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Stofftransport über die Gasphase

Löst sich Sand in Wasser?

Natürlich nicht! Wo blieben unsere schönen Strände, wenn dies so wäre. ­Doch dieses „Nein“ ist nur bedingt richtig. Es gilt für unsere normalen Umwelt­bedingungen, für Wasser im flüssigen Zustand und unsere gewohnten Um­gebungstemperaturen. Ganz andere Eigenschaften hat Wasser jedoch, wenn man es in einen Behälter einschließt und auf einige Hundert Grad erhitzt.

Überkritisches Wasser als Lösemittel

Der Druck nimmt mit steigender Temperatur immer weiter zu. Die Dichte des flüssigen Wassers nimmt durch die thermische Ausdehnung ab, die Dichte des Dampfs durch den steigenden Dampfdruck immer weiter zu. Bei 374°C sind die Dichten von Flüssigkeit und Dampf gleich groß und betragen 0,32g/cm3, der kritische Punkt ist erreicht. Dieses überkritische Wasser hat nun ganz andere Eigenschaften als flüssiges Wasser. Es vermag viele Feststoffe, die bei Raumtemperatur in flüssigem Wasser praktisch unlöslich sind, nun in beträchtlichem Umfang aufzulösen. Dazu gehört beispielsweise auch das Siliciumdioxid, Hauptbestandteil des Sands der Strände an Nord- und Ostsee.

Die Löslichkeit eines Stoffs in einer Flüssigkeit ist fast immer temperaturabhängig, meist steigt sie mit der Temperatur. Chemiker nutzen dies beim „Umkristallisieren“, einem Reinigungsprozess im Laboralltag. Kühlt man die gesättigte Lösung eines Stoffes langsam ab, bildet sich der gelöste Stoff häufig in Form gut ausgebildeter und besonders reiner Kristalle zurück. Genau dies geschieht, wenn sich die überkritische ­Lösung von Siliciumdioxid langsam abkühlt, ein Vorgang, der im Laufe der Erdgeschichte immer wieder abgelaufen ist und noch abläuft. Es bildet sich „Bergkristall“, Siliciumdioxid, genauer a-Quarz. Die „Reaktionsbehälter“, die die Natur für diese hydrothermale Mineralisation bereitstellt, sind Hohlräume im Gestein. Wasser ist allgegenwärtig, die erforderlichen Temperaturen von einigen Hundert Grad waren in der Erdgeschichte vielerorts anzutreffen, z.B. in der Nachbarschaft von Vulkanen. Heute nutzt man die Hydrothermalsynthese von a-Quarz in der Technik für die Herstellung von Schwingquarzen für elektronische Geräte.


Abb.1 Synthetischer a-Quarz
Bild: Stefan Lebernegg

Chemische Transportreaktionen

Solche Vorgänge sind nicht auf Wasser als ­„Lösungsmittel“ für anorganische Feststoffe beschränkt. So berichtete Robert Wilhelm Bunsen im Jahre 1852 in der Sitzung der „naturwissenschaftlichen Section der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur“ über „vulkanische ­Exhalationen“, die er 1841 bei einem Ausbruch des Vesuvs beobachten konnte. Neben anderen frei werdenden Gasen konnte Bunsen dort große Anteile an Chlorwasserstoffgas nachweisen. ­Ohne den genauen Vorgang zu kennen, brachte er die Bildung von „Eisenglanzkrystallen“ (Hämatit, Fe2O3) in Vulkankratern mit der Anwesenheit von Chlorwasserstoff in Zusammenhang [1].

Es ist wohl ein Zufall, dass Harald Schäfer, damals Professor für Anorganische Chemie in Münster, beinahe 100 Jahre später gerade ­dieses der Natur abgeschaute Beispiel zum Anlass nahm, derartige Vorgänge eingehend zu untersuchen und zu verstehen [2]. Er und seine ­Mitarbeiter berichten über erste Ergebnisse in ­einer Publikation „Chemische Transportreaktionen. I. Über den Transport des Bodenkörpers im Temperaturgefälle mit Hilfe heterogener Gleichgewichte“. Dieser ersten Arbeit über „Chemische Transportreaktionen“, wie sie seitdem genannt werden, folgten bis heute mehrere Tausend weitere zu diesem Thema. Solche Vorgänge sind heute umfassend beschrieben, ­verstanden und können recht gut vorausberechnet werden [3].

Die Kristallisation des Hämatits, im Krater mancher Vulkane wie auch im chemischen ­Labor, lässt sich durch eine einfache Reaktion beschreiben: Festes Eisen (III)-oxid reagiert mit gasförmigem Chlorwasserstoff unter Bildung von gasförmigem Eisen(III)-chlorid und Wasserdampf. Diese Reaktion ist endotherm. Wie bei den allermeisten chemischen Reaktionen ist die Lage dieses chemischen Gleichgewichts abhängig von der Temperatur. Nach dem Prinzip des kleinsten Zwangs verschiebt sich bei einer ­endothermen Reaktion die Gleichgewichtslage bei sinkender Temperatur auf die Seite der Ausgangsstoffe; bei einer exothermen Reaktion ist dies genau umgekehrt. Kühlt man das bei der angesprochenen Reaktion gebildete Gemisch aus Eisen(III)-chlorid und Wasserdampf ab, ­bilden sich festes Eisen(III)-oxid und Chlorwasserstoff in gewissem Umfang zurück. Dieser Vorgang hat manche Ähnlichkeiten mit dem Umkristallisieren. Bei erhöhten Temperaturen löst sich ein fester Stoff meist besser in einem flüssigen Lösungsmittel als bei tieferen. Bei ­einer Transportreaktion ist das ganz ähnlich, nur ist das „Lösungsmittel“ nicht flüssig, sondern gasförmig, es ist in diesem Fall das Chlorwasserstoffgas. Man spricht auch von der sogenannten „Gasphasenlöslichkeit“. Anders als bei den meisten flüssigen Lösungen erfolgt der Lösevorgang bei einer Transportreaktion nicht – wie beispielsweise beim Auflösen von Zucker in Wasser – rein physikalisch, sondern durch eine chemische Reaktion. Im chemischen Labor nutzt der Festkörperchemiker solche Reaktionen meist, um besonders reine und wohl kristallisierte anorganische Feststoffe herzustellen.


Abb.2 Durch Chemische Transportreaktion erhaltener Hämatit
Bild: Stefan Lebernegg

Praktische Anwendungen

Zugegeben, die für die Bildung von Bergkristallen notwendigen Bedingungen sind extrem. Eine beträchtliche Anzahl anderer Metalloxide wird durch Wasserdampf auch bei normalem Druck und einigen Hundert Grad verflüchtigt. Hierzu zählen z.B. die Oxide von Magnesium, Calcium, Molybdän oder Zink. Auch Luftsauerstoff kann manche Metalle und Metalloxide in die Gasphase transportieren; erstaunlicherweise insbesondere Edelmetalle wie Platin und Iridium. Die wirksamsten und weit häufiger als Wasser und Sauerstoff verwendeten Transportmittel sind jedoch die reaktiven Halogene und auch viele Halogenverbindungen wie das oben erwähnte Chlor­wasserstoffgas.

So lassen sich fast alle chemischen Elemente in Form ihrer verschiedensten Verbindungen bei Temperaturen um 1.000°C in die Gasphase überführen und bei anderen Bedingungen auch ­wieder abscheiden. Bei allen Hochtemperaturprozessen muss mit solchen Reaktionen gerechnet werden. Von praktischer Bedeutung sind solche Prozesse in der Lampentechnologie: In Halogenlampen, Xenonlampen und jedem ­Beamer laufen solche Transportprozesse ab [4]. Von großem Nutzen können solche Vorgänge sein, wenn es gilt, bestimmte Bestandteile aus Stoffgemischen möglichst selektiv abzutrennen. Ein immer wiederkehrendes Problem ist die ­Abtrennung einzelner Komponenten aus einem Stoffgemisch. Es kann das Ziel sein, aus einem Industrieabfall einen toxischen Bestandteil, ein Schwermetall beispielsweise, zu entfernen, oder aber Spuren eines wertvollen Edelmetalls. So wie sich verschiedene Stoffe in einem flüssigen Lösungsmittel unterschiedlich gut lösen, kann auch deren Gasphasen­löslichkeit sehr verschieden sein und für eine Trennung genutzt werden.

Das Gasphasenverfahren vermeidet jede Form von Abwässern, das Transportmittel lässt sich wiedergewinnen und es wird nur in geringen, fast katalytischen Mengen benötigt – dies kann ökonomisch wie ökologisch von Vorteil sein.

Literatur
[1] Bunsen, R. (1852) Vulkanische Exhalationen, J. prakt. Chem. 56, 53
[2] Schäfer, H., Jacob, H., Etzel, K. (1956) Über den Transport des Bodenkörpers im Temperaturgefälle mit Hilfe heterogener Gleichgewichte, Z. Anorg. Allg. Chem. 286, 27
[3] Binnewies, M., Glaum, R., Schmidt, M., Schmidt, P. (2011) Chemische Transportreaktionen, De Gruyter
[4] Born, M. & Jüstel, T. (2006) Elektrische Lichtquellen, Chemie in unserer Zeit, 40, 294

Ein herzliches Dankeschön an ­Stefan Lebernegg für die Erstellung der ­beiden Kristallfotos.

Bild: istockphoto.com| Danijela Pavlovic Markovic

L&M 5 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 5 / 2015.
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