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Müllabfuhr in der Zelle

labor&more im Gespräch mit Dr. Thomas Wollert, Preisträger des 20. Eppendorf Award for Young European Investigators

Wie entsorgen Zellen geschädigte oder defekte Bestandteile? Wie funktioniert die ­zelluläre Müll­abfuhr? Dr. Thomas Wollert, Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare ­Membran- und Organell-Biologie am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried, gelang es, hochkomplexe Prozesse wie das Recyclingsystem der Zelle im ­Reagenzglas nachzubauen. Für seine grundlegenden Arbeiten zu ­intrazellulären Transport­mechanismen wurde er mit dem Eppendorf Award for Young European ­Investigators 2015 ausgezeichnet.

Dr. Thomas Wollert, Preisträger des Eppendorf Award for Young European Investigators 2015, und Claudia Schiller, labor&more, während der Award-Ceremony am EMBL Advanced Training Centre in Heidelberg

Zum 20.Mal wurde der international angesehene Preis verliehen, mit dem die Eppendorf AG gemeinsam mit dem Fachjournal Nature herausragende Forschungsarbeiten junger Wissenschaftler auf dem biomedizinischen Sektor in Europa würdigt. Das Forschungsinteresse des diesjährigen Preisträgers Dr. Thomas Wollert gilt der Autophagozytose, einem zentralen Prozess im Entsorgungssystem der Zelle. Thomas Wollert konnte Schlüsselschritte dieses komplexen Vorgangs unter Verwendung künstlicher Membranen und aufgereinigter Komponenten in vitro rekonstruieren und erhielt so detaillierte Einblicke in bis dato noch unverstandene Mechanismen. Seine bedeutenden Forschungsergebnisse legte Dr. Wollert unter anderem in einem Cell-Paper (DOI: 10.1016/j.cell.2013.12.022) dar.

Herr Dr. Wollert, wie sind Sie insbesondere zu dem Thema Autophagozytose gekommen und was fasziniert Sie daran?

Was mit einem rein strukturbiologischen Projekt während meiner Doktorarbeit am Helmholtz-Zentrum für Infektionsbiologie in Braunschweig begann, entwickelte sich schnell in Richtung Biophysik, Zellbiologie und Infektionsbiologie, so dass ich mit einer Vielzahl neuer Methoden konfrontiert war. Während meiner Postdoc-Zeit am National Institutes of Health (NHI) in Bethesda, USA, wollte ich mein „experimentelles Repertoire“ ausbauen. Dort ist es mir gelungen, einen komplexen Prozess, der verantwortlich für den Abbau von Membranrezeptoren ist, im Reagenzglas nachzubauen. Der Erfolg dieser Studie machte es mir möglich, mein eigenes Labor aufzubauen. Um tatsächlich unabhängig arbeiten und forschen zu können, entschied ich mich, das Forschungsthema gänzlich zu wechseln, jedoch im Feld des „Membrantransports innerhalb von Zellen“ zu bleiben. So widmete ich mich der Autophagozytose, einem Recyclingprozess, der eine zentrale Rolle in der Aufrechterhaltung der Homöostase der Zelle spielt und der bereits etwas, was man wohl ein „hot topic“ nennt, war. Schon das erste Projekt, das wir in meinem Labor „von null“ begonnen haben, zeigte einmal mehr das Potenzial des experimentellen Ansatzes und resultierte in dem bereits erwähnten Cell-Artikel. An der Autophagozytose fasziniert mich, dass die Zelle eine ganz ungewöhnliche Membranstruktur, einer Schüssel gleichend, quasi aus dem Nichts bildet, d.h. aus kleinen Membranvesikeln, die als Membrandonor fungieren. Die schüsselförmige Membran umschließt während ihrer Expansion nach und nach zytoplasmatische Bestandteile der Zelle und bildet das Autophagosom, das seinen Inhalt zu den Lysosomen, den Recyclingstätten der Zelle, transportiert. Es wurden bisher 40 Proteine als für die Autophagozytose spezifisch identifiziert. Wie deren Interaktion mit Membranen aber zur Bildung der schüsselförmigen Vorläufermembran des Autophagosomen beiträgt, war gänzlich unverstanden. Das weckte mein Interesse und hält es bis heute hellwach.


Struktur des Autophagozytose-Gerüstes. Von der Membran (schwarz) ausgehend, erhebt sich allmählich (gelb-rot) das Netzwerk bis zum Höhengrad (weiß). Die zweidimensionale Karte wurde auf eine Kugel projiziert, die das Autophagosom darstellen soll.

Bei Ihrem experimentellen Ansatz konnten Sie die Autophagozytose von Grund auf in einem Reaktionsgefäß nachbilden. Wie entstand dieses besondere Konzept, was waren die Schwierigkeiten dabei und worin besteht die Zielsetzung Ihrer Arbeit?

Unser Konzept, zelluläre Prozesse im Reagenzglas nachzubauen, basiert darauf, Komponenten, herausgelöst aus der komplexen und mit-einander vernetzten zellulären Umgebung, zu untersuchen. Speziell Membrantransportprozesse sind in der Zelle eng miteinander vernetzt, sodass deren lebhafte Interaktion häufig experimentelle Probleme bereitet, die nicht gelöst werden können. So hat die Modifikation einer Komponente Auswirkungen, die aufgrund ihrer Komplexität nicht mehr einem speziellen Schritt in einem definierten Transportprozess zugewiesen werden können. Sind aber die Komponenten, die an einem Schritt beteiligt sind, bekannt, kann deren Analyse im Reagenzglas Aufschluss über ihre biochemischen und biophysikalischen Eigenschaften geben. Zudem können wir ihre Interaktion mit Modellmembranen untersuchen, um so einzelne molekulare Etappen auf dem Weg zum Autophagosom nachzubilden. Die Schwierigkeiten ergeben sich aus dem besonderen Ansatz, die Komponenten komplexer molekularer Maschinen zunächst isoliert von einander zu produzieren und sie dann an künstlichen Membranen wieder zusammenzubauen. Unser Ziel ist es, ein Autopha­go­som im Reagenzglas Schritt für Schritt entstehen zu lassen, um somit den Prozess der Autophago­zytose nachbilden zu können.

Die synthetische Biologie geht vom Konzept her noch weiter um künstliche Systeme gezielt zu entwerfen. Wo sehen Sie hier die Herausforderungen und Möglichkeiten und inwieweit können Sie von den Methoden profitieren?

Die Herausforderung in der synthetischen Bio­logie liegt darin, die Komponenten eines Systems zu identifizieren (was aufgrund der Komplexität der Zelle nicht trivial ist) und das System dann nach­zubauen. Hat man die Funktionsweise und die molekularen Mechanismen verstanden, kann man das gewonnene Wissen zur Entwicklung neuer Systeme nutzen. Das Ziel der synthetischen Bio­logie besteht momentan darin, eine Zelle mit einer minimalen Anzahl von Komponenten nachzu­bilden. Das Potenzial liegt vor allem im Minimalismus. Komplexe Prozesse im Reagenzglas nachzubilden heißt, sie verstanden und mani­pulierbar gemacht zu haben. Somit steht ein weites Feld ­industrieller Anwendungen wie z.B. die Produktion von Naturstoffen offen. Wir nutzen die Grundidee der synthetischen ­Biologie und kombinieren deren biophysikalische und ­biochemische Methoden mit zellbiologischen ­Untersuchungen, um molekulare Prozesse im ­Detail zu verstehen. Haben wir den molekularen Mechanismus der Autophagozytose zumindest in Teilen verstanden, erhoffen wir uns, Krankheiten gezielt behandeln zu können.

Welche Bedeutung kommt den von Ihnen ­gewonnenen Erkenntnissen im Hinblick auf therapeutische Ansatzpunkte zu?

Die Autophagozytose ist eine wichtiger Backup-Mechanismus der Zelle. Autophagozytose ermöglicht es Krebszellen, während der Chemotherapie zu überleben, indem sie durch die Therapie geschädigte zelluläre Komponenten, die eigentlich den Untergang der Krebszelle hervorrufen sollen, beseitigen. Hemmt man die Autophagozytose also in Krebszellen während der Chemotherapie, wird diese sehr viel effizienter und somit besser verträglich für den Patienten. Bei der Neurodegeneration wie sie bei z.B. Alzheimer oder Parkinson auftritt, reichern sich funktionsunfähige Bestandteile in der Zelle an und schädigen die Neuronen. Dies kann die Autophagozytose zwar nicht verhindern, jedoch kann sie das ange­reicherte Material erkennen und beseitigen, sodass die Zelle überlebt. Daher spielen bei der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen auch Funktionseinschränkungen der Autophago­zytose eine Rolle, ihre Aktivierung würde hier also den Untergang von Nervenzellen stoppen. Um jedoch gezielt eingreifen zu können und die Autophagozytose somit in bestimmten Zellen zu stoppen oder zu aktivieren, muss man auf molekularer Ebene ganz spezifisch Schlüsselschritte des Prozesses manipulieren. Dies kann nur gelingen, wenn dieser im Detail verstanden ist.

In seiner Laudatio bemerkte Prof. Reinhard Jahn, Direktor des MPI in Göttingen und Vorsitzender der Jury, dass Sie nicht gerne einen bereits geebneten Weg einschlagen und neue Herausforderungen suchen. Wie sehen nun Ihre nächsten Forschungsziele aus?

Wir bleiben der Autophagozytose treu. Wir haben einen kleinen Schritt auf dem Weg zum Autophagosom nachgebildet. Viele weitere Schritte warten noch, um letztendlich unser Ziel, ein Autophagosom im Reagenzglas nachzubilden, erreichen zu können ...

Sie haben großen Mut bewiesen, als junger Postdoc am NIH ein eigenständiges Projekt zu bearbeiten und es gelang Ihnen dann der unerwartete Erfolg. Welchen Rat können Sie jungen Nachwuchsforschern mit auf den Weg geben?

Auch mal verrückten Ideen nachzugehen und der Kreativität freien Lauf zu lassen. Ich wollte immer so unabhängig wie möglich sein und dabei viele Methoden erlernen. All das kommt mir jetzt als Leiter einer Arbeitsgruppe zugute, da ich verschiedenste experimentelle Methoden beherrsche und sie somit im Labor zur Anwendung bringen kann. Die Kreativität ist aber das Wichtigste. Wäre ich den gängigen Dogmen, die beispielsweise in der Autophagozytose herrschten, nachgegangen, hätten wir viele ­Projekte nicht zum Erfolg bringen können. Hier gilt häufig der Grundsatz: „Erstens ist es anders und zweitens als man denkt“. Also auch mal eingetretene Pfade in Frage stellen ;-)

(Interview: Claudia Schiller)

L&M 8 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 8 / 2015.
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