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„Knochenanalytik“, Osteoporose und bildgebende Massenspektrometrie

Morschen Knochen auf der Spur

Im 2010 neu eingerichteten Transregio-Sonderforschungsbereich TRR 79 der Universitäten Gießen, Heidelberg und Dresden erforschen Chemiker, Materialwissenschaftler, Mediziner und Biologen neue Reparaturkonzepte für osteoporotisch erkrankte Knochen. Eine Schlüsselaufgabe hierbei ist die ortsaufgelöste chemische Analytik von Implantaten und angrenzenden Gewebebereichen. Diese anspruchsvolle Charakterisierung von anorganisch/biologischen Grenzflächen und -regionen ist eine Herausforderung für die bildgebende Massenspektrometrie.

Wenn Knochen weich werden …

In unserer rasch alternden Gesellschaft nimmt die Häufigkeit von typischen altersbedingten Krankheitsbildern zu. Hierzu gehört auch die systemische Skeletterkrankung Osteoporose, die in der Vergangenheit vornehmlich Frauen betraf. Osteoporose kommt auf leisen Sohlen und bleibt oft lange von den Betroffenen unbemerkt. Sie verringert die mechanische Stabilität von Knochen erheblich – macht die Knochen „weich und morsch“ – bis schließlich ein harmloser Sturz komplizierte Knochenbrüche verursacht. Im Knocheninneren haben sich zu diesem Zeitpunkt bereits die Anzahl der Knochenbälkchen und deren Verknüpfungen dramatisch verringert. Die Knochenmasse ist deutlich reduziert und zurück bleiben frakturanfällige Knochen, die ein massives Krankheitsrisiko darstellen. Mittlerweile kann man die Osteoporose als eine Volkskrankheit bezeichnen. Sie betrifft rund 8 Mio. Menschen alleine in Deutschland – Tendenz steigend. Waren in der Vergangenheit bisher vor allem Frauen nach der Menopause betroffen, steigt auch die Zahl der erkrankten Männer stetig.
Damit wächst nicht nur die gesellschaftliche, sondern auch die wissenschaftliche und sozioökonomische Herausforderung auf der Suche nach optimalen Behandlungsmethoden. So sind die derzeit zur Reparatur einer Fraktur verwendeten Implantate und Ersatzmaterialien nicht auf die spezifischen Eigenschaften des geschwächten osteoporotischen Knochens abgestimmt, der gegenüber dem gesunden Knochen eine verschlechterte Knochenbruch- bzw. Defektheilung zeigt. Daher entwickeln Forschergruppen weltweit neue Materialien und Implantate, die die spezifischen Bedürfnisse des systemisch erkrankten Knochens berücksichtigen und eine verbesserte Heilung erlauben. Mit der Einrichtung des Sonderforschungsbereiches TRR 79 der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Jahr 2010 machen sich nun Materialwissenschaftler, Biologen und Mediziner gemeinsam auf die Suche nach neuen und optimierten Materialien. Bei deren Entwicklung und Beurteilung spielt die Analytik und Charakterisierung dieser Materialien und deren Einfluss auf die biologische Umgebung eine zentrale Rolle. Lokal aufgelöste Massenspektrometrie – in unserem Fall speziell die Flugzeit-Sekundärionen- Massenspektrometrie (ToF-SIMS = Time of Flight Secondary Ion Mass Spectrometry) – könnte helfen, wichtige chemische Details der Oberflächen und vor allem der Grenzflächen von Implantat und Knochengewebe sowie im Knochen selbst zu erkennen.

Chemische 3D-Analytik mit ortsaufgelöster Massenspektrometrie

Zahlreiche chemische, physikalische oder biologische Fragestellungen haben in den letzten Jahren die Entwicklung von analytischen Methoden mit hoher räumlicher Auflösung („3D-Analytik“) motiviert. Zu den Methoden mit einem besonders großen chemischen Informationsgehalt gehört die Massenspektrometrie, die sich in den letzten Jahrzehnten zu einer der wichtigsten analytischen Techniken mit zahlreichen Varianten entwickelt hat. Mit Blick auf die ortsaufgelöste Massenspektrometrie haben heute besonders „MALDI-ToF“ und „ToF-SIMS“ eine rasch wachsende Bedeutung: Im ToF-SIMS wird die Probe mit einem Primärionenstrahl beschossen, um Sekundärionen aus der zu untersuchenden Probe herauszulösen. Diese Sekundärionen werden im eigentlichen Spektrometer massenselektiv „gezählt“. Im MALDI-ToF werden Sekundärionen mit einem Laserstrahl aus einer speziellen Matrix herausgelöst. Der Beschuss mit hochenergetischen Primärionen im ToF-SIMS führt zur starken Fragmentierung von organischen Molekülen in der Probe und die Fragmentzuordnung kann schnell zur aufwändigen Detektivarbeit werden. Für MALDI-ToF wird die Probe bei der Vorbereitung mit einer Hilfsmatrix imprägniert, die den Großteil der Laserenergie aufnimmt und die Fragmentierung von großen Molekülen verringert. MALDI-ToF ist daher heute eine etablierte Methode zur Identifikation von großen Molekülen.
Den Nachteil einer stärkeren molekularen Fragmentierung kompensiert die ToF-SIMS durch eine bessere örtliche Auflösung: Moderne ToF-SIMS erreicht eine laterale örtliche Auflösung von bis zu 100 nm. Bei der MALDI-ToF muss man sich bisher aufgrund der Grenzen der Laseroptik mit einer um den Faktor 100 schlechteren Auflösung von bestenfalls 10 ?m begnügen.

ToF-SIMS – mit dem Ionenstrahl auf der Suche

Die Sekundärionen-Massenspektrometrie ist im Grunde eine relativ alte Technik, die ihren Ursprung bereits in den 1950er-Jahren hat. Richard E. Honig entwickelte an den RCA-Laboratorien in Princeton das erste dynamische („abtragende“) SIMS und legte damit den Grundstein für eine immer noch andauernde Geräteentwicklung. In den späten 1960er-Jahren entwickelte die Gruppe um Alfred Benninghoven in Münster das erste statische SIMS. Anders als bei der dynamischen SIMS wird hier während der Analyse nicht mehr als 1 % der obersten atomaren Lage der Probe abgetragen. Die Methode etablierte sich zunächst in der anorganischen Elementanalytik. Die Aufladung der Probenoberfläche und die hohe Fragmentierung der untersuchten Proben schlossen die Analyse von elektrisch isolierenden Proben und Molekülen mit hohen Massen zunächst aus. Mit der Verfügbarkeit von Cluster-Ionenquellen seit ca. 2000 und mit der Nutzung von Ladungskompensationsmethoden geraten zunehmend auch organische und biologische Proben in das „Schussfeld“ der ToF-SIMS. Der Weg zur Routinemethode wird allerdings eine enge Zusammenarbeit von Physikern, Physikochemikern, Biologen und Medizinern erfordern. Der eher physikalisch-materialwissenschaftlich geprägte Geräteoperateur ist meist mit biologischen Proben nicht vertraut. Der Lebenswissenschaftler hingegen kennt das Potenzial der analytischen Technik nicht. Wie so oft bereitet auch die fehlende gemeinsame Sprache zweier Disziplinen ein zusätzliches Problem, das in einem Sonderforschungsbereich besonders effizient gelöst werden kann. In der Sekundärionen-Massenspektrometrie wird mit Primärionen als „Projektilen“ – heute meistens Gold- oder Bismutionen in Form von Atomen oder Clustern – auf die Probenoberfläche geschossen (ca. 25.000 Volt Beschleunigungsspannung). Die hochenergetischen Ionen dringen in die Oberfläche des zu untersuchenden Materials ein, verursachen unter der Oberfläche eine Stoßkaskade und führen zur Emission von verschiedenen Teilchen aus den obersten Atomlagen der Probe. Ein ganzer Zoo von chemisch naheliegenden, aber auch chemisch unerwarteten Teilchen (z.B. Lithium-Anionen) entsteht. In einem elektrischen Feld werden die entstehenden Sekundärionen in den Analysator gezogen. Für die Untersuchung von organischen Proben hat sich hier über die Jahre die Flugzeitanalyse durchgesetzt. Mit dieser Technik nutzt man aus, dass alle gleichwertig geladenen Ionen im elektrischen Feld eine gleich große kinetische Energie aufnehmen. Leichte Teilchen durchfliegen damit eine Folgestrecke sehr schnell, während schwere Teilchen langsam sind (E = ½mv ²). Am Ausgang des Analysators treffen die Sekundärionen auf einen Detektor, der die Teilchen zählt. Aus der Flugzeitverteilung wird dann rechnerisch ein Massenspektrum erzeugt. Damit die Flugzeitanalyse gelingt, darf natürlich nicht mit kontinuierlichen Primärionenstrahlen gearbeitet werden. Die Probe wird daher rund 10.000-mal pro Sekunde mit kurzen Primärionenpulsen von ca. 18 Nanosekunden Dauer beschossen.
Ähnlich wie in einem Rasterelektronenmikroskop wird nun der Primärionenstrahl über die Probe geführt und so können nach und nach von der Probenoberfläche lokal Massenspektren aufgenommen werden. Der Nutzer kann sich aus der enormen Datenmenge die ihn interessierenden Massensignale auswählen und dann vom Rechner eine zweidimensionale Massenlandkarte (Massenbild, SIMS imaging) erzeugen lassen. Der Strahlstrom der Primärionenquelle ist in der Regel so klein, dass die oberste Atomlage nicht abgetragen wird. In Abbildung 2 ist ein auf diese Weise sichtbar gemachter Fingerabdruck gezeigt. Mit deutlich intensiveren Ionenquellen, so genannten Sputterquellen, kann die Probe nach Untersuchung der Oberfläche in einem kleinen Bereich (ca. 200 ?m x 200 ?m) nach und nach in die Tiefe hinein abgetragen werden. Das Ergebnis ist eine dreidimensionale Massenlandkarte, die quasi ein 3D-Bild der chemischen Zusammensetzung liefert (siehe Abb. 1). Die Sache hat allerdings einen Haken: Die quantitative Auswertung in Richtung absoluter Konzentrationen erfordert großen Aufwand und in der Regel Konzentrationsstandards.

Auf dem Weg zur massenspektrometrischen Histologie am osteoporotischen Knochen

Im Rahmen des SFB-Projektes gibt es eine Reihe von Fragestellungen, deren Antworten wir mithilfe der TOF-SIMS-Analytik suchen. Dabei geht es um die Analyse neuer Materialien für den erkrankten und geschwächten Knochen, aber auch um die Klärung grundlegender Fragen: Können wir mithilfe von Masseninformationen einen Unterschied zwischen osteoporotischen und gesunden Knochen ausmachen? Können wir die veränderte Aktivität von Osteoblasten und Osteoklasten (knochenaufbauende und -abbauende Zellen) im erkrankten Knochen auch mit Informationen über die Massen von bestimmten molekularen/stofflichen Komponenten belegen? Die ToF-SIMS kann bei der Beantwortung dieser Fragen einen wichtigen Beitrag leisten [1, 2]. Die Kombination von hoch aufgelösten Massenspektren und bildlicher Information bietet im Sinne einer „massenspektrometrischen Histologie“ in optimalen Fällen die Möglichkeit, aus einfachen Gewebeschnitten Auskunft über die Zusammensetzung von Knochen und Gewebe zu erhalten. So können Knochenschnitte analysiert und ausgewertet werden, ohne dass diese – wie in der Histologie üblich – aufwändig und speziell auf die jeweilige Fragestellung abgestimmt eingefärbt werden müssen. Abbildung 3a zeigt die lichtmikroskopische Aufnahme eines solchen eingefärbten Knochenschnittes. Im oberen Bildbereich ist sowohl Implantatmaterial zu erkennen (braun), das in den Knochen eingebracht wurde, als auch neu gebildeter Knochen (hellblau). Im unteren Bildbereich ist das Knochenmark zu sehen. In Abbildung 3b ist zum Vergleich das entsprechende ToFSIMS Massenbild (500 ?m x 500 ?m) der gleichen Probe dargestellt. Ausgewählte Signale verschiedener Massen sind dabei auf die Totalionenintensität normiert und addiert worden. Sie fügen sich so zu einem der Mikroskopaufnahme entsprechenden Bild zusammen. Spannend sind nun die zusätzlichen Informationen, die das ToFSIMS Bild bietet. Es gibt Aufschluss darüber, ob bestimmte Elemente sich in besonderen Regionen ansammeln und aus welchen Regionen bestimmte molekulare Fragmente stammen. So können z. B. PO2 – und PO3 – -Signale zum einen dem Calciumphosphat des Knochens oder des Implantats zugeordnet werden, zum anderen können diese Signale auch aus zellulären Bestandteilen wie der Zellmembran (Phospholipide) stammen. Längerkettige Alkylfragmente lassen sich z. B. in den Bereichen der Fettvakuolen nachweisen. Somit können die verschiedenen Bereiche 1 = Implantat, 2 = sich bildender neuer Knochen, 3 = Saum von Zellen, 4 = Fettvakuole und 5 = Knochenmarkszellen zugeordnet werden.
Selbst einzelne Zellen können sichtbar gemacht und analysiert werden. Doch nicht nur das: Es ist auch möglich, Zellen dreidimensional zu untersuchen. Dazu wird mithilfe der C60-Sputterquelle nach und nach Zellmaterial abgetragen, um Tiefeninformationen zu erhalten [2]. Die Probe wird durch den Beschuss mit „Kohlenstoffbällen“ sanft und schonend abgetragen, was speziell für die Analyse biologischer Proben ein Vorteil ist. Der Abtrag einer Zelle – in diesem Fall handelt es sich um einen mehrkernigen Makrophagen – ist in Abbildung 4 gezeigt (Markierung). Das dargestellte CN–Signal kann als Fragment sowohl den Lipiden (Zellmembran), den Proteinen als auch den Aminosäuren (Zellkern) zugeordnet werden [3]. Die hier gezeigten Massenbilder stellen Aufnahmen nach unterschiedlichen Abtragszeiten dar, liefern somit also Informationen aus unterschiedlichen Tiefen der Probe bzw. hier der Zelle. Die gezeigten Aufnahmen gehören mit zu den ersten Projektergebnissen und eröffnen uns mithilfe der ToFSIMS-Analytik neue „chemische“ Einblicke in die Welt der Knochen und knochenbildender sowie abbauender Zellen. Die Autoren danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Finanzierung des Projektes „Grenzflächenchemie und 3D Analytik (M5)“ im Rahmen des SFB/TRR 79. Sie danken Eva Mutoro (MIT, Cambridge/USA) für Unterstützung beim Erstellen der Abbildung 1.

Literatur
[1] C. Eriksson, P. Malmberg, and H. Nygren, Time-of-flight secondary ion mass spectrometric analysis of the interface between bone and titanium implants. Rapid Communications in Mass Spectrometry, 2008. 22(7): p. 943-949
[2] J.C. Vickerman, J.S. Fletcher, and N.P. Lockyer, Developments in Molecular Sims Depth Profiling and 3d Imaging of Biological Systems Using Polyatomic Primary Ions. Mass Spectrometry Reviews, 2011. 30(1): p. 142-174
[3] H.F. Arlinghaus et al., Subcellular imaging of cell cultures and tissue for boron localization with laser-SNMS. Surface and Interface Analysis, 2004. 36(8): p. 698-701

L&M 4 / 2011

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 4 / 2011.
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