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Mikrobielle Ökologie - Yersinia: Effiziente Killer

Würmer und Insekten als Trainingsgelände für den Pesterreger und andere Pathogene?

PD Dr. Thilo M. Fuchs und Prof. Dr. Siegfried Scherer, Lehrstuhl für Mikrobielle Ökologie, Technische Universität München, Wissenschaftszentrum Weihenstephan

Bodenbakterien wie Bacillus thuringiensis sind seit Langem als Insektenkiller bekannt. Das aus ihnen gewonnene Bt-Toxin ist als Bestandteil gentechnisch veränderter Pflanzen ebenso bekannt wie umstritten. Ein weiteres insektizides Bakterium ist Photorhabdus lumineszenz, das als Symbiont im Darm von Fadenwürmern lebt. Diese Nematoden können in Larven des Tabakschwärmers eindringen und diese durch einen von den Bakterien gebildeten Tc-Toxinkomplex töten.

Der Insektenkadaver dient dann sowohl den Bakterien als auch den Nematoden als Nahrungsquelle [1]. Diese (Tc)-Proteine zählen zu einer neuartigen Proteinklasse, deren mögliche Anwendung in der Landwirtschaft als Alternative zu den Bt-Toxinen diskutiert wird. Tc-Proteine hat man auch bei Bakterien der Gattung Yersinia gefunden, zu denen u.a. der Pesterreger gehört. Wir konnten erstmals zeigen, dass Yersinia enterocolitica, ein Gastroenteritis auslösender Keim, tatsächlich Insektenkarven mithilfe der Tc-Toxine töten kann. Solche Interaktionen von Krankheitserregern mit wirbellosen Tieren könnten ein neues Licht auf die Evolution von Humanpathogenen werfen.

Toxinkomplexe mit insektizider Wirkung

Seit die tc-Gene erstmals in P. luminescens identifiziert wurden, fanden sich homologe Gene mit vergleichbarem insektiziden Potenzial nicht nur in Xenorhabdus nematophilus, einem weiteren Nematoden-Symbiont, sondern auch im Genom von Y. enterocolitica und Y. pseudotuberculosis. Beide Arten sind gastrointestinale Erreger und rufen im Menschen ein sehr ähnliches Krankheitsbild namens Yersiniose in Form einer unspezifischen, meist von allein abklingenden Diarrhö hervor. Sie sind in der Natur weit verbreitet und können, ausgehend von Umweltreservoiren wie beispielsweise Boden oder Oberflächenwasser, über eine Infektionskette, die häufig Nutztiere und Lebensmittel umfasst, bis zum Menschen gelangen. Für den Menschen stellt der Verzehr symptomlos infizierter Schweine sowie anderer, sekundärkontaminierter Nahrungsmittel die wichtigste Infektionsquelle dar [2]. Unklar blieb allerdings lange Zeit, welche Rolle die insektiziden Gene im komplexen Lebenszyklus der Yersinien spielen.

Yersinien als Invertebratenkiller

Um das herauszufinden, verfütterten wir Proteinextrakte von Y. enterocolitica an Larven des Tabakschwärmers Manduca sexta, die dann tatsächlich innerhalb weniger Tage starben, wohingegen die Kontrollgruppe, die Proteinextrakte ohne Tc-Proteine erhielt, überlebte. Damit war erstmals eine Toxizität von Yersinien gegenüber Insekten demonstriert worden, und diese hing eindeutig mit den tc-Genen zusammen. Eine Be sonderheit dieser Gene ist ihre strikte Temperaturabhängigkeit, d. h. ihre Produkte, die Tc-Proteine, werden nur bei niedrigen, nicht jedoch bei höheren Temperaturen gebildet [3]. Dies bekräftigt eine Aktivität der Toxine in der Umwelt und in wirbellosen Tieren (Invertebraten), nicht aber im Menschen. Wir infizierten dann Larven der großen Wachsmotte Galleria mellonella mit Y. pseudotuberculosis, und auch dieser Keim entfaltete letale Wirkung. Zu unserer Überraschung gilt dies auch für weitere, weniger bekannte und für den Menschen nicht gefährliche Yersinia-Arten wie Y. ruckeri, Y. frederiksenii oder Y. intermedia. Als wir schließlich noch den Fadenwurm Caenorhabditis elegans mit Bakterien fütterten, erwiesen sich die Yersinien erneut als effiziente Killer, deren stärkste Waffe die insektiziden Toxinkomplexe sind.

Wie entstand der Pesterreger?

Die Sequenzierung bakterieller Genome wies auch in Y. pestis homologe tc-Gene nach [4]. Haben diese im Pesterreger eine vergleichbare biologische Funktion? Charakteristisch für Y. pestis ist ein Lebenszyklus mit wild lebenden Nagetieren, überwiegend Ratten, als Reservoir und deren Flöhen als Überträger [5]. Im Vormagen des mit Y. pestis infizierten Flohs bildet sich ein biofilmähnlicher Pfropfen, der aus miteinander verklumpten Pesterregern besteht. Während der Floh versucht, von einem weiteren Säugetier Blut aufzunehmen, lösen sich einige Pesterreger aus dem Pfropfen heraus, vermischen sich mit dem Blut und gelangen so in die Wunde des befallenen Wirts [6]. Der Floh wird also lediglich als Träger missbraucht, und die Tötung seines vorübergehenden Wirtes würde dem Pesterreger keinen Vorteil, sondern vielmehr einen Nachteil bieten. In der Tat sind die tc-Gene von Y. pestis, der sich erst in „jüngerer“ Zeit, nämlich vor 1500–20000 Jahren von Y. pseudotuberculosis abgespaltet hat [7], bereits mutiert und funktionslos. Es wird daher spekuliert, dass sowohl der Erwerb der Biofilm-Gene als auch der Verlust der Insekten tötenden Gene maßgeblich zum Entstehen des Pesterregers beigetragen haben.

Invertebraten als neue Modellsysteme

Immer zahlreicher werden Studien, wonach humanpathogene Bakterien wie Salmonellen, Listerien, Pseudomonaden oder Streptokokken Wirbellose wie eben C. elegans und G. mellonella erfolgreich besiedeln und töten können. Solche Interaktionen galten bislang als artifiziell, da sie so noch nie in der Natur beobachtet werden konnten. Man spricht von „Modellsystemen“, weil einzelne Mechanismen der bakteriellen Pathogenität gegenüber dem Menschen mit anderen Organismen nachgebildet werden können. Dies führt letzten Endes zu der gewünschten Verfeinerung, Reduktion und Ersetzung („3R: refinement, reduction, replacement“) von Infektionsstudien mit Wirbeltieren. In der Tat weisen Mutanten der genannten Pathogene, deren Virulenz im Tier abgeschwächt („attenuiert“) ist, auch im Invertebratenmodell häufig eine Attenuation auf. Damit stellt sich aber die Frage, ob Invertebraten in Wirklichkeit gar keine bloßen Modelle, sondern natürliche Wirte pathogener Bakterien sind? Und, noch weiter gedacht: Könnte es sein, dass wir jetzt einen neuen Standpunkt einnehmen müssen, um die Evolution pathogener Bakterien besser verstehen zu können?

Seit 670 Millionen Jahren im Trainingscamp

Invertebraten sind zahlreich und vielfältig in der Natur vorhanden und können ganz offenbar von Bakterien durch Abtötung als Nährstoffquelle genutzt werden. Da sie teilweise eng mit Säugetieren vergesellschaftet sind, liegt die Vermutung nahe, dass Invertebraten ein möglicherweise unterschätztes Reservoir für bakterielle Krankheitserreger von Wirbeltieren darstellen. Mehr noch, müssen diese Bakterien oder ihre Vorfahren diese Fähigkeiten nicht schon vor langer Zeit besessen haben? Invertebraten treten schon im Präkambrium, das vor ca. 540 Mio. Jahren endete, Vertebraten im Ordovicium/ Silur (Ende vor ca. 438 Mio. Jahren) und Säugetiere verbreitet erst im Tertiär (vor ca. 65 Mio. Jahren) auf. Dies führt zu der faszinierenden Spekulation, dass Bakterien im äonenlangen Wechselspiel mit ihren niederen Wirten den Umgang mit Wirbeltieren und schließlich den Säugetieren bereits „trainiert“ haben und somit präadaptiert gewesen sein könnten, um auch den Menschen zu besiedeln. Bedenkt man die zahlreichen, übereinstimmenden Barrieren, die pathogene Bakterien in der Immunabwehr von wirbellosen Tieren und Säugetieren überwinden müssen, kann man vermuten, dass humanpathogene Bakterien zunächst lernten, sich gegen das Immunsystem der Invertebraten zur Wehr zu setzen und erst später die Evolution auf Wirbeltiere und dann auf Säugetiere als Wirtssystem vollzogen haben [8]. Am Beispiel der Yersinien konnten wir zeigen, dass die Erforschung der Assoziation von bakteriellen Krankheitserregern und Invertebraten unerwartete Einblicke in die Evolution von Krankheitserregern erlaubt. Es ergaben sich außerdem gute Gründe für die Annahme, dass weitere Studien auf diesem Gebiet bei der Entwicklung von Strategien zur präventiven Bekämpfung humanpathogener Keime hilfreich sein werden.

Literatur
[1] Bowen, D. et al. (1998): Insecticidal toxins from the bacterium Photorhabdus luminescens.
Science 280: 2129-2132.
[2] Bottone, E.J. (1997): Yersinia enterocolitica: the charisma continues. Clin Microbiol Rev 10:
257–276.
[3] Bresolin, G., Morgan, J.A.W., Ilgen, D., Scherer, S. and Fuchs, T.M. (2006): Low temperature-
induced insecticidal activity of Yersinia enterocolitica. Mol Microbiol 59: 503–512.
[4] Hinchliffe, S.J. et al. (2003): Application of DNA microarrays to study the evolutionary
genomics of Yersinia pestis and Yersinia pseudotuberculosis. Genome Res 13: 2018–2029.
[5] Joshua, G.W. et al. (2003): A Caenorhabditis elegans model of Yersinia infection: biofilm
formation on a biotic surface. Microbiology 149: 3221–3229.
[6] Perry, R.D. and Fetherston, J.D. (1997): Yersinia pestis-etiologic agent of plague. Clin
Microbiol
Rev 10: 35–66.
[7] Achtman, M. et al. (1999): Yersinia pestis, the cause of plague, is a recently emerged clone
of Yersinia pseudotuberculosis. Proc Natl Acad Sci USA 96: 14043–14048.
[8] Waterfield, N.R., Wren, B.W. and ffrench-Constant, R.H. (2004): Invertebrates as a source
of emerging human pathogens. Nat Rev Microbiol 2: 833–841.

Foto: © panthermedia.net | Peter Beck

Stichwörter:
Ökologie, Toxin, Insektizid

L&M 2 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2010.
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