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Feurige Früchte

Feurige Früchte

„ Ein Leben ohne Chilis ist möglich, aber sinnlos.“ (frei nach Loriot)

Capsaicin gibt’s in der Natur nur in Chilis und kaum eine Frucht oder Pflanze fasziniert Menschen auf der ganzen Welt so sehr wie die feurigen Früchtchen. Und es gibt viel mehr als nur die „kleinen Roten“: Hunderte Chili-Sorten bieten eine unglaubliche Formen- und Farbenvielfalt. Neben der sprichwörtlichen Schärfe auch ausgesprochene Geschmacksabenteuer, außerdem zahllose gesundheitliche und medizinische Nutzanwendungen. Auch hier zu Lande gibt es immer mehr Chili-Fans, eine stetig wachsende Zahl mit den scharfen Schoten aufgepeppte Produkte und Speisen und der Chili-Anbau im heimischen Garten ist inzwischen für viele ein heißes Hobby.

Falscher Pfeffer

Ursprünglich stammen die Chilis aus Südamerika, wo sie als wild wachsende kleine rote Beeren schon vor 9000 Jahren gesammelt und konsumiert wurden. Vögel verbreiteten sie bis nach Mittelamerika und in die Karibik. Bereits vor etwa 4500 Jahren haben die Völker Mittelamerikas Chilis kultiviert, der Rest der Welt kam erst später in den Genuss der scharfen Schoten: Nachdem Kolumbus bei seiner irrtümlichen Entdeckung des amerikanischen Kontinents die Chilis dort für „Pfeffer“ hielt, ähnlich den aus Indien bekannten scharfen Beeren, wurden sie ab dem 16. Jahrhundert durch die Handelsflotten rund um die Welt verbreitet. Schnell entwickelte sich daher auch in Indien, Asien, Afrika sowie in verschiedenen europäischen Ländern eine scharfe Küche. Obwohl Chilis je nach Sorte mehr oder weniger scharf sind, haben sie botanisch nichts mit dem schwarzen Pfeffer zu tun, sondern gehören wie Kartoffeln, Tomaten und Bohnen zu den Nachtschattengewächsen. Auch wenn meist von „Schoten“ die Rede ist – botanisch korrekt sind es Beeren. Das große Plus der Chilis: Anders als schwarzer Pfeffer wachsen sie fast überall, der daraus resultierende erheblich niedrigere Preis trug enorm zur Verbreitung bei. Gängige Namen sind: Chili, Chili Pepper, Hot Pepper, Peperoncino (italienisch), Pimiento (spanisch), Paprika (ungarisch). Ab und zu stößt man auf Fantasienamen wie „Pfefferonen“. Die Bezeichnung „Paprika“ steht je nach Land für scharfe oder milde Sorten. Selbst der große milde Gemüsepaprika wurde übrigens aus den winzigen wilden Ur-Chilis gezüchtet – mehr Masse, keine Schärfe. Ziel aller Lebewesen ist die Reproduktion – alles Hinderliche versucht die Natur abzuwehren. Deshalb haben Kakteen Stacheln, Nüsse eine harte Schale. Bei Chili-Pflanzen kam Mutter Natur auf eine besonders verschärfte Idee, die überlebenswichtigen Früchte vor Fraßfeinden zu schützen, nämlich die Anreicherung mit Capsaicin: Nagetiere und andere Säuger hält dies vom Verzehr ab, während Vögel, die zur Verbreitung der Saat und damit zum Arterhalt beitragen, die Schärfe nicht spüren. Aufgenommen und ans Gehirn weitergeleitet wird der Schärfereiz über die Wärmerezeptoren, daher das Gefühl, dass es „brennt“. Im Mund wird die Chili-Schärfesubstanz Capsaicin vom Menschen selbst noch in 1 millionstel Verdünnung (1 ppm) wahrgenommen! Auch in „Pfefferspray“ steckt übrigens kein schwarzer Pfeffer, sondern scharfer Chili-Extrakt. Von der Natur ungeplant, haben wir Menschen am lustvollen Brennen der Capsaicinoide so viel Gefallen gefunden, dass Chilis heute neben schwarzem Pfeffer das weltweit wichtigste Gewürz sind. In den letzten zehn Jahren hat sich zudem weltweit ein regelrechter Chili-Kult entwickelt und auch bei uns gibt’s Chili-Fan-Foren im Internet, Treffen Gleichgesinnter („Chiliheads“) und Chili-Wettessen. Von der Schoko-Chili-Backmischung über Chili-Bier und -Cola bis zu „aufgepepperten“ Fischstäbchen kommen laufend neue „echt scharfe“ Produkte auf den Markt: Chilis sind „in“. Gemessen wird die Schärfe bekanntlich in Scoville-Einheiten (SHU), die sich aus der HPLCAnalytik (Capsaicingehalt mg/kg) durch Multiplikation grob mit 16 errechnen lassen. Für den kulinarischen Gebrauch reicht meist sogar eine Schärfeskala von 1 (mild) bis 10 (extrem scharf).

Warum sind Chilis überhaupt scharf?

Capsaicin, und wo es im Chili konzentriert auftritt

Auch wenn TV-Köche immer wieder mal behaupten, die Schärfe stecke in den Kernen: Das Capsaicin wird in der Plazentawand sowie in den Scheidewänden produziert; daher sind vor allem die diversen Innenwände erheblich schärfer als das Fruchtfleisch selbst. Die Samenkörner selbst enthalten weder viel Aroma noch Schärfe. Jede Chilifrucht lässt sich daher „entschärfen“, indem man vor der weiteren Verarbeitung ihr Innenleben komplett entfernt. Dabei am besten Handschuhe verwenden, um spätere ungewollte brennende Berührungen zu vermeiden!

Ein wenig Chemie

Chemisch ist dafür eine Reihe von Verbindungen verantwortlich, die – abgeleitet vom botanischen Pepper-Oberbegriff Capsicum – als Capsaicinoide bezeichnet werden. Hauptkomponente ist das Alkaloid Capsaicin (falls es Sie interessiert: Es ist ein Vanillyl-amid der 8-Methylnon-6-ensäure mit der Formel C18H27NO3). Capsaicin selbst ist farblos und – bis eben auf die Schärfe – geschmacklos. Außerdem ist es ziemlich beständig – es wird weder durch das Erhitzen beim Kochen noch durch Einfrieren zerstört. Isoliert präsentiert es sich als weißes Pulver, das in Alkohol, nicht aber in Wasser löslich ist (darum hilft es auch wenig, nach Genuß zu scharfer Chili-Pepper-Speisen Wasser zu trinken).

Was steckt sonst noch drin?

Außer der Schärfesubstanz Capsaicin, die durchblutet, den Stoffwechsel ankurbelt und munter macht, steckt noch mehr in den feurigen Früchtchen: Frische Chili, Paprika & Co. enthalten zum Beispiel eine ganze Menge Vitamin C – auf ihr Gewicht bezogen sogar rund dreimal so viel wie Zitrusfrüchte! Besonders die roten Früchte sind zudem reich an wertvollem Beta-Karotin. Außerdem enthalten Chili, Paprika & Co. Vitamin B6, B1 und B2, Niacin und als einzige Gemüseart enthalten sie in beachtlichem Maße das antioxidativ wirkende Flavonoid Vitamin P (Rutin). Und von wegen nur scharf: Neuesten Forschungen zufolge enthalten Chilis mehr als 200 Verbindungen, die deren Aroma bestimmen – eine ähnliche Komplexität also wie bei Wein oder dunkler Schokolade.

Chili-Flammen Löschen

Das „hervorstechendste“ Merkmal bleibt aber die Schärfe. Und wenn es mal zu viel des Guten war? Mit Wasser oder Bier wird es nur noch schlimmer, denn Capsaicin ist nicht wasser-, sondern fettlöslich. Daher helfen Milch, Jogurt und Eiscreme besser, die Flammen zu löschen. Unser Tipp ist ein indischer Feuerlöscher auf Jogurtbasis namens Lassi, ein erfrischendes Getränk, das am besten eisgekühlt getrunken wird: Einen Becher Jogurt mit zwei Bechern Wasser und 2–3 Esslöffeln Zucker im Mixer pürieren, je nach Saison auch Obst hinzugeben, z.B. Erdbeeren. Unser Favorit stammt aber aus Mexiko: Dort kursiert die Weisheit, dass Bier am besten hilft. Man muss nur genug davon trinken, bis man sich um die Schärfe nicht mehr schert!

Verschärfte Reisetipps

Diverse Events erfreuen die Fans der feurigen Früchte: Im September findet in Diamante (Kalabrien) das Festival del Peperoncino statt, fünf Tage im Zeichen der Diavolini, der kleinen roten Teufelchen. Hatch (New Mexico, USA) hält sich für die „Chili Capital of the World“, und auch wenn es doch eher provinziell zugeht, gibt’s hier ebenfalls jedes Jahr im September ein Chili-Festival. Im französischen Baskenland ist der herkunftsgeschützte Edel-Chili Piment d‘Espelette zuhause; jeweils am letzten Oktoberwochenende steht hier ein großes Erntefest mit vielen Ständen und Volksfestcharakter an. Wer im eigenen Land Würziges erkunden will, sollte bei Spicy’s Gewürzmuseum in Hamburgs historischer Speicherstadt vorbeischauen. Und wer Scharfes lieber zuhause genießen will, findet inzwischen diverse deutsche „Hot Shops“ im Internet, die von scharfen Soßen bis zu Chili-Gummibären so ziemlich alles anbieten, was mit Chilis zu tun hat.

Chilis in der Medizin

Die moderne Forschung fand heraus, welche Wirkungsprinzipien sich hinter den heilenden Kräften des Chili-Wirkstoffs verbergen; in medizinischen Publikationen weltweit finden sich tausende wissenschaftliche Veröffentlichungen zu diesem Thema. Neben traditionellen Pflastern und Salben gegen Rheuma und Rückenschmerzen reicht das Einsatzgebiet heute von Gürtelrose über Magengeschwüre bis zu Herzbeschwerden. Jüngste Forschungen beschäftigen sich sogar mit dem Chili-Einsatz gegen Diabetes und verschiedene Arten von Krebs.

Foto: © Harald Zoschke

L&M 4 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 4 / 2012.
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