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Von 2D zu 3D

Von 2D zu 3D

Eine Technik hebt ab

Es ist nicht lange her, dass man mit Forschungsanträgen an die DFG für Projekte, die sich mit dreidimensionalen Zellkulturen (3D-Kulturen) beschäftigten, lausige Chancen hatte durchzukommen. Das lag wohl daran, dass die Gutachter die grundlegende Bedeutung und das Anwendungspotenzial der Technik schlicht nicht verstanden hatten: der Schreiber dieser Zeilen weiß, wovon er nach drei Dekaden der innovativen Produktion von retinalen Zellsphäroiden redet. Dies hat sich aufgrund des Aufkommens der Stammzellbiologie und des Tissue Engineerings, also von Technologien zur künstlichen Gewebezucht als Basis der rege­nerativen Medizin, ziemlich schlagartig verändert: Wir erleben derzeit einen ­wahren ­Hype der Kulti­vierung von Zellen in 3D.

Dabei haben 3D-Zellkulturen eine lange Geschichte, ja, in Wahrheit hat die ganze Zellbiologie mit 3D-Zellkulturen begonnen (siehe z.B. Layer et al., 2001). Embryologen haben nämlich an der Wende zum 20. Jahrhundert alle mit disso­ziierten Zellen aus Schwämmen, Seeigeln, Molchen und anderem Getier geforscht. Besonders aufschlussreich und historisch bedeutsam sind etwa Experimente von Wilson (Wilson, 1907; ­s. Abb. unten), bei denen er Schwämme vollständig in ihre ­Zellen zerlegt hat, um sie dann in Salz­wasser in einer Glasschale unter leichtem Schütteln zu verfolgen.



Die Reaggregation vereinzelter Zellen von Schwämmen markieren den Beginn der Zellbiologie (siehe weiter im Text).

Es haben sich wieder vollständige Schwämme gebildet und, wenn er Zellen aus zwei verwandten Schwammarten einsetzte (welche farblich markiert waren), konnte er beobachten, dass sich die verschiedenen Zellen entweder in getrennten Reaggregaten wiederfanden oder innerhalb eines Aggre­gats in getrennten Bereichen absonderten. Damit war u.a. das Phä­nomen des „Sorting out“, d.h. die Zell-Zell-Erkennung entdeckt worden. Man könnte dies als Beginn der ganzen Zell­biologie ansehen. Zu nennen wären Holtfreter, dann Moscona und Steinberg und später meine Gruppe zur Reaggregation der ­Retina, ebenso auch Gierer mit Experimenten an Hydra u.v.m. (s. Layer et al., 2001). Sie haben diese Technik mit ihren verschiedenen Zell­modellen über die Jahrzehnte weitergetragen. Diese Forscher haben ihre Erkenntnisse immer auch als Schritte zur In-vitro-Gewebebildung betrachtet und sicherlich wesent­lich zum heutigen ­Erfolg des Tissue Engineerings beigetragen. ­3D-Kulturen blieben allerdings lange ein Spezial­gebiet für ­Eingeweihte. Die Arbeiten waren nämlich zeitaufwändig (und damit teuer), was noch mehr für ihre Auswertung und Dokumentation zutraf. Kein ­Wunder also, dass Zellbio­logen viel lieber mit 2D-Kulturen arbeiteten. Dass diese aber mit der natürlichen Gewebeumgebung nicht mehr viel zu tun hatten, war wenig bedacht worden. Erst Stammzellbiologen, als sie ihre Zellen in vitro stark vermehren wollten, sind auf die Vorzüge der Reaggregationstechnik (bzw. Sphäroidtechnik) wieder aufmerksam geworden und haben sie auf breiter Basis nun zum Hype gemacht. So hat kürzlich die Zucht von Minigehirnen aus Stammzellen im Labor von Jürgen Knoblich nach deren Publikation in Nature weltweit große Wellen geschlagen (Lancaster et al., 2013). Damit sind spätestens jetzt 3D-Kulturen wieder hof­fähig geworden. In den 80er-Jahren kamen mehr und mehr Erkenntnisse hinzu, dass Zellen im Zellverband stark von ihrer jeweiligen Extrazellulärmatrix (ECM) abhängen. Es war die Zeit der Ent­deckung von Zelladhäsionsmolekülen (NCAM, die IGSF-Familie, Cadherine u.v.m.), von riesigen Interzellularproteinen wie Laminin und Fibro­nek­tin und von vielerlei membranständigen Rezeptor- und Signaltransferproteinen wie den Integrinen. Vielleicht hier wieder bemerkenswert: Auch die ersten Zelladhäsionsmoleküle wurden mit der Reaggregationstechnik entdeckt. Viele dieser ECM-Stoffe enthalten Zucker­gruppen (Polysaccharide), sind also Glycoproteine oder Glycane, die durch Einla­gerung von viel Wasser zum Volumen, besonders aber auch den mechanischen Eigenschaften wie etwa zur Elastizität, Steifheit etc. der jeweiligen Gewebe maßgeblich beitragen. So ist es nicht erstaunlich, dass „Gewebeingenieure“, die heute künstlich ein Gewebe ­mithilfe von Stammzellen herstellen wollen, auf geeignete Polymerstoffe ­angewiesen sind, um die Eigenschaften der natürlichen ECM-Komponenten teilweise oder ganz in vitro zu ersetzen. Bio­kompatible Materialien zu entwickeln, die in der 3D-Gewebekultur, aber natürlich vor allem auch bei einer Gewebe­implantation in den ­Patienten als Gerüste geeignet sind, stellt einen inzwischen bedeutenden Forschungszweig dar, ohne den die regenerative Medizin nicht zum Erfolg werden könnte. Der nachfolgende Artikel zeigt ein hoffnungsvolles Beispiel einer solchen Entwicklung der Bio­materialforschung und zeigt auch, dass man inzwischen bei uns in Deutschland die Potenz von 3D-Zellkulturen erkannt hat.

Literatur
Wilson, H.V. (1907), On some phenomena of coalescence and regeneration in sponges, J Exp Zool 5, 245–258.
Layer, P.G. et al. (2001), From stem cells towards neural layers: a lesson from re-aggregated embryonic retinal cells, NeuroReport 12, A39–A46 (s. auch Trends Neurosci (2002) 25, 131–134).
Lancaster, M.A. et al. (2013), Cerebral organoids model ­human brain development and microcephaly, Nature 501, 373–381.

Foto © panthermedia.net| Danilo Ascione, ersler dmitry

Stichwörter:
tissue engineering,

L&M 2 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2014.
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