Medizin aus MoosBioreaktoren für medizinische Wirkstoffe
Prof. Dr. Ralf Reski, Man mag sich kaum noch vorstellen, dass Insulin früher aus Schlachthausabfällen isoliert, aufgereinigt und dann in Ampullen gefüllt wurde. Die möglichen Verunreinigungen und damit die Gefahren für den Patienten sind offensichtlich. Heute werden die meisten komplexen Biopharmazeutika gentechnisch, also rekombinant, produziert. So konnte die Produktqualität deutlich verbessert werden. Außerdem können mithilfe der Gentechnik Proteine hergestellt werden, die so in der Natur nicht vorkommen, aber viel effizienter ihre Arbeit zum Wohle der Patienten erledigen. Einfache und komplizierte Proteine Einfach gebaute Proteine wie Insulin werden kostengünstig in Bakterien und Hefen produziert. Ist das Protein kompliziert und enthält zusätzliche Zuckermoleküle, muss es auch in einem komplexeren Produktionssystem synthetisiert werden. Solche Glykoproteine produziert die Industrie heute vorwiegend in Bioreaktoren mit gentechnisch veränderten tierischen Zellkulturen. Da diese aber sehr empfindlich sind und versteckte Krankheitserreger enthalten können, wird weltweit daran geforscht, Pflanzen so zu verändern, dass sie rekombinante Biopharmazeutika herstellen. Es begann als Nischenforschung Als wir vor gut 20 Jahren begannen, das Kleine Blasenmützenmoos (Physcomitrella patens) mit den Methoden der Molekularbiologie zu bearbeiten, war das weitgehend reine Nischenforschung. Eine mögliche biotechnologische Anwendung lag in weiter Ferne. Wir lernten, das Moos in einfachen flüssigen Medien in Bioreaktoren zu kultivieren und es gentechnisch zu verändern. Forscher der Universität Lausanne entdeckten, dass das Moos, ähnlich wie die Hefe, aber anders als alle anderen Pflanzen, DNA-Moleküle sehr passgenau in sein Erbgut einbauen kann. Diese effiziente homologe Rekombination machten wir uns zu Nutze, um gezielt Moosgene auszuschalten oder zu verändern. Solche Knockout- Moose haben die durch das zerstörte Gen kodierte Eigenschaft verloren und unterscheiden sich so von der Ursprungspflanze, dem so genannten Wildtyp. Außerdem konnten wir zeigen, dass Moos, wenn man ihm ein menschliches Gen „einpflanzt“, dies sehr effizient in ein menschliches Protein übersetzt. Damit waren alle wesentlichen Bestandteile des heutigen Moosbioreaktors zur Hand. Die meisten der nachfolgenden Arbeiten konnten wir in Verbundprojekten durchführen, die großzügig vom BMBF unterstützt wurden.
Ralf Reski von der Universität Freiburg forscht bereits seit über 20 Jahren am Kleinen Blasenmützenmoos Physcomitrella patens. Foto: Thomas Kunz Humanisierte Moosproteine Die wenigsten Pflanzen kann man in Bioreaktoren kultivieren. Im Gewächshaus oder gar auf dem Feld können die Bedingungen aber nie so kontrolliert werden, dass sie den Richtlinien für die Produktion von Medikamenten, dem so genannten GMP, entsprechen. Außerdem dekorieren Pflanzen ihre Proteine zwar mit im Prinzip denselben Zuckerketten wie wir Menschen, aber die pflanzlichen Glykoproteine besitzen zwei bestimmte Zuckerstrukturen, die der Mensch nicht besitzt. Diese pflanzenspezifischen Zuckerreste sind unter anderem für den Heuschnupfen verantwortlich – eine allergische Reaktion, die man bei Biopharmazeutika auf jeden Fall vermeiden muss. Wir identifizierten die dafür verantwortlichen Moosgene und schalteten sie gezielt aus. Mit Kollegen der Universität Wien zeigten wir, dass alle Glykoproteine des Mooses nun „humanisiert“ vorlagen. Überraschend war, dass die so hergestellten Knockout-Moose im Bioreaktor genauso gut wie der Wildtyp wuchsen und auch genauso effizient rekombinante Proteine produzierten. Dies war auch der Fall, wenn wir zusätzlich menschliche Gene für menscheneigene Zuckerstrukturen in diese Moose einbrachten. Mit diesem „Glykodesign“ werden gezielt verschiedene Zuckerstrukturen an die im Moos produzierten Proteine angehängt und so deren Lebensdauer und biologische Effektivität beeinflusst.
Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Moospflänzchens. Foto: Dr. Muhammad Asif Arif Effizientere Antikörper So gelang es der Freiburger Biotechnologiefirma „greenovation“, im Moosbioreaktor monoklonale Antikörper herzustellen, die im Biotest vierzigmal aktiver waren als vergleichbare, in tierischen Zellkulturen hergestellte Antikörper. Solche drastischen Verbesserungen sind natürlich kommerziell ein wichtiger Pluspunkt. Zudem hat der Moosbioreaktor einen weiteren Vorteil gegenüber Bioreaktoren mit tierischen Zellkulturen: Wir fanden heraus, dass das Moos Proteine in das einfache Medium entlässt, wenn man diesen zuvor kurze Signalsequenzen vorangestellt hatte. Mit Kollegen vom Freiburger Zentrum für Biosystemanalyse (ZBSA) konnten wir zeigen, dass diese Signalpeptide beim Übertritt vom Moos in das Medium von mooseigenen Enzymen abgeschnitten werden, sodass sich die intakten und biologisch aktiven Proteine anreichern. So kann man diese Biopharmazeutika relativ einfach und kostengünstig aus dem Medium aufreinigen und muss nicht die produzierenden Mooszellen zerstören. Dieses vergleichsweise kostengünstige downstream-processing ist also ein weiterer kommerzieller Pluspunkt für den Moosbioreaktor. Nachhaltige Bioproduktion Moose sind sehr genügsame Pflanzen. Neben preiswerten Mineralien und Wasser brauchen sie nur Licht und das klimaschädliche CO2, um daraus wertvolle Proteine zu produzieren. Zudem wachsen Moose in der Natur unter sehr verschiedenen Umweltbedingungen, sodass diese im Moosbioreaktor in einem weiten Bereich so eingestellt werden können, wie es für das jeweils zu produzierende Protein optimal ist. Zwei weitere Vorteile erschließen sich auch dem fachunkundigen Besucher solcher Produktionsanlagen: Weder bildet sich störender Schaum im Moosbioreaktor noch riechen diese Anlagen unangenehm. Beides kann man von Bioreaktoren mit tierischen Zellkulturen nicht gerade behaupten. Forscher der greenovation, der Göttinger Sartorius Stedium Biotech und vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben bereits einen Photobioreaktor entwickelt, in dem in 100 L Medium Moos unter GMP-Bedingungen Biopharmazeutika produziert.
Axenische in-vitro Kultivierung von Physcomitrella patens auf einer Agarplatte Foto: Ingrid Heger Systembiologie und Synthetische Biologie Zurzeit arbeiten wir mit Methoden der Systembiologie daran, das Wachstum der Moose im Bioreaktor sowie ihre Produktionsleistung zu modellieren, gezielt zu verändern und so zu optimieren. Mit Kollegen der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich fanden wir, dass Physcomitrella effizient auch genetische Kontrollelemente aus Viren und aus Säugern für die eigene Genregulation nutzen kann. Sogar vollkommen synthetische Kontrollelemente erwiesen sich als funktionell. Mit Kollegen vom MPI für Entwicklungsbiologie in Tübingen entwickelten wir künstliche microRNAs, um im Moos die Genexpression gezielt und dosiert zu modulieren. Kürzlich gelang uns die rekombinante Herstellung eines Proteins, das in der Immunantwort des Menschen eine wichtige Rolle spielt und das es bisher als Medikament nicht zu kaufen gibt. Deshalb bekam es von der EU den Status eines „orphan Axenische in-vitro Kultivierung von Physcomitrella patens auf einer Agarplatte der Göttinger Sartorius Stedium Biotech und vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben bereits einen Photobioreaktor entwickelt, in dem in 100 L Medium Moos unter GMP-Bedingungen Biopharmazeutika produziert. Foto: Ingrid Heger drug“ zugesprochen. Mit Kollegen vom Hans-Knöll-Institut (HKI) in Jena zeigten wir, dass dieser so genannte Komplementfaktor H aus dem Moosbioreaktor im Biotest voll funktionstüchtig war. Damit ist der Grund bereitet, das Kleine Blasenmützenmoos mit den Methoden der Synthetischen Biologie zu einem noch effizienteren Lieferanten für medizinische Wirkstoffe zum Wohle des Menschen zu machen.
Foto1: Klaus Polkowski |
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