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Automatisiertes Expositionssystem für Zellkulturen an der Gas-Flüssigkeits-Grenzschicht

Feinstaub in der Lunge

Die gesundheitlichen Auswirkungen gasgetragener Nano- und Feinst­­par­tikel werden kontrovers diskutiert. Um eine realitätsnahe Bewertung der Wirkung dieser Aerosole durch Bio­assays mit menschlichen Lungen­zellkulturen durchzuführen, wurde das voll automatisierte Vitrocell-Exposi­tionssystem entwickelt: So können Aerosole reproduzierbar auf die ­Zellen aufgebracht werden, um ­anschließend die biologischen Wirkungen zu untersuchen.

Neue Materialien – neue Chancen, neue Risiken?

Mit der Entwicklung der Messmethoden zu immer höheren Auflösungen und mit dem dadurch zunehmenden Verständnis für den submikronen Bereich hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten sowohl die Nutzung als auch die Risiko­bewertung von nanoskaligen Stoffen und Sys­temen stark verändert: Die Nanopartikel-technologie eröffnet neue Möglich­keiten im ­Bereich der Materialwissenschaften, führt aber in der großtechnischen Anwendung zu neuen Fragestellungen im Hinblick auf Arbeitsplatz­sicherheit und Umweltschutz. Der Reiz von Nano­partikeln, also Partikeln, die gemäß der EU-Norm in mindestens einer Dimension kleiner als 100nm (=100×10-9m) sind, liegt darin, dass sich die Mehrzahl ihrer Atome nicht mehr im Molekülinneren, sondern an der Außenfläche befindet und sich dadurch die makroskopischen Eigenschaften verändern können. Die Nanopartikel können z.B. erhöhte Löslichkeit und chemische Reaktivität sowie reduzierte Schmelzpunkte aufweisen. Auch Superparamagnetismus und höhere Brechungsindizes und damit größen­abhängige Farbigkeit wurden beobachtet. Neben den oft gewünschten „neuen“ physikalischen Eigenschaften können diese Partikel aber auch neue biologische Eigenschaften aufweisen, d.h., sie können in einem biologischen System bisher unbekannte oder für diesen Stoff „untypische“ biologische Antworten verursachen wie z.B. Entzündungen. Bisher als unbedenklich eingestufte Stoffe können also aufgrund ihrer geringen Größe als Nanopartikel zu einem potenziell schädlichen Produkt werden.

Unerwünschte Nanopartikel

Aber auch ungewollt entstandene Nanopartikel werden immer mehr zum Problem: Durch die Verbesserung von Verbrennungssystemen und Filtertechnik in Industrie und Verkehr ist die Luftbelastung seit den 80er-Jahren zwar stark gesunken, aber gleichzeitig trat der Feinstaub messbar in den Vordergrund: Der Schwellenwert für die Feinstaubbelastung von 50µg/m³, dessen Überschreitung an maximal 35 Tagen im Jahr erlaubt ist, wurde in Großstädten trotz der Einführung von Umweltzonen auch 2014 häufig überschritten. Dabei liegt dieser Wert noch ­deut­lich über der Empfehlung der WHO. In epi­demiologischen Studien kamen Dockery und Pope zu dem Ergebnis, dass die Luftverschmutzung mit Feinstäuben mit dem relativen Risiko von Erkrankungen und Todesfällen korreliert [1]. Im Rahmen mehrerer Studien konnten Wissen­schaftler auch in Deutschland nachweisen, dass die Zahl der Atemwegs- und der Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit der Konzentration an Feinstaub zunimmt [2]. Feinstpartikel können tief in den menschlichen Atemtrakt eindringen und dort über ein Jahr verweilen, bevor die Abrei­ni­gungsmechanismen der Lunge sie wieder aus dem Körper transportieren (Abb.1).


Abb.1 Abscheidegrade in Abhängigkeit der Partikelgröße für die verschiedenen Regionen des menschlichen Atemtrakts [9]

Je kleiner, desto tiefer

Während Partikel zwischen 1 und 10µm Durchmesser vor allem im Nasen-Rachen-Raum (grüne Kurve) und in den oberen Bronchien (gelbe Kurve) abgeschieden werden, dringen Partikel unter 1µm Durchmesser bis in die sekundären und tertiären Bronchien (blaue Kurve) und die Alveolen (rote Kurve) vor, in denen sie dann eine mittlere Verweilzeit bis zum Abtransport durch die Reinigungsmechanismen der Lunge von ca. 400 Tagen haben. Der Alveolarraum, in dem der Gasaustausch von Luftsauerstoff in das Blut und Kohlendioxid in die Atemluft stattfindet, weist beim Erwachsenen eine mittlere Gasaustauschfläche von 140m² auf. Da in diesem Bereich praktisch kaum Luftbewegungen vorherrschen, wird das Gas- und Partikelverhalten hauptsächlich durch Diffusionsprozesse charakterisiert.

Wie Nanopartikel untersucht werden

Die Zusammenhänge zwischen den Partikel­emissionen, ihrer Verweilzeit im menschlichen Körper und ihrer biologischen Wirkungen sind daher Gegenstand intensiver Untersuchungen. Da­bei werden neben epidemiologischen Studien Tierversuche durchgeführt, um systemische Effekte wie die Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersuchen zu können. Zunehmend werden Screening-Untersuchungen und Methodenentwicklungen auf Zellkulturbasis durchgeführt. Bei diesen Studien „im Glas“ (lateinisch: in vitro) werden die Zellkulturen den zu untersuchenden Partikeln ausgesetzt und nach einer definier­ten Inkubationszeit auf biologische Reaktionen untersucht. Diese Antworten können in sehr frühem Stadium nachgewiesen werden, z.B. Veränderungen der metabolischen Vorgänge in Zellen oder können erst nach einiger Zeit auftreten wie z.B. die Ausschüttung von Zytokinen (Botenstoffe), die als Marker für entzündliche Prozesse bekannt sind.

Das ALI-Verfahren

Bei toxikologischen Standardverfahren werden die Partikel im Nährmedium, das zur Kultivierung der Zellen benötigt wird, suspendiert und auf die Kulturen gegeben. Für die Untersuchung von Zellen, die aus Organen ohne Luftzutritt den Partikeln ausgesetzt werden können wie z.B. Darmzellen, ist diese Methode gut geeignet. Für die Inhalationstoxikologie gasgetragener Partikel aber ist diese sogenannte „submers“-Methode (submers=unter einer Flüssigkeit) weniger geeignet. Zum einen ist die vollständige Bedeckung von Lungenzellen mit Flüssigkeit unphysio­logisch, weil die Zellen in der Lunge nur mit einem dünnen Flüssigkeitsfilm bedeckt sind. Zum anderen werden die Partikel sowohl bei der Probenahme als auch bei der Applikation auf die Zellen durch das Kulturmedium stark beeinflusst, was die biologische Wirksamkeit deutlich verändern kann. Da die Partikel in der Flüssigkeit als Kolloid vorliegen bzw. teilweise agglomerieren, kann die auf den Zellen deponierte Dosis nicht exakt bestimmt werden. Daher wird seit einigen Jahren eine andere Technik verwendet, in der die Zellen an ihrer Gas-Flüssigkeits-Grenzschicht, d.h. die Zellen sind nur mit einem dünnen Flüssigkeitsfilm bedeckt, exponiert werden. Diese sogenannte ALI-Exposition (ALI=Air-Liquid-Interface) ist realitätsnäher und besser reproduzierbar. Insbesondere sind hier die Dosisverhältnisse besser definiert [3, 4].

Das bedienerfreundliche, ­automatisierte Expositionssystem
Am KIT wurde in Kooperation mit der Firma Vitrocell Systems GmbH (Waldkirch) ein automa­tisiertes Expositionssystem für ALI-Expositionen entwickelt (Abb.2). Dieses System ermöglicht sowohl die reproduzierbare Probenahme und Konditionierung von Aerosolen als auch die Exposition der Zellkulturen unter Bedingungen, die der menschlichen Lunge nachempfunden sind. Zusätzlich kann online die Dosis ermittelt werden [5]. Für die ALI-Exposition wurden Bioassays entwickelt und zur Untersuchung von Feinstpartikelemissionen aus Industrie [6, 7] sowie für Nanopartikel [8] angewendet.


Abb.2 Automatisiertes Expositionssystem zur reproduzierbaren Exposition von Bioassays an der ­Gas-Flüssigkeits-Grenzschicht. Links: Schematische Darstellung der verfahrenstechnischen Hauptkomponenten. Rechts: Foto des fertigen Produktes von Vitrocell Systems
Quelle: KIT, Vitrocell Systems GmbH

Zunächst wird aus dem jeweiligen Prozess eine Probe des zu untersuchenden Aerosols mit einem Volumenstrom von 1?m³/h entnommen und im ersten Schritt durch einen PM2,5-Low-Volume-Impaktor geleitet. Ziel der Vorabscheidung größerer Partikel ist, die Deposition in den oberen Atemwegen zu simulieren und zu vermeiden, dass einzelne große Partikel einen nicht reproduzierbaren Beitrag zur deponierten Masse verursachen und so die Analyse mit dem Bio­assay beeinträchtigen. Danach wird durch Wasser­dampfdosierung die relative Feuchte auf einen Wert von 85?%?r.H. eingestellt, um die Zellkulturen vor dem Austrocknen zu schützen. Das befeuchtete Aerosol strömt zur Stabilisierung in einen Partikelreaktor. Auf drei Ebenen befinden sich jeweils Probenahmesonden zur isokinetischen Probennahme, von denen das kondi­tio­nierte Aerosol anschließend in die einzelnen Expositionskammern der Vitrocell-Module geleitet wird. Zusätzliche Probennahmepunkte stehen für eine externe Partikelmesstechnik wie z.B. Mobilitätsanalysatoren oder eine Filterprobenahme für Elektronenmikroskopieproben zur Verfügung. Die Vitrocell Module sind das Herzstück des Systems: In ihnen werden die apikal auf Membraneinsätzen kultivierten Zellkulturen mit dem Aerosol beaufschlagt, während sie basal mit Nährmedium versorgt werden (Abb.3). Alle Kom­ponenten werden gleichmäßig auf 37°C temperiert. Zur Steigerung der Depositionseffizienz besteht die Möglichkeit, durch eine Elektrode unterhalb des Nährmediums eine Hochspan­nung anzulegen. Durch das so zwischen Aero­solinlet und Zellkultur erzeugte elektrische Feld werden geladene Partikel durch die elektrischen Kräfte verstärkt auf der Zellkultur deponiert.


Abb.3 Expositionskammer mit Transwellkulturschale. Oben: Schematische Darstellung mit Elektrode unter dem Nährmedium und den Strömungslinien des Aerosolflusses über die Zellkultur. Unten: Foto eines 4er-Vitrocell-Moduls für drei 6-well-Inserts und eine Schwingquarzmikrowaage in der Schublade des Expositionssystems
Quelle: KIT, Vitrocell Systems GmbH

Alle Flüsse werden durch integrierte Mass-Flow-Controller gesteuert. Die Bedienung des Gerätes erfolgt über einen Touch-Screen-Monitor. Die intuitive HMI (human-machine inter­face) Oberfläche für alle Steuerungs- sowie Datenerfassungsfunktionen wurde eigens für das Gerät entwickelt. Es besteht die Möglichkeit, das System in ein Netzwerk einzubinden.

Die Anlage ist bereits in zwei EU-Projekten (NanoMILE und QualityNano) sowie in dem ­virtuellen Institut der Helmholtz-Gemeinschaft (HICE) im Einsatz. Hierbei wurden bereits umfangreiche Erfahrungen mit Nano-Aerosolen gewonnen.


Tab.1 Übersicht über erfolgreich eingesetzte und untersuchte Aerosole, Zellkulturen und biologische Effekte

Fazit

Die bisherigen Erfahrungen mit dem automatisierten Expositionssystem zeigen, dass die Wirkungen von Nanopartikeln auf menschliche Lungenzellen reproduzierbar analysiert werden. Zahlreiche Gruppen aus europäischen Laboren haben Erfahrungen mit der neuen Technologie gesammelt. Da mit dem neuen System nun realitätsnahe Expositionen möglich sind, wird erwartet, dass erstmals eine valide Datenbasis zur Bewertung der von Feinstaubemissionen und Nanomaterialien durch In-vitro-Experimente geschaffen wird und die Anzahl von Tierversuchen in diesem Bereich reduziert werden kann.

Literatur
[1] Dockery, D. W. et al. (1993) New England Journal of Medicine 329, 1753–1759
[2] Kappos, A. et al. (2004) Int. J. Hyg. Environ.
Health 207, 399–407
[3] Paur, H.-R. et al. (2011) Journal of Aerosol Science 42, 668–692
[4] Nel, A. et al. (2013) Accounts of chemical research 46, 607–621
[5] Mülhopt, S. et al. (2009) Journal of Physics: Conference Series 170, S.012008/1–4
[6] Diabaté, S. et al. (2008) Alternatives to Laboratory Animals 36, 285–298
[7] Fritsch-Decker, S. et al. (2011) Particle and Fibre Toxicology 8,
[8] Panas, A. et al. (2014) Beilstein Journal of Nanotechnology 5, 1590–1602
[9] Kreyling, W. G. et al. (2006) Journal of Nanoparticle Research 8, 543 –562

Bild: © istockphoto.com| CDH_Design

L&M 2 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2015.
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