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Artenschwund bei Amphibien

Eine Mykose Ursache für ein ökologisches Desaster?

Seit mehreren Jahren wird unter Amphibienexperten ein signifikanter Rückgang natürlicher Amphibienpopulationendiskutiert. Im Jahre 2004 wurde durch Schätzungen der IUCN die Weltöffentlichkeit aufgerüttelt, 43 % aller natürlichen Amphibienpopulationen sind demnach als in ihrer Existenz gefährdet, 32 % aller Arten als vom Aussterben bedroht anzusehen und 113 rezente Arten konnten in den letzten Jahren überhaupt nicht mehr beobachtet werden. Somit erscheinen Amphibien als die am meisten bedrohte Wirbeltierklasse überhaupt. Im Vergleich dazu werden 23 % aller Säugetiere und12 % aller Vogelarten als vom Aussterben bedroht eingestuft.

Was ist die Ursache für den dramatischen Artenschwund?

Die Ursachen für diese Situation sind vielseitig. Vordergründigstehen Habitatverluste, Klimaveränderungen, Pestizid- oder Schadstoffeinwirkungen sowie der Tierfang(zumeist für die menschliche Ernährung) und Verluste durch Straßenverkehr zur Debatte. Seit etwa 10 Jahren gerät jedoch in diesem Zusammenhang eine seuchenhaft verlaufende Mykose in den Fokus der Diskussion.

Ein neuer Erreger tritt auf den Plan

Als pathogenes Agens gilt ein primitiver Pilz aus dem Stamm der Chytridiomycota: Batrachochytrium dendrobatidis(Longcore et al., 1999). Chytridiomycota sind mikroskopischkleine Pilze, die zumeist als Saprobionten lebend wesentlichen Anteil am Gesamtstoffwechsel eines Ökosystems haben. Sie finden sich z. B. auch als Kommensalen oder Symbionten im Pansen von Wiederkäuern oder im Blinddarm von Pflanzenfressern. Einige Arten leben parasitär in Pflanzen, Protozoen und Wirbellosen. Die Fortpflanzung geschieht auf asexuellem Weg, Hyphen („Zellfäden“, die bei höheren Pilzen das Myzel bilden) werden von diesen Pilzen nicht ausgebildet. Siezeichnen sich allesamt durch die Produktion beweglicher Zellen (Zoosporen)im Rahmen ihres Lebenszyklus aus. Batrachochytrium erscheint schon allein deshalb interessant, da er ein seltenes Beispiel für einen Wirbeltierpathogenen Vertreter der Chytridien darstellt. Zwar ist seit längerem ein bei europäischen Karpfenfischen parasitierender Erreger als „Ichthyochitriumvulgare“ (Plehn, 1923) bekannt, jedoch ist dessen Validität bislang noch nicht zweifelsfrei geklärt, ebenso wenig eine mögliche verwandtschaftliche Beziehung zu Batrachochytrium.
Der Pilz befällt bei Amphibien vornehmlich die äußere Haut, Pilzstadien finden sich vom Stratum granulosumbis zum Stratum corneum sowie im Oberhäutchen der Epidermis. Typisch sind sphärische Zoosporangien, in denen die Zoosporen als infektiöse Stadien gebildet und in die Umwelt entlassen werden.
Die klinischen Anzeichen einer solchen Infektion sind relativ unspezifisch, makroskopisch manifeste Symptome treten nur bei massivem Befall auf. Diese äußern sich als Veränderungen der Hautfarbe, vermehrte Häutungsschübe, Hyperkeratosen oder Entzündungen der Haut. Letztere werden nichtselten durch sekundäre bakterielle Infektionen dramatisiert. Die Erkrankung befällt vor allem adulte Amphibien. Larven(„Kaulquappen“) können den Erreger jedoch bereits in den keratinisierten Hornleisten ihrer Kauwerkzeuge beherbergen, ohne jedoch zu erkranken. Die Anfälligkeit der verschiedenen Amphibienspezies gegenüber der Mykose ist unterschiedlich. Dies erklärt sich wahrscheinlich durch morphologische Besonderheiten der äußeren Haut und deren physiologische Aufgaben – insbesondere die Beteiligung an der Regulation des Flüssigkeits- und Elektrolythaushaltes– einerseits sowie der immunologischen Kompetenz andererseits. Immunologisch „naive“ Tiere scheinen besonders anfällig zu sein. Die Infektion verläuft meist akut und ist durch eine hohe Mortalität (bis zu 100 %!) gekennzeichnet.

Eine weltweit auftretende Seuche – Hysterie oder Realität?

Nachdem bereits Untersuchungen im Jahre 1998 (Berger et al.) erstmals einen Zusammenhang zwischen dem dramatischen Artenschwund bei Froschlurchen in Australien und Mittelamerika und der Chytridiomykose herstellten, tritt die Erkrankung jetzt immer stärker in den Fokus wissenschaftlichen Interesses. Wohl kaum einer Erkrankung wechselwarmer Wirbeltiere wurden in den letzten Jahren so viele Arbeiten und Veröffentlichungen gewidmet wie der Chytridiomykose. Dennoch sind viele Fragen und Zusammenhänge nach wie vor offen und bedürfen wissenschaftlicher Klärung. Derzeit gilt die vorherrschende Meinung, dass es sich um einen neuen, evolutionsbiologisch sehr jungen Erreger handelt, der sich von Afrika aus über nahezu den gesamten Erdball verbreitet hat. Die These stützt sich auf die Tatsache, dass der bisher älteste Fall einer Chytridiomykose bei einem aus Südafrika stammenden Krallenfrosch(Xenopus laevis) nachgewiesen werden konnte, der in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts Eingang ineine wissenschaftliche Sammlung fand. Krallenfrösche wurden zum Zweck des Schwangerschaftsnachweises („Froschtest“)in viele Länder exportiert, so könnte theoretisch eine rasche Ausbreitung des Pilzes erfolgt sein. Die Infektion konnte mittlerweile bei weit mehr als 100 verschiedenen Amphibienarten nachgewiesen werden, das Verbreitungsgebiet erstreckt sich über Nord-, Mittel- und Südamerika, Australien, Afrika und Europa. Dass der internationale Handel mit Amphibien bzw. Amphibienteilen– z.B. Froschschenkeln – eine Rolle spielt, beweist der Erstnachweis von Batrachochytrium in Europa, der in unserem Laborim Jahr 2000 gelang. Hier waren verschiedene Frösche aus dem Zoohandel betroffen, unter anderem Pfeilgiftfrösche, die einem Direkt import aus Costa Rica entstammten. Im gleichen Jahr bewiesen spanische Kollegen, dass Populationsrückgänge bei Geburtshelferkröten (Alytes obstreticans) und Feuersalamandern(Salamandra salamandra) in einem Nationalpark in der Nähe Madrids der Chytridiomykose geschuldet waren. Mittlerweile erfolgte der Erregernachweis bei einerganzen Reihe von Amphibien in Italien, Großbritannien, Deutschland und der Schweiz.
Massenverluste infolge der Infektion, wie sie in Nord-, Mittel- und Südamerika oder Australien dokumentiert wurden, sind in Europa derzeit die Ausnahme. Dies stützt die Annahme, dass zusätzliche sowohl biotischeals auch abiotische Stressorenvorhanden sein müssen, um ein Seuchengeschehen auszulösen. Erkenntnisse aus der Terrarienhaltung unterstreichen dieseAnnahme. Die Chytridiomykose stellt nach eigenen Erhebungen in Deutschland die häufigste Todesursache von Amphibien in menschlicher Obhut dar. Die Krankheit bricht oft nach Transporten, bei ungenügenden Haltungsbedingungen oder Änderung bei der Klimagestaltung aus. Andererseits kann Batrachochytrium latent über Monate bis Jahre in einem Bestandvorhanden sein, ohne dass es zu Verlusten kommt. Verschiedene Wissenschaftlervermuten deshalb einen engen Zusammenhang zwischen Klimaveränderungen und dem Ausbruch der Seuche. Neueste Hinweise auf eventuelle Dauerformen in der Froschhaut bzw. mögliche saprophytäre Stadien würden diese These ebenfalls stützen.

Was zu tun ist …

Der Nachweis von Batrachochytrium dendrobatidis erfolgt bei verendeten Tieren durch histologische Untersuchungen der Haut oder mittels Polymerase- Kettenreaktion(PCR). Letztere erlaubt auch die Untersuchung von Hauttupfern bei lebenden Tieren. Die derzeit verfügbaren Primergarantieren eine hohe Sensitivität der Tests, jedoch ist die Frage der Spezifität umstritten. Allerdings erlaubt der Nachweis des Erregers allein keine Aussage darüber, ob er verantwortlich für den Ausbrucheiner Erkrankung ist und die Ursache von Populationseinbrüchen darstellt. Natürliche Populationen verschiedener Amphibien mit einem latenten Batrachochytrium-Befall ohne offensichtlich negative Auswirkungen auf die Populationsstrukturverdeutlichen dies. Künftige Untersuchungen müssen deshalb darauf abzielen, die Ursachen für die Seuchenausbrüche konkret zu erfassen, um eventuellprophylaktische Maßnahmen, zumindest für akut bedrohte Arten, einleiten zu können. Die gezielte Nachzucht einiger Arten in menschlicher Obhut („exsitu-breeding“) zum Zweck der Wiederansiedlung in den natürlichen Habitaten ist oft aus seuchenhygienischer Sicht problematisch oder erscheint aussichtslos, wenn letztere nicht mehr existieren. Ebenso ist eine Bekämpfung des Pilzes unter„Feldbedingungen“ derzeit unrealistisch. Bislang existieren eher Vermutungen und kaum gesicherte Erkenntnisse über die ökologischen Auswirkungen des „amphibiandeclinings“. Dennoch stellt das Verschwinden von Amphibien aus den Ökosystemen eine äußerst reelle und bedenkliche Situation dar. Neben der gezielten Verhinderung der Erregerverschleppung stellt vor allem die Erhaltung der Lebensräume mit ihrer komplexen Artenvielfalt die zentrale Aufgabe dar.













Fotos: © Dr. Frank Mutschmann

Literatur
L. Berger, R. Speare, P. Daszak, D. E. Green, A. A. Cunningham,
C. L. Goggin, R. Slocombe, M. A. Ragan, A. D. Hyatt,
K. R. McDonald, H. B. Hines, K. R. Lips, G. Marantelli & H.
Parkes (1998): Chytridiomycosis causes amphibian mortality
associated with population declines in the rain forests of
Australia and Central America. Proceedings of the National
Academy of Science, USA 95, 9031–9036
J. E. Longcore, A. P. Pessier & D. K. Nichols (1999): Batrachochytrium
dendrobatidis gen. et sp. nov., a chytrid pathogenic
to amphibians. Mycologica 91, 219–227
F. Mutschmann, L. Berger, P. Zwart & C. Gaedicke (2000):
Chytridiomykose bei Amphibien – erstmaliger Nachweis für
Europa. Berliner und Münchner Tierärztliche Wochenschrift
113, 380–383

L&M 3 / 2008

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 3 / 2008.
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