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tRNA - Neue Funktionen für alte Bekannte

Weit mehr als passive Adaptoren in der Proteinsynthese

Dr. Heike Betat, Prof. Dr. Mario Mörl, Institut für Biochemie, Universität Leipzig

In den 50er-Jahren spekulierte Sir Francis Crick im berühmten RNA Tie Club, dass alle Zellen kleine Adapter besitzen müssten, die in der Lage sind, den genetischen Code der mRNA (und damit der DNA) in Aminosäuren der zu synthetisierenden Proteine zu übersetzen. Wenig später wurden diese Adaptoren tatsächlich als tRNA-Moleküle identifiziert. Durch ihre Funktion vornehmlich als Teil der Proteinbiosynthese- Maschinerie angesehen, kennt man mittlerweile eine überraschende Fülle weiterer Funktionen dieser faszinierenden kleinen RNAs (Abb. 1).

Die klassische Funktion: tRNAs als Aminosäure-Lieferanten

tRNAs zählen zu den ältesten Molekülen der belebten Natur und sind vermutlich Überbleibsel aus einer präbiotischen RNAWelt. Sie sind in allen Lebewesen nahezu identisch aufgebaut und unterscheiden sich in Größe und Struktur nur gering. Mithilfe von Basenpaarungen bilden sie eine charakteristische kleeblattähnliche Sekundärstruktur, die sich in eine L-förmige Tertiärstruktur faltet, die durch ein komplexes Netzwerk aus Wasserstoffbrücken stabilisiert wird (Abb. 1). Dabei trägt das eine Ende der Struktur das aus drei Basen bestehende Anticodon, womit die tRNA ein spezifisches Codon der mRNA erkennen kann. Am anderen Ende der L-förmigen Struktur trägt die tRNA die hoch konservierte einzelsträngige Sequenz CCA, an welche die zum Anticodon passende Aminosäure angeheftet wird. Diese beiden Bereiche – Anticodon und Aminoacylierungsposition – sind für die zentrale Rolle der tRNA in der Proteinbiosynthese essenziell. Durch die Wechselwirkung mit einem spezifischen Codon kann die tRNA die zugehörige Aminosäure an die entsprechende Position im wachsenden Polypeptid bei der Proteinsynthese dirigieren.

tRNAs tragen aktiv zur Proteinsynthese bei

Interessanterweise erfüllen tRNAs aber nicht nur diese passive Funktion als Adaptoren in der Translation, sondern sind an vielen weiteren Funktionen in der Zelle beteiligt, deren Anzahl durch neue Forschungsergebnisse immer größer wird [1]. So übernimmt die tRNA in der P-Stelle des Ribosoms beim Peptidyltransfer tatsächlich eine zentrale Rolle und aktiviert mit seiner terminalen 2’-OH-Gruppe am CCA-Ende die Aminogruppe der Aminoacyl-tRNA in der A-Stelle. Wird diese OH-Gruppe der tRNA jedoch gegen eine nicht reaktive Gruppe ausgetauscht, so findet die Verknüpfungsreaktion zwischen der Peptidkette und der einzubauenden Aminosäure im Ribosom praktisch nicht mehr statt. Dies zeigt, dass die tRNA nicht als passiver Aminosäure-Lieferant anzusehen ist, sondern einen direkten Beitrag zur Katalyse der Proteinsynthese beiträgt [2].


Abb. 1 tRNA zeigen eine typische kleeblattähnliche Sekundärstruktur, die sich zu einer Tertiärstruktur in Form eines auf dem Kopf stehenden Buchstabens "L" zusammengelagert.

tRNAs als Protein-Faltungshelfer

Zusätzlich sind tRNAs in die Faltung von neu synthetisierten Proteinen involviert. Die Zelle setzt an bestimmten Positionen im Gen für ein Protein gezielt seltene Codons ein, sodass das Ribosom an der entsprechenden Stelle der mRNA zum Pausieren gezwungen ist, bis die passende AminoacyltRNA gefunden ist. Dieses Pausieren ermöglicht es dem bereits synthetisierten Anteil des Proteins, sich korrekt zu falten, bevor weitere Protein-Domänen gebildet werden, die die Faltung möglicherweise behindern würden. Die Translationsgeschwindigkeit entlang der mRNA ist somit nicht einheitlich, sondern wird durch die Verwendung seltener Codons und die damit assoziierte geringe Konzentration der passenden tRNA bestimmt [3]. Dies erklärt, weshalb Basenaustausche, die zwar ein Codon, aber nicht seine Bedeutung im Hinblick auf die einzubauende Aminosäure verändern (stumme SNPs), einen veränderten, bisweilen sogar pathologischen Phänotyp hervorrufen können, indem sie das Pausierungsmuster der Translation stören. Es gibt Hinweise, dass dies unter anderem die Ursache von Proteinaggregationen in einigen neurodegenerativen Erkrankungen darstellt [4].

tRNAs und Proteinabbau

Interessanterweise sind tRNAs aber nicht nur an der Synthese, sondern auch am gezielten Abbau von Proteinen beteiligt. In einem ubiquitären Degradationssystem, dem N-end rule pathway, werden zum Abbau vorgesehene Proteine durch das Anheften von bestimmten Aminosäuren am N-Terminus markiert. Unter einer Vielzahl verschiedener derartiger Abbausignale finden sich auch die Aminosäuren Arginin, Leucin oder Phenylalanin, die mittels tRNAProtein- Transferasen von den spezifischen Aminoacyl-tRNAs auf die N-Termini von Proteinen übertragen werden. Die so markierten Proteine werden anschließend in der Zelle abgebaut und weisen gegenüber nicht markierten Proteinversionen eine deutlich verringerte Halbwertszeit auf [5].

tRNAs in der Ribosomenunabhängigen Proteinsynthese

Eine weitere, nichtribosomale Verwendung von an tRNAs gebundenen Aminosäuren findet man bei der Synthese von speziellen Antibiotika wie Valanimycin, das von Streptomyces viridifaciens gebildet wird und antibakterielle bzw. Anti-Tumor-Aktivität besitzt [6]. Dabei werden die Aminosäuren Valin und in einem späteren Schritt Serin in Form der entsprechenden aminoacylierten tRNAs in die Synthese eingeschleust. Interessanterweise existiert für die hier eingesetzte tRNA für Serin eine spezielle Seryl-tRNASynthetase, die sich von der üblichen SeryltRNA- Synthetase, die in die Proteinbiosynthese involviert ist, unterscheidet. Der funktionelle bzw. biochemische Grund für diese Differenzierung ist jedoch noch nicht bekannt. Ein ähnlicher Einsatz von Aminoacyl-tRNAs in der ribosomenunabhängigen Peptidsynthese ist in einigen weiteren Fällen nachgewiesen. So verwenden etwa Cyclodipeptid-Synthasen Aminoacyl-tRNAs, um ringförmige Dipeptide mit antibakteriellen Eigenschaften wie etwa Albonoursin aus Streptomyces noursei zu bilden [7].

Synthesen von Tetrapyrrolen, bakteriellen Zellwänden und Membranmodifikationen

Überraschenderweise findet man aber eine Beteiligung von tRNAs nicht nur bei der Herstellung ungewöhnlicher Peptide, sondern auch bei der bakteriellen Zellwandsynthese sowie bei der Modifikation von Membranlipiden. So sind in der Zellwand Gram-positiver Bakterien lange Ketten von N-Acetylglucosamin (NAG) und N-Acetylmureinsäure (NAM) über Peptidbrücken zum vielschichtigen Peptidoglycan quervernetzt. Bei dieser Vernetzung sind kurze kovalent an NAM gebundene Peptide durch eine Brücke aus fünf Glycin-Resten mit den Peptidgruppen anderer NAM-Untereinheiten verbunden. Diese Glycin-Reste stammen dabei allesamt von entsprechend beladenen tRNAs. Dabei existieren in Staphylococcus aureus mehrere Glycyl-tRNAs, die ausschließlich zur Peptidoglycan-Synthese eingesetzt und nicht in der ribosomalen Proteinbiosynthese verwendet werden [8]. Neben dem Peptidoglycan kann auch die Zellmembran als Substrat zum Einbau von tRNA-gekoppelten Aminosäuren dienen: An die stark negativ geladenen Kopfgruppen einiger Lipide wie Phosphatidylglycerin werden in manchen Bakterien die Aminosäuren Lysin oder Alanin kovalent gebunden, wodurch die Ladungen teilweise neutralisiert werden. Dies führt zu einer erhöhten Resistenz der Zellen gegen kationische antibakterielle Peptide, so genannte Defensine oder CAMPs (cationic antimicrobial peptides). Die an die Kopfgruppen der Lipide angehefteten Aminosäuren stammen von den entsprechenden Lysyl- und Alanyl-tRNAs, die von Aminoacyl-Phosphatidylglycerol- Synthasen als Aminosäure-Donor genutzt werden [9]. Der bekannteste Vertreter dieser Enzyme ist der Multiple Peptide Resistance Factor 1 (MprF1), der unter anderem in Bacillus-, Clostridium- und Staphylococcus- Arten nachgewiesen wurde. Eine gezielte Inhibition dieses Faktors könnte die Empfindlichkeit gegenüber Defensinen und Antibiotika erhöhen und so möglicherweise zu einem neuartigen Therapieansatz bei bakteriellen Infektionen führen [10]. Auch in der Tetrapyrrol-Synthese stellt eine Aminoacyl-tRNA ein wichtiges Ausgangssubstrat dar. So beginnt in einigen Organismen die Bildung der 5-Aminolävulinsäure mit einer beladenen tRNA für Glutamat (glutamyl-tRNAGlu), die anschließend zu Glutamat-1-semialdehyd reduziert wird, woraus in weiteren Schritten Häm, Chlorophyll und andere Tetrapyrrol-Abkömmlinge gebildet werden [11].

tRNAs als Regulatoren der Genexpression

Zusätzlich zu diesen Funktionen als Substrat in unterschiedlichsten Reaktionen spielen tRNAs auch als Regulatoren der Genexpression eine interessante Rolle. So fand man in Gram-positiven Bakterien ein tRNA-abhängiges Kontrollsystem zu Regulation der Aminosäure-Synthese, die so genannte T-Box. Wenn für eine bestimmte Aminosäure ein Mangel in der Zelle herrscht, kommt es zwangsweise zur Anhäufung von nicht beladenen tRNAs für diese Aminosäure. Diese tRNAs können dann das T-Box-Strukturelement in der 5’-untranslatierten Region von mRNAs binden, die für Proteine codieren, die zur Aminosäurebiosynthese benötigt werden. Über eine Basenpaarung der 5’-UTR mit dem Anticodon der tRNA wird die der Aminosäure entsprechende tRNA selektiv gebunden. Das unbeladene CCA-Ende der tRNA kann dann ebenfalls mit Basen der 5’-UTR interagieren, wodurch die Ausbildung einer Terminatorstruktur in der mRNA verhindert wird, die die Transkription vorzeitig stoppen würde. Im umgekehrten Fall kann eine aminoacylierte tRNA (wenn also ausreichend Aminosäure vorhanden ist) nicht an die 5’-UTR binden. Dadurch bleibt der Terminator erhalten und die Transkription der Synthese-Gene wird unterbrochen, da die entsprechenden Enzyme zur Aminosäure-Synthese nicht benötigt werden. Somit fungieren tRNAs hier als Sensor, der über seinen Beladungszustand signalisiert, ob eine Aminosäure in ausreichender Menge vorhanden ist oder ob ihre Synthese durch die Expression der entsprechenden Gene gestartet werden muss [12]. Auch in Eukaryonten kann der Beladungszustand von tRNAs zu Rückkopplungsmechanismen in der Genexpression führen. In Hefe existiert ein Kontrollsystem (General Amino Acid Control, GAAC), das anhand der Konzentration von unbeladenen, deacylierten tRNAs die Aktivität des Initiationsfaktors eIF2 für die Translation reguliert [13]. Die Proteinkinase Gcn2p wird durch unbeladene tRNAs stimuliert und phosphoryliert eIF2, dessen Aktivität dadurch stark reduziert wird. Infolgedes sen kommt es zu einer generellen Reduktion der Translation in der Zelle. Dies ist sinnvoll, da aufgrund der fehlenden Aminosäure(n) eine effiziente Proteinbiosynthese nicht möglich wäre. Interessanterweise kann hier ein Aminosäuremangel zur Deacylierung weiterer tRNAs führen, die den beschriebenen regulatorischen Effekt vermutlich noch stimulieren [14]. Eine weitere regulatorische Funktion konnte in einer Vielzahl von Pro- und Eukaryonten, einschließlich Säugerzellen, beobachtet werden. Bei Aminosäure-Mangel und in bestimmten Stress-Situationen werden unbeladene tRNAs durch spezifische Endonukleasen wie Angiogenin in der Anticodon- Schleife geschnitten. Die dabei entstandenen tRNA-Hälften werden als tiRNAs (tRNA-derived, stress-induced small RNAs) bezeichnet. Während man ursprünglich glaubte, die Zelle entsorge auf diese Weise überschüssige tRNAs, zeigen neuere Daten, dass diese tiRNAs die Translation inhibieren können und somit eine weitere Kontrollinstanz der Genexpression liefern [15]. Es zeigt sich also, dass tRNAs neben ihrer ursprünglich beschriebenen Funktion als passive Adaptoren in der Proteinsynthese noch viele weitere interessante und wichtige Aufgaben in der Zelle erfüllen. Die hier beschriebenen Beispiele zeigen allerdings nur einen kleinen Teil dieser Funktionen, und es werden im Lauf der nächsten Jahre sicher weitere spannende Entdeckungen hinzukommen. Auch wenn diese kleinen Transkripte bereits vor mehr als 50 Jahren entdeckt wurden, ist ihre Funktionsvielfalt noch lange nicht geklärt. Die weitere Untersuchung von tRNAs stellt somit auch in Zukunft ein äußerst spannendes Forschungsfeld dar.


Literatur
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chemical scaffold for diverse chemical transformations.
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[3] Zhang, G., Hubalewska, M. and Ignatova, Z. (2009).
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and co-translational folding. Nat. Struct. Mol. Biol. 16,
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defensin resistance. FEMS Microbiol. Lett.
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of heme biosynthesis. Arch. Biochem. Biophys.
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[12] Green, N.J., Grundy, F.J. and Henkin, T.M. (2010). The T
box mechanism: tRNA as a regulatory molecule. FEBS
Lett. 584, 318–324.
[13] Hinnebusch, A.G. (2005). Translational regulation of
GCN4 and the general amino acid control of yeast. Annu.
Rev. Microbiol. 59, 407–450.
[14] Zaborske, J.M., Narasimhan, J., Jiang, L., Wek, S.A., Dittmar,
K.A., Freimoser, F., Pan, T. and Wek, R.C. (2009).
Genome-wide analysis of tRNA charging and activation
of the eIF2 kinase Gcn2p. J. Biol. Chem. 284, 25254–
25267.
[15] Yamasaki, S., Ivanov, P., Hu, G.F. and Anderson, P.
(2009). Angiogenin cleaves tRNA and promotes stressinduced
translational repression. J. Cell. Biol. 185, 35-
42.

Stichwörter:
tRNA, Proteinbiosynthese

L&M 3 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 3 / 2010.
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