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Ein lebendes Fossil beflügelt Wissenschaft und Kunst

Ob im Fernsehen oder den Printmedien: Allgegenwärtig scheint die Reklame der Pharmaindustrie für Produkte aus den Blättern des Ginkgo biloba-Baumes zu sein. Ob Ärzte eine eigene Meinung für oder gegen diese Phytopharmaka zur Leistungssteigerung des Gehirns haben, ist hier nicht relevant. Für Sie als Leser von labor&more ist die Analytik der Extrakte und den daraus hergestellten Fertigarzneimitteln sicher von Interesse, besonders dann, wenn Ihr berufliches Umfeld die Welt der pflanzlichen Arzneimittel ist. Ginkgo biloba ist aber auch ein Objekt der Kunst. Goethe brachte den Baum in seinem Gedicht über das zweigeteilte Blatt, das sich zu einem zusammenfügt, 1815 seiner Muse Marianne von Willemer näher. Zur Zeit des Jugendstils waren Schmuckstücke mit Motiven der Blätter und Früchte sehr beliebt, heute sind es vor allem bildliche Darstellungen. Die Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst sind fließend: Eindrucksvoll zeigen dies die Bilder, die mithilfe der Dünnschichtchromatografie [DC] aus den Aufarbeitungen von Ginkgo biloba-Probenmaterial erhalten werden können.

Ginkgo biloba – der Baum

Vor einigen Jahren haben chinesische Dendrologen in den südwestlichen Provinzen ihres Landes einige Wildformen des Ginkgo biloba-Baumes entdeckt, deren Samen bei zukünftigen Versuchsreihen zu Rückkreuzungen eingesetzt werden sollen. Mehr als 200 Millionen Jahre sollen die Ursprünge des Baumes zurückreichen, er gilt daher als lebendes Fossil. In China und Japan wird er als heiliger Baum verehrt, um dessen Wunder- und Heilkräfte sich manche Legende rankt. Belegt ist, dass ein Ginkgo biloba nach dem Atombombenangriff auf Hiroshima 1945 wieder ausgetrieben hat.

Analytik

Als Ginkgo biloba noch nicht mit einer Monografie in den Arzneibüchern vertreten war, als jugendlicher Forschergeist noch die Arbeit im Labor beflügelte, machte die Analytik seiner Inhaltsstoffe große Freude. Es gab noch keine Referenzsubstanzen käuflich zu erwerben, daher wurden z.B. aus der Sarcotesta der Früchte in zeitaufwändigen Arbeitsschritten die toxischen Substanzen selbst isoliert. Mitte der 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts war die Dünnschichtchromatografie [DC] die Methode der Wahl, um die Identität des Probenmaterials zu sichern und die Reinheit zu überprüfen. In langen Versuchsreihen wurden Sorbentien und Fließmittel optimiert, die daraus resultierende Prüfvorschrift validiert. Ein Blick in die neueste (englische) Ausgabe der European Pharmacopoeia (Pharm Eur) 7.0 führt zur Monografie „GINKGO DRY EXTRACT, REFINED AND QUANTIFIED“ (Ginkgonis extractum siccum raffinatum et quantificatum). Der aufgeführte Text lässt den Schluss zu, dass immer noch „Schreibtischtäter“, die nur ungenügende Kenntnis von der Durchführung der DC-Methode (2.2.27) haben, zumindest für diesen Teil der Monografie verantwortlich zeichnen. Ein Beispiel für Ungereimtheiten? Die vorgeschriebene TLC silica plate R (5–40 m) gibt es überhaupt nicht, es sei denn, die Platten werden in den Labors selbst gestrichen. Die dürften, zumindest in Europa, aus Gründen der schlechten Reproduzierbarkeit und den hohen Personalkosten nicht mehr eingesetzt werden. Bei DC-Fertigplatten ist die Korngrößenverteilung auf 5–20 m eingestellt. Als Alternative ist inzwischen auch die Hochleistungsplatte vorgegeben. Wenn man allerdings die „TLC silica plate R (2–10 m)“ richtigerweise als HPTLC-Platte bezeichnet hätte (von High Performance Thin-Layer Chromatography), würde es nicht so leicht zu Verwechslungen kommen, denn kein Hersteller von Fertigschichten hat die Korngrößenverteilung auf den Etiketten der Packungen vermerkt. Bewusst schreibt die Pharm Eur die Verwendung von Sorbentien ohne Fluoreszenzindikator vor, denn sie fordert die Auswertung der besprühten Platten nur im langwelligen UV-Licht. Dadurch sind allerdings weitere Informationen verloren, die durch die Betrachtung der Platten bei kurzwelligem UV-Licht vor dem Besprühen erhalten werden können. Die Konsequenz aus diesem Beispiel: Anfänger (Azubis, Praktikanten etc.) werden verunsichert, langjährige DC-Anwender folgen bei der Auswahl des Plattenmaterials lieber ihrer Erfahrung. Eine kritische Betrachtung der Monografie von Ginkgo biloba in den Arzneibüchern sollte auch die Zusammensetzung des Fließmittels sowie die Länge der Trennstrecken (den jeweiligen Sorbentien angepasst) zur Diskussion stellen. In einer früheren Publikation [1] sind die Ergebnisse eigener Versuchsreihen zusammengestellt worden. Bei Interesse kann eine für den Unterricht an Gymnasien entwickelte Prüfvorschrift für die Untersuchung von Ginkgo biloba-Blättern und den daraus hergestellten Extrakten bei der Autorin angefordert werden.

CHROMart, ein Bindeglied zwischen Kunst und Wissenschaft

Anfang der 1980er-Jahre wurde eine Patentanmeldung publiziert, die im Chromatografieforschungsbereich der Fa. Merck (Darmstadt) im Zusammenhang mit der Analytik von Farbstoffen entstanden war [2]. Halpaap (gest. 1987) und Hauck beobachteten bei ihren Arbeiten Phänomene, die in eine Vielzahl überraschender, attraktiver Effekte mündeten. Bei der stilvollen Ergänzung von künstlerischer Kreativität, Kenntnissen der Chromatografie – und hier speziell der DC – sowie der Strömungslehre können ästhetisch ansprechende Bilder in großer Formen- und Farbvielfalt erhalten und mit dem Begriff CHROMart bezeichnet werden. Bei der Untersuchung von Arzneipflanzen zeigen die Dünnschichtchromatogramme einer großen Anzahl von Phytopharmaka im langwelligen UV-Licht nach der Derivatisierung mit dem Naturstoffreagenz nach Neu leuchtende Fluoreszenzfarben. Die Abbildungen „Zerstörung der Erde“ sowie „Joseph, Maria und das Kind“ sind Beispiele von CHROMarts, die mit Aufarbeitungen aus Gingko biloba-Blättern erhalten wurden.

Ginkgo biloba in der Malerei

Vor 36 Jahren ist die japanische Malerin Atsuko Kato nach Deutschland gekommen und hat sich nach ihrem Abschluss an der Nürnberger Kunstakademie mit ihrem Mann Kunihiko, einem Bildhauer, in Fürth niedergelassen. Nicht nur in ihren künstlerischen Werken spielt der Ginkgo die Hauptrolle, auch die Anzucht von kleinen Bäumchen aus den Samen japanischer Elternbäume beansprucht viel Geduld und Zeit. Im letzten Jahr versteigerte Frau Kato ihre Setzlinge zu Gunsten eines neu zu bauenden Waisenhauses in der Nähe von Fukushima.

Literatur
[1] Hahn-Deinstrop, E., A. Koch: „Ginkgo biloba hilft dem Gehirn auf die Sprünge“, BIOforum 7-8/98, S. 428-434, GIT-Verlag, Darmstadt (1998).
[2] Halpaap, H., Hauck, H.E., DE-Patentanmeldung P 32 04 094.6 vom 6.2.1982.

Foto: © Elke Hahn-Deinstrop

L&M 4 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 4 / 2012.
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