dann Lothar Meyer (1830–1895) Weltzien auf dessen Lehrstuhl. Er blieb bis 1876 in Karlsruhe und kam als einer der Schöpfer des Periodensystems der Elemente zusammen mit Medelejew zu Weltruhm.

In den folgenden Jahren entwickelten sich insbesondere die chemische Technik, die physikalische Chemie und die Elektrochemie weiter. Carl Engler (1842–1925) wurde 1876 Prof. für Chemische Technik und übernahm 1887 auch die Abteilung für Allgemeine Chemie. Er gilt als Begründer der Petrochemie, hatte beste Verbindungen zur chemischen Industrie und war zudem mehrfach Rektor der Hochschule. Unter seinem Nach­folger Hans Bunte (1848–1925) wurden die Forschungsaktivitäten auf die (Erd)gaschemie ausgeweitet und die Ausbildung der Chemiker in den maschinenbautechnischen Fächern gefördert. Hans Bunte trieb wie später sein Sohn Carl Gustav (1878–1944) auch den Ausbau der Elektrochemie in Karlsruhe voran.


Bauplan des chemischen Labors von 1850. Das chemische Laboratorium der großherzoglichen polytechnischen Schule in Karlsruhe, aus illustrierte Zeitung (1858); 779, 360

Nobelpreise und Weltkriege

Die Elektrochemie war bereits 1900 mit der Berufung von Max Julius Louis Le Blanc (1865–1943) in Karlsruhe etabliert worden, ab 1906 hatte den Lehrstuhl Fritz Haber (1868–1934) inne. Haber ist sicherlich der bis heute bekannteste der Karlsruher Chemiker, denn seine Forschungs­arbeiten in Karlsruhe zur katalytischen Ammoniaksynthese aus atmos­phärischem Stickstoff waren bahnbrechend für die Sicherstellung der Welternährung und wurden 1918 mit dem Nobelpreis geehrt. Haber verließ Karlsruhe 1911, um als Gründungsdirektor an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie in Berlin-Dahlem zu gehen. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 setzte Haber im ­damals herrschenden patriotischen Zeitgeist alle Forschungskapazitäten seines Instituts für die Entwicklung von militärisch nutzbaren Chemie­waffen ein, unter seiner Ägide setzten die Deutschen am 22. April 1915 erstmalig bei Ypern Chlorgas ein. Nach Kriegsende wirkte der angesehene Nobelpreisträger Haber in vielfältiger Weise als Wissenschaftsorganisator und war Mitinitiator der „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“, aus der 1951 die DFG hervorging. Weiterhin versuchte er in den 1920er-Jahren, aus Meerwasser Gold zu gewinnen, um Deutschlands Kriegsreparationen zu bezahlen. Sein patriotisches Engagement schützte ihn indes nicht davor, aufgrund seiner Herkunft nach der Machtübernahme der ­Nationalsozialisten Repressalien gegen Wissenschaftler jüdischer Abstammung ausgesetzt zu sein. Haber legte 1933 alle Ämter nieder und ging in die Emigration nach Cambridge in England. Von den Ereignissen schwer gezeichnet und verbittert erlag er auf einer Reise in die Schweiz am 9. 1. 1934 in Basel einem Herzversagen [4]. Wie Haber wurden auch andere Chemiker an der TH Karlsruhe Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. So Georg Bredig (1868–1944), der 1911 als Nachfolger Habers nach Karlsruhe kam und 1922 zum Rektor der TH gewählt wurde. 1933 wurde er aufgrund einer antijüdischen Studentenkampagne zwangsweise emeritiert und emigrierte 1939 über die Niederlande in die USA. Auch der Nachfolger von Hans Bunte, der Direktor des chemisch-technischen Instituts Paul Askenasy (1869–1939), wurde aufgrund seiner jüdischen Herkunft zwangsentpflichtet und floh nach Argentinien.

Kein Hochschullehrer an der TH, aber dennoch mit Karlsruhe verbunden, ist ein weiterer Nobelpreisträger der Chemie. Richard Willstätter, 1872 in Karlsruhe geboren, wurde 1915 Professor für Organische Chemie in München in der Nachfolge Adolf von Baeyers. Er forschte über die Biochemie der natürlichen Farbstoffe Chlorophyll, Hämoglobin und ­Anthocyan. Dabei gelang ihm die Isolierung von Chlorophyll und der Nachweis seines Bestandteils Magnesium. Für diese Forschungen erhielt er 1915 den Nobelpreis „für seine Forschungen über Farbstoffe im Pflanzenbereich, besonders über Chlorophyll“. 1925 trat er – möglicherweise aufgrund von Anfeindungen wegen seiner jüdischen Herkunft – von der Professur in München zurück und emigrierte 1938 in die Schweiz. ­Willstätter war Zeit seines Lebens eng mit Fritz Haber befreundet, den er aus seiner Zeit am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin kannte [5].

Zu den Nobelpreisträgern, die in Karlsruhe wirkten, zählt auch ­Hermann Staudinger (1881–1964), der nach der Habilitation in Straßburg 1907 nach Karlsruhe ging. Staudinger wechselte 1912 an die ETH Zürich und später nach Freiburg. Seine Forschungen über Ketene und die Strukturmerkmale von Makromolekülen machten ihn zum Vater der modernen Polymerchemie und er wurde dafür 1953 mit dem Nobelpreis geehrt. ­Staudinger war bekennender Pazifist und trat im Ersten Weltkrieg publizistisch gegen die von Haber betriebene Entwicklung von Giftgaswaffen und für einen raschen Friedensschluss ein. Nach der Machtergreifung 1933 war Staudinger daher in Freiburg Repressalien seitens des Rektorats und der Regierung ausgesetzt, konnte sich aber im Amt halten [6].

Anfänge der Lebensmittelchemie

Die Lebensmittelchemie nahm ihren Anfang in Karlsruhe bereits 1878 mit der Gründung einer „Station des Großherzoglichen Polytechnikums“ unter Leitung des Professors für Chemie Karl Birnbaum (1839–1887), die zehn Jahre später in „Lebensmittelprüfungsstation der Technischen Hochschule“ umbenannt wurde, nachdem 1885 das Polytechnikum zur „Technischen Hochschule“ aufgestiegen war. Unter den Professoren Gustav Rupp (1853–1944) und Albert Gronover (1871–1947) wurde die Einrichtung in den folgenden Jahrzehnten weiter ausgebaut. 1936 übernahm Kurt Albert Täufel (1892–1970) die Leitung der Lebensmitteluntersuchungsanstalt, zwei Jahre später folgte die Gründung des „Instituts für Lebensmittel­chemie“ mit eigenem Studiengang. 1943 wurde die Untersuchungsanstalt aus der Hochschule ausgegliedert und dem Innenministerium unterstellt. Das Institutsgebäude wurde wie viele andere Gebäude der TH im Zweiten Weltkrieg durch Bombenangriffe schwer geschädigt, auch die Gebäude der Chemie am zentralen Ehrenhof waren zerstört [7]. Am 12.2. 1946 wurde der Vorlesungsbetrieb an der TH provisorisch wieder aufgenommen, doch erst 1968 begann der Bau neuer Gebäude für die chemischen Institute. Anknüpfend an die Traditionen der Vorkriegszeit lag der Schwerpunkt der Karlsruher Chemie im Bereich der anorganischen, physikalischen und Polymerchemie. 1972 wurde eine eigene Fakultät für Chemieingenieurwesen gegründet. Fast zeitgleich verlor die Fakultät für Chemie das Pharma­zeutische Institut ein zweites Mal – diesmal an die Universität Heidelberg. Bereits 1923 war die Pharmazie wegen der Schließung des botanischen Instituts geschlossen worden, wurde aber unter Carl Mannich (1877–1947) in Anbindung an das Institut für chemische Technik nach Kriegsende wieder reaktiviert [8].

Mit dem Zusammenschluss von Universität Karlsruhe (TH) und Forschungszentrum Karlsruhe zum Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Zuge der Exzellenzinitiative im Jahr 2006 fand dann ein Prozess den Abschluss, der bereits 1956 mit der Unterzeichnung eines Kooperationsvertrags zwischen der neu gegründeten „Kernreaktor Bau- und Betriebsgesellschaft mbH Karlsruhe“, dem späteren Kernforschungszentrum, und der TH begann. Es entwickelten sich fruchtbare Kooperationen auch mit chemischen Instituten des Forschungszentrums wie zum Beispiel dem Institut für Technische Chemie, das sich mit Fragen der Katalyse und Hochdruckprozesse befasste, und dem Institut für Toxikologie und Genetik, das viele Bezüge zur universitären Biochemie aufwies [9].

Literatur
[1] Zur Geschichte der Universität Karlsruhe s. Hoepcke, K. (2007) Univ.-Verl. Karlsruhe
(Veröffentlichungen aus dem Archiv des Karlsruher Instituts für Technologie ; 1)
[2] Zitiert nach Stratton, J. A. & Mannix, L. H. (2005) MIT Press, 435
[3] Zum Kongress s. Mönnich, M. (2010) Geschichte der Pharmazie 62, H. 3, 30–36
[4] Zu Haber s. Szöllösi-Janze, M. (1998) C H Beck sowie Stoltzenberg, D. (1994) Wiley-VCH
[5] Haber, F., Werner, P., & Irmscher, A. (1995) Verlag für Wissenschafts-und Regionalgeschichte Dr. Michael Engel (Studien und Quellen zur Geschichte der Chemie; 6)
[6] Zu Staudinger s. Priesner, C (1987) Chemie in unserer Zeit 21, 151–160 und Wilhelm, M. (2013) Adv. Polymer Sci. 261, 53–60
[7] S. Raab, F. (1950) Die technische Hochschule Fridericiana Karlsruhe: Festschrift zur 125-Jahrfeier, Technische Hochschule Karlsruhe, 164–165
[8] Schmitz, R. (1969) Die deutschen pharmazeutisch-chemischen Hochschulinstitute: ihre Entstehung und Entwicklung in Vergangenheit und Gegenwart, Dt. Apotheker-Verl., 202–210
[9] Hartmann, M. (2013) Der Weg zum KIT, KIT Scientific Publishing (Veröffentlichungen aus dem Archiv des Karlsruher Instituts für Technologie; 3)

Das analytische Labor, 2.v.l.: Carl Weltzien ; 1.v.l.: Karl Engler Bild: KIT-Archiv 28010, I/1485

L&M 6 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 6 / 2015.
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