Neuartige Milchprotein-Mikrokapseln als WirkstoffvehikelEndstation Dickdarm
Michael Betz, Thomas Heidebach, Prof. Dr. Ulrich Kulozik, Lehrstuhl für Lebensmittelverfahrenstechnik und Molkereitechnologie, Technische Universität München Mikroverkapselung in der Lebensmitteltechnologie Die Mikroverkapselung ist definiert als ein Prozess zum Einschluss fester, flüssiger oder gasförmiger Substanzen (Kernmaterial) in Kapseln oder Matrices (Hüll- bzw. Matrixmaterial), die ihren Inhalt in Abhängigkeit von bestimmten Umgebungsbedingungen frei geben. Diese Definition weckt Assoziationen zum pharmazeutischen Prinzip der Verkapselung von Wirkstoffen, und das nicht zu Unrecht. Die pharmazeutische Technologie ist im wahrsten Sinne des Wortes der große Bruder der Mikroverkapselung im LM-Bereich. Das Präfix „Mikro“ deutet allerdings schon darauf hin, dass LM-bezogene Verkapselungssysteme in der Regel kleiner sind als ihre pharmazeutischen Geschwister. Warum ist das so? Pharmazeutische Formulierungen werden in der Regel in Reinform aufgenommen, wohingegen LM-bezogene Verkapselungssysteme in Produkte eingebracht werden. Die sensorische Qualität der LM soll aber unter dieser Zugabe nicht leiden. Aus diesem Grund greift man in der LM-Technologie auf die Erzeugung von Mikrokapseln zurück. Diese werden beim Verzehr aufgrund ihrer Größe nicht wahrgenommen. Ein weiterer Aspekt ist, dass die zur Mikroverkapselung eingesetzten Materialien LM-tauglich sein müssen. Das Gros der etablierten Verkapselungssysteme der Pharmabranche kann daher aus rechtlichen Gründen nicht in LM eingesetzt werden. Am Lehrstuhl für Lebensmittelverfahrenstechnik und Molkereitechnologie wird daher auf LM-technologisch altbewährte Werkzeuge zurückgegriffen, die Milchproteine. Milchproteine als Mikrokapselbausteine Milchproteine lassen sich in Form von zwei Hauptfraktionen einsetzen: den Caseinen und Molkenproteinen. Die Milchproteinfraktionen weisen eine Vielzahl technologisch interessanter und nützlicher Eigenschaften auf. So ist es möglich, sowohl aus wässrigen Casein- als auch Molkenproteinlösungen Gele zu erzeugen, die sich als Matrixmaterial für Mikrokapseln (siehe Infobox) eignen. Eine Schlüsselrolle bei der thermischen Gelbildung der Molkenproteine fällt dem ?-Lactoglobulin zu, das auch bei pH-Werten < 2 in der Lage ist, Hydrogele zu bilden – ideal für Dipl.-Ing. Michael Betz, um bis zu 10 % der bioaktiven Pflanzenstoffe zu verkapseln, die unter diesen extrem sauren Milieubedingungen ihre maximale Stabilität aufweisen. Bei den beiden von Thomas Heidebach adaptierten enzymatischen Verfahren zur Erzeugung von Caseingelen für die Mikroverkapselung sind die Temperatur- und pH-Bedingungen sehr mild. So sind sie ideal für die Verkapselung von sensitiven probiotischen Keimen. Zum einen wird das Enzym Transglutaminase (TGase) zur Erzeugung von Gelen aus konzentrierten Caseinlösungen eingesetzt. Zum anderen wird das Prinzip der Käsegelbildung mittels Labenzym zur Mikroverkapselung genutzt. Für die Mikrokapselherstellung machen sich die Forscher ein allgemein bekanntes thermodynamisches Phänomen zu Nutze, die Unmischbarkeit von Öl und Wasser. Emulsionsverfahren zur Mikrokapselherstellung Im Emulsionsverfahren wird eine wässrige Matrixlösung aus Milchproteinen und Kernmaterial (und im Falle der enzymatischen Gelbildung dem jeweiligen Enzym) in Pflanzenöl emulgiert. Es entsteht eine Wasser-in-Öl-Emulsion. Die in der Ölphase fein verteilten Matrixlösungströpfchen werden nun durch Induktion der Gelbildung in den festen Gelzustand überführt. Durch Zentrifugation können die gebildeten Gelkügelchen aus der Ölphase abgetrennt werden. Abb. 2 zeigt schematisch die Prozessschritte des Emulsionsverfahrens.
Die Größe der Mikrokapseln spielt eine wichtige Rolle. Einerseits sollen sie beim Verzehr nicht wahrgenommen werden, also möglichst klein sein. Andererseits verbessert sich die Schutz- und Stabilisierungswirkung im Allgemeinen mit größeren Kapseldurchmessern. So muss je nach Einsatzbereich die optimale Kapselgröße ermittelt werden. Mittels Emulsionsverfahren können durch Variation der Emulgierintensität Mikrokapseln im Größenbereich zwischen 20 µm und einem Millimeter hergestellt und so an die jeweiligen Produkt- und Kernmaterialanforderungen angepasst werden. Mikroverkapselung von Probiotika Sollen Probiotika ihre Wirkung im Menschen entfalten, muss sichergestellt sein, dass sie in ausreichender Konzentration in aktiver Form an ihren Wirkort, den Darm, gelangen. Dazu haben die Bakterien einige Hürden zu nehmen. Bisher werden probiotische Keime getrocknet oder gefroren, bevor sie einem Jogurt hoch konzentriert zugegeben werden. Vor Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums ist die Zahl der probiotischen Keime in den Produkten aber oft stark reduziert. Während der Lagerung greifen Säuren im Jogurt die gesunden Kulturen an und zerstören einen Teil. Wird der Jogurt verzehrt, lauert mit der Magensäure schon die nächste Gefahr, die den Keimen zusetzt. Die Endstation Dickdarm erreicht so nur ein Bruchteil der Probiotika, die einst dem Jogurt zugesetzt wurden. Hier schafft die Mikroverkapselung Abhilfe. Durch Einschluss der Keime in die Milchproteingele wird ihre Stabilität und damit Überlebensrate deutlich verbessert, wie Abb. 3 zeigt [1,2].
Mikroverkapselung bioaktiver Pflanzenstoffe Während probiotische Mikroorganismen aufgrund ihrer Größe in den verhältnismäßig engmaschigen Milchproteingelen zurückgehalten werden, sind die meisten bioaktiven Pflanzenstoffe in ihrer Molekülstruktur so klein, dass sie durch das Gelnetzwerk wandern können. Welchen Effekt das hat, zeigt Abb. 4. In wässriger Umgebung erfolgt die diffusive Freisetzung des Kernmaterials [3].
Eine Herausforderung also, mit der man sich bei der Verkapselung solcher Stoffe konfrontiert sieht. Oder vielleicht doch eine Chance? Eine genauere Betrachtung des hier eingesetzten bioaktiven Pflanzenstoffes – Heidelbeerextrakt – soll Aufschluss geben. Heidelbeeren sind reich an sekundären Pflanzenstoffen wie den Anthocyanen (AC) und verfügen so über ein sehr hohes antioxidatives Potenzial und damit Bioaktivität. Um ihre Wirkung entfalten zu können, müssen die AC vom Körper in ausreichender Menge aufgenommen werden. Bisher weiß man, dass nur ein geringer Anteil der über die Nahrung aufgenommenen Menge an AC vom Körper resorbiert wird. Noch nicht vollständig geklärt ist, an welchem Ort des Gastrointestinaltraktes und durch welchen Resorptionsmechanismus welche Form der AC resorbiert wird. Clustervorhaben der Lebensmittelindustrie
Die Mikroverkapselung des Heidelbeerextraktes soll nun helfen, Antworten auf diese Fragen zu finden. Im Rahmen des interdisziplinären Clusterprojektes „Bioaktive Inhaltsstoffe aus mikrostrukturierten Multikapselsystemen“ arbeiten die LMTechnologen der TUM daher mit Forschern aus ganz Deutschland zusammen. Ziel ist es, Verkapselungstechnologien zu entwickeln, die eine Stabilisierung und gezielte Freisetzung des Heidelbeerextraktes im menschlichen Darm ermöglichen. Auf diese Weise sollen die Resorptions- und Wirkmechanismen geklärt werden und die Grundlage für die zukünftige Entwicklung von funktionellen LM geschaffen werden [4]. Kann nun die diffuse Freisetzung der AC aus den Mikrokapseln als Chance oder Herausforderung gesehen werden? „Das kommt ganz darauf an“, lautet die bei Wissenschaftlern im Allgemeinen nicht ganz unbeliebte Antwort. Einerseits sollen die Kapseln in wasserhaltigen LM eingesetzt werden und auf dem Weg zu ihrem Zielort ihre Beladung nicht verlieren, was eindeutig für die Hüllkapsel spricht. Andererseits kann es von Vorteil sein, am Zielort Darm eine zeitverzögerte Freisetzung zu realisieren und den noch nicht freigesetzten Anteil möglichst lange im schützenden Milieu der Matrixkapsel zu stabilisieren. In vitro, ex vivo, in vivo Voraussetzung für die Realisierung der zeitverzögerten Freisetzung im Darm ist, dass die Mikrokapseln nicht zu schnell von den Verdauungssäften des Körpers zersetzt werden. Hinweise auf die Stabilität der Kapseln im menschlichen Verdauungstrakt (in vivo) geben Laboruntersuchungen mit simulierten Verdauungsmedien (in vitro). Projektpartner an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg konnten zeigen, dass die Kapseln bei im Magen und Darm des Menschen vorherrschen Bedingungen als sehr stabil einzustufen sind. Weder in verdünnter Salzsäure bei pH 1,2 (Magen) noch in Puffermedien mit einem pH-Wert von 6,8 und Verdauungsenzymzusatz (Dünndarm) kam es zu einem signifikanten Kapselabbau. Projektpartner an der TU Kaiserslautern inkubierten die mit Heidelbeerextrakt beladenen Mikrokapseln schließlich unter Laborbedingungen in Dünndarminhalt von Menschen mit künstlichem Darmausgang (ex vivo). Als Referenz wurde unverkapselter Extrakt zugegeben. Während der unverkapselte Extrakt kontinuierlich abgebaut wurde, wirkte die zeitverzögerte Freisetzung aus den Kapseln innerhalb der ersten Stunde einer Abnahme der Anthocyankonzentration entgegen. Diese Projekte werden aus den Mitteln der industriellen Gemeinschaftsforschung (Bundesministerium für Wirtschaft/AiF) über den Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V. (FEI) gefördert (Kennung: AiF-FV 15611 N „Milchproteinhydrogele“; AiF-FV 15327 N „Mikroverkapselung“). |
L&M 2 / 2010Das komplette Heft zum kostenlosen Download finden Sie hier: zum Download Die Autoren:Weitere Artikel online lesenNewsSchnell und einfach die passende Trennsäule findenMit dem HPLC-Säulenkonfigurator unter www.analytics-shop.com können Sie stets die passende Säule für jedes Trennproblem finden. Dank innovativer Filtermöglichkeiten können Sie in Sekundenschnelle nach gewünschtem Durchmesser, Länge, Porengröße, Säulenbezeichnung u.v.m. selektieren. So erhalten Sie aus über 70.000 verschiedenen HPLC-Säulen das passende Ergebnis für Ihre Anwendung und können zwischen allen gängigen Herstellern wie Agilent, Waters, ThermoScientific, Merck, Sigma-Aldrich, Chiral, Macherey-Nagel u.v.a. wählen. Ergänzend stehen Ihnen die HPLC-Experten von Altmann Analytik beratend zur Seite – testen Sie jetzt den kostenlosen HPLC-Säulenkonfigurator!© Text und Bild: Altmann Analytik ZEISS stellt neue Stereomikroskope vorAufnahme, Dokumentation und Teilen von Ergebnissen mit ZEISS Stemi 305 und ZEISS Stemi 508ZEISS stellt zwei neue kompakte Greenough-Stereomikroskope für Ausbildung, Laborroutine und industrielle Inspektion vor: ZEISS Stemi 305 und ZEISS Stemi 508. Anwender sehen ihre Proben farbig, dreidimensional, kontrastreich sowie frei von Verzerrungen oder Farbsäumen. © Text und Bild: Carl Zeiss Microscopy GmbH |