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Quantenchemie - Biokatalyse

Erforschung biokatalysierter Reaktionen

Ein kurzer Blick in das chemische Repertoire der Natur lässt Chemiker sehr schnell vor Neid erblassen. So vermögen es Bakterien etwa bei Raumdruck, Raumtemperatur und neutralem pH-Wert so reaktionsträge Moleküle wie etwa N2, H2O oder CH4 mit höchster Präzision und Selektivität umzusetzen, etwa zu NH3, O2 bzw. Methanol (H3COH).

Für den forschenden Wissenschaftler folgt auf das Staunen die natürliche Frage: „Wie macht die Natur denn das?“

Würde man die zugrunde liegenden Mechanismen von solchen Reaktionen im Detail verstehen, so könnte man davon träumen nach ähnlichen Prinzipien der Natur nachempfundene Katalysatoren zu bauen, welche industriell relevante chemische Reaktionen mit bisher nicht bekannter Effizienz ermöglichen.

Es handelt sich hierbei durchaus um zentrale Zukunftsfragen. So ist der Haber- Bosch-Prozess, welcher großtechnisch N2 zu NH3 umsetzt, einer der weltweit größten Energiefresser – ca. 2 – 3 Prozent des globalen Energieverbrauches gehen zu Lasten dieses Verfahrens. Das dabei in zig Millionen Tonnen anfallende Ammoniak wird zur Herstellung von Düngern verwendet.

Sicherlich noch bedeutsamer ist der Prozess der Photosynthese, durch welchen einerseits Wasser (H2O) durch Oxidation in Sauerstoff (O2) überführt wird und andererseits Sonnenenergie zum Aufbau organischer Materie (Zucker) dient. Man könnte sehr wohl von chemischen Prozessen träumen, welche mithilfe von Sonnenenergie zwei Moleküle H2O zu O2 oxidieren und die dabei „frei werdenden“ Elektronen und Protonen gleichzeitig in einen sauberen Energieträger, zwei Moleküle H2, überführt. Wenn man denn nur verstehen würde wie die Natur alle diese „chemischen Wunder“ vollbringt.

Metallzentren in Proteinen In den vergangenen vier Jahrzehnten haben intensivste Bemühungen der Grundlagenforschung in der Tat zu einer beeindruckenden Menge an Einblicken in diese intimsten Prozesse der Biochemie sowie einer Vielzahl von anderen biochemischen Prozessen geführt. Überraschenderweise zeigt sich dabei, dass die belebte Natur „ Ins Auge“ von Proteinen gar nicht so „organisch“ ist, wie man das lange glaubte. Natürlich ist wohlbekannt, dass Organismen zum größten Teil aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff bestehen.
Untersucht man aber im Detail, wie die oben genannten erstaunlichen Reaktionen ablaufen können, stößt man immer wieder auf den gleichen Befund: Die Natur nutzt Spurenelemente – gerade die gewichtsmäßig in vernachlässigbaren Mengen (ca. 100 mg/kg Körpergewicht) auftretenden Elemente wie z. B. Eisen, Kupfer, Mangan, Kobalt oder Nickel. Diese Spurenelemente befinden sich gerade in den aktiven Zentren von sehr vielen Eiweißmolekülen, welche bekanntermaßen in allen Organismen als hochgradig komplexe Katalysatoren von biochemischen Reaktionen wirken. Ein Eiweißmolekül ist im Wesentlichen ein „ Faden“ von bis zu einigen hundert Aminosäuren, welcher sich um die zentralen Metallionen faltet. Zu jedem biochemischen Vorgang gehört mindestens eins, meistens aber mehrere Eiweiße, welche jeweils höchst spezifisch für nur eine Reaktion zuständig sind. In etwa 40 % aller bekannten Eiweiße befinden sich Spurenelemente in den aktiven Zentren – es handelt sich also bei diesen „anorganischen Bestandteilen“ keineswegs um Mitglieder eines chemischen Kuriositätenkabinetts, sondern um eines der fundamentalen Funktionsprinzipien der belebten Natur. Die Elektronenstruktur macht den Unterschied.

Was ist es aber nun, was den natürlich auftretenden Metallproteinen ihre ungeheure Effizienz und Spezifizität verleiht?

Die Natur verfügt nur über ein sehr begrenztes Arsenal von einigen Dutzend verschiedenen metallhaltigen „Baugruppen“, muss aber damit Zigtausende von unterschiedlichen chemischen Reaktionen katalysieren. Die Antwort auf diese Frage ist komplex: Es sind die spezifischen Details der Wechselwirkung der gefalteten Aminosäurekette mit dem metallischen Kofaktor, welche die einzigartigen katalytischen Eigenschaften bedingen. Es ist ein schier hoffnungsloses Unterfangen, chemisch jedes Detail einer solchen Wechselwirkung nachbilden zu wollen – vielmehr muss es darum gehen, die wichtigen funktionsbildenden Details zu verstehen und – möglicherweise in vereinfachter Form – in praktikable chemische Katalysatoren umzusetzen. Ganz entscheidend dabei ist, dass die spezielle Umgebung der Kofaktoren tiefgreifenden Einfluss auf die elektronische Struktur der metallischen Aktivzentren hat, also die Verteilung und Reaktivität der Elektronen maßgeblich beeinflusst. Es ist also die Elektronenstruktur, welche den Unterschied zwischen recht grobschlächtigen „chemischen Katalysatoren“ und den fein ausbalancierten Prozessen der Natur macht.
Wie also erhalten wir Informationen über die elektronischen Strukturen?

Spektroskopie als Werkzeug

Die Elektronenstruktur eines metallischen Aktivzentrums lässt sich heute mit einer Vielzahl von spektroskopischen Verfahren untersuchen. Dabei kommen elektromagnetische Wellen im Bereich von Gammastrahlen bis hin zu Radiowellen zum Einsatz – mehr als 13 Größenordnungen der Photonenenergie. In jedem einzelnen Wellenlängenbereich finden spezifische Wechselwirkungen von Elektronen, Kernen und Photonen statt – die durch Photonen angestoßenen Phänomene reichen von völliger Zerstörung eines Moleküls, zur Veränderung seiner Elektronenverteilung, der Schwingung seines Kerngerüstes bis hin zum einfachen „Umklappen“ eines Elektronen- oder Kernspins. Da sich die Metalle vom „organischen Rest“ chemisch unterscheiden, kann man also mithilfe von spektroskopischen Verfahren spezifisch die „hot spots“ der chemischen Wundermaschinen untersuchen. Wichtig dabei ist, dass man mit spektroskopischen Verfahren zeitaufgelöste Messungen durchführen kann – gewissermaßen „Schnappschüsse“ der untersuchten chemischen Reaktionen. Diese „Schnappschüsse“ sind allerdings nicht von der Qualität einer Fotografie, sondern lassen sich mit verschwommenen Schattenbildern vergleichen, welche indirekte Informationen über die Strukturen der beteiligten Reaktionspartner liefern. Obwohl diese Informationen verschwommen sind, sind sie von fundamentaler Wichtigkeit, denn sie stellen die einzige experimentelle Quelle von Strukturinformationen über die Intermediate von metallkatalysierten biochemischen Reaktionen dar. Aufgrund der Kurzlebigkeit der Zwischenstufen einer chemischen Reaktion ist die Anwendung der Röntgenkristallographie nämlich nicht möglich. Die „chemische Magie“ steckt aber in den Strukturen dieser Zwischenstufen.











Abb.1: Das TauD-Enzym und seine quantenchemische Modellierung

Quantenchemie als Basis für Erklärungen

Wie lassen sich also die Schattenbilder der spektroskopischen Analyse in handfeste chemische Strukturen übersetzen? Es ist ganz offensichtlich nicht möglich, von einem Schattenbild (Spektrum) auf die detaillierte Form, Farbe oder Textur des schattenwerfenden Objektes (Reaktionsintermediat) zurückzurechnen.

Eine viel bescheidenere Frage lässt sich aber sehr wohl beantworten: „Welche chemischen Strukturen sind mit den geworfenen Schatten (Spektren) vereinbar?“

Wenn man diese Frage beantworten kann, lassen sich plausible Hypothesen über die Struktur der Reaktionsintermediate formulieren und auf ihre Kompatibilität mit den experimentell beobachteten spektroskopischen Daten überprüfen. Genau das leistet die Quantenchemie – es ist nämlich möglich, auf der Basis der fundamentalen Gesetze der Quantenmechanik und der Relativitätstheorie in akzeptabler Näherung die geometrischen Strukturen, die Elektronenstrukturen und damit auch die spektroskopischen Eigenschaften von beliebigen Molekülen zu berechnen. Hierzu sind neben mächtigen Computern (heutzutage meistens Verbünde von handelsüblichen Personal-Computern) mächtige Softwareprogramme notwendig. Ein solches Programm – welches eben auf die Berechnung von Metallkomplexen und spektroskopischen Eigenschaften optimiert ist – ist das Programm ORCA, welches in unserer Arbeitsgruppe am Lehrstuhl für Theoretische Chemie in Bonn entwickelt wird. Mittlerweile wird es weltweit in allen Bereichen der chemischen Forschung, der Biochemie und den Materialwissenschaften verwendet.

Ein Beispiel: Biologische Hydroxylierungen

Ein Beispiel aus der Biochemie für die Anwendung quantenchemischer Methoden ist das Enzym Taurin-α-Ketoglutarat Dioxygenase (TauD). Es steht stellvertretend für eine große Gruppe von physiologisch bedeutsamen Eisenenzymen, welche α-Ketoglutarat (ein wichtiges Stoffwechselprodukt) und O2 als Co-Substrate benutzen. Die Reaktion von TauD mit einer unaktivierten C-H-Bindung (in diesem Falle eine der C-H-Bindungen von Taurin) führt zu seiner Hydroxylierung unter gleichzeitiger Decarboxylierung von α-Ketoglutarat zu Succinat. Der genaue Mechanismus einer solchen Hydroxylierungsreaktion ist von großem chemischem Interesse, da die Aktivierung von C-H-Bindungen im Labor nur schwer gelingt. Solche Reaktionen werden ebenfalls von Cytochrom P450-haltigen Enzymen durchgeführt, jedoch unterscheiden sich diese Enzyme in ihrem Aktivzentrum erheblich von den ‚Nicht- Häm‘-Eisenzentren, wie sie im TauD-Enzym auftreten, dadurch, dass das Eisen an eine Hämgruppe gebunden ist, welche in der Reaktion ein Oxidationsäquivalent zur Verfügung stellt. Wie die Strukturanalyse des TauD-Enzyms zeigt, ist eine solche Oxidation der Ligandensphäre im Aktivzentrum nicht möglich, da keine oxidierbaren Aminosäuren an das Eisenzentrum koordinieren (Abb. 1). Experimentell kann man Informationen über den Reaktionsmechanismus mithilfe der ‚Freeze-quench‘- Mössbauer-Spektroskopie erlangen. Dabei werden die Reaktionspartner gemischt und auf einer Millisekunden- Zeitskala eingefroren. Die gefrorene Lösung ist dann der spektroskopischen Anyalyse zugänglich. Mithilfe der Mössbauer-Spektroskopie blickt man spezifisch auf das Eisenzentrum und seine Veränderung während der Reaktion. Mithilfe dieser aufwändigen Technik ist es Krebs, Bollinger und Mitarbeitern gelungen, ein Reaktionsintermediat im Reaktionszyklus des TauD-Enzyms zu beobachten, welches nach ca. 20 ms gebildet wird. Um aus den nun bekannten Mössbauer-Parametern dieser Spezies auf seine Struktur zurückzuschließen, bedarf es der Hilfe der Quantenchemie. Da die Vermutung nahe liegt, dass es sich um eine Fe(IV)-oxo-Spezies handelt, können alle plausiblen Strukturen, welche dieses Motiv enthalten, berechnet und ihre Mössbauerparameter vorhergesagt werden.

Der Abgleich der experimentellen und berechneten spektralen Parameter führt zu der Schlussfolgerung, dass tatsächlich erstmals in der Biochemie eine solche ‚Nicht-Häm‘-Eisen(IV)-oxo-Spezies experimentell beobachtet werden konnte. Die Berechnungen erlauben nun Einblicke in die Natur der chemischen Bindung in dieser hochinteressanten und hochreaktiven Substanzklasse (Abb. 2). Aus den daraus gewonnen Erkenntnissen leiten sich neue Impulse für die chemische Synthese ab. Nach der Formulierung eines Reaktionsmechanismus (Abb. 3) kann die Quantenchemie dann ein vollständiges Energieprofil der Reaktion vorhersagen, welches mit kinetischen Messungen verglichen werden kann. Es zeigt sich, dass die Reaktion ausgesprochen kompliziert verläuft und bis zu drei verschiedene Potenzialflächen darin eine Rolle spielen (Abb. 4).

Die aus einem solch komplizierten biochemischen Reaktionsmechanismus abgeleiteten Erkenntnisse sind nicht nur für Grundlagenwissenschaftler hochinteressant, sondern beflügeln auch die Katalyseforschung: Reaktionen mit Eisen erfreuen sich einer hohen Aufmerksamkeit in der organischen Chemie. Man hofft mithilfe von Eisenkomplexen zu hochaktiven, aber sehr viel billigeren Katalysatoren zu kommen, als das heute auf der Basis von edlen Metallen wie Rhodium oder Palladium der Fall ist.

Der Weg zu einem gezielten Katalysatordesign kann allerdings nur über ein mechanistisches Verständnis führen – die Natur macht es in beeindruckender Weise vor!

Foto: © Prof. Dr. Frank Neese

Stichwörter:
Biochemie, Biokatalyse, Quantenchemie, Aktivzentrum

L&M 2 / 2009

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2009.
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