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Neuartige Milchprotein-Mikrokapseln als Wirkstoffvehikel

Endstation Dickdarm

Michael Betz, Thomas Heidebach, Prof. Dr. Ulrich Kulozik, Lehrstuhl für Lebensmittelverfahrenstechnik und Molkereitechnologie, Technische Universität München

Sich gesund und ausgewogen zu ernähren ist schwierig. Dass ein Großteil der Bevölkerung der westlichen Industrieländer an dieser Herausforderung scheitert, zeigt die beständige Zunahme ernährungsassoziierter Krankheiten. Nachdem eine Verbesserung der Essgewohnheiten nicht abzusehen ist, müssen andere Wege gefunden werden, um die Versorgung mit ernährungsphysiologisch wertvollen Stoffen sicherzustellen. Funktionelle Lebensmittel, die große Mengen bioaktiver Verbindungen enthalten, stellen dafür eine gute Möglichkeit dar. Durch Konsum üblicher Mengen dieser Lebensmittel (LM) soll ein positiver gesundheitlicher Effekt erreicht werden. Die Bioaktivität der in konzentrierter Form in diese LM eingebrachten, oft sensitiven Stoffe kann dabei nur sichergestellt werden, indem sie stabilisiert werden, bis sie den Wirkort erreicht haben. Mithilfe des Verfahrens der Mikroverkapselung ist es gelungen, bioaktive Pflanzenstoffe und Probiotika in Milchproteinmatrices zu stabilisieren und so deren gezielte Freisetzung zu ermöglichen.
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Realising a healthy and balanced diet in daily life is demanding. The main part of the population of western industrialised countries fails in meeting this challenge resulting in a persistent increase of diet- related diseases. However, a reorientation of eating habits is not foreseeable. For this reason, it is necessary to open new ways in terms of providing people with nutritionally enhanced foods. In this regard, functional foods are a promising possibility due to their high content of bioactive compounds. The aim is to achieve health benefits by the consumption of usual amounts of these foods. Such foods have to be enriched with concentrated bioactive compounds. To ensure theirbioactivity it is necessary to stabilise these mostly sensitive compounds until they reach their desired point of action. The scientists of the TU München have succeeded in stabilising bioactive plant compounds as well as probiotics and in allowing their targeted release by means of microencapsulation in milk protein-based matrices.

Mikroverkapselung in der Lebensmitteltechnologie

Die Mikroverkapselung ist definiert als ein Prozess zum Einschluss fester, flüssiger oder gasförmiger Substanzen (Kernmaterial) in Kapseln oder Matrices (Hüll- bzw. Matrixmaterial), die ihren Inhalt in Abhängigkeit von bestimmten Umgebungsbedingungen frei geben. Diese Definition weckt Assoziationen zum pharmazeutischen Prinzip der Verkapselung von Wirkstoffen, und das nicht zu Unrecht. Die pharmazeutische Technologie ist im wahrsten Sinne des Wortes der große Bruder der Mikroverkapselung im LM-Bereich. Das Präfix „Mikro“ deutet allerdings schon darauf hin, dass LM-bezogene Verkapselungssysteme in der Regel kleiner sind als ihre pharmazeutischen Geschwister. Warum ist das so? Pharmazeutische Formulierungen werden in der Regel in Reinform aufgenommen, wohingegen LM-bezogene Verkapselungssysteme in Produkte eingebracht werden. Die sensorische Qualität der LM soll aber unter dieser Zugabe nicht leiden. Aus diesem Grund greift man in der LM-Technologie auf die Erzeugung von Mikrokapseln zurück. Diese werden beim Verzehr aufgrund ihrer Größe nicht wahrgenommen. Ein weiterer Aspekt ist, dass die zur Mikroverkapselung eingesetzten Materialien LM-tauglich sein müssen. Das Gros der etablierten Verkapselungssysteme der Pharmabranche kann daher aus rechtlichen Gründen nicht in LM eingesetzt werden. Am Lehrstuhl für Lebensmittelverfahrenstechnik und Molkereitechnologie wird daher auf LM-technologisch altbewährte Werkzeuge zurückgegriffen, die Milchproteine.

Milchproteine als Mikrokapselbausteine

Milchproteine lassen sich in Form von zwei Hauptfraktionen einsetzen: den Caseinen und Molkenproteinen. Die Milchproteinfraktionen weisen eine Vielzahl technologisch interessanter und nützlicher Eigenschaften auf. So ist es möglich, sowohl aus wässrigen Casein- als auch Molkenproteinlösungen Gele zu erzeugen, die sich als Matrixmaterial für Mikrokapseln (siehe Infobox) eignen. Eine Schlüsselrolle bei der thermischen Gelbildung der Molkenproteine fällt dem ?-Lactoglobulin zu, das auch bei pH-Werten < 2 in der Lage ist, Hydrogele zu bilden – ideal für Dipl.-Ing. Michael Betz, um bis zu 10 % der bioaktiven Pflanzenstoffe zu verkapseln, die unter diesen extrem sauren Milieubedingungen ihre maximale Stabilität aufweisen. Bei den beiden von Thomas Heidebach adaptierten enzymatischen Verfahren zur Erzeugung von Caseingelen für die Mikroverkapselung sind die Temperatur- und pH-Bedingungen sehr mild. So sind sie ideal für die Verkapselung von sensitiven probiotischen Keimen. Zum einen wird das Enzym Transglutaminase (TGase) zur Erzeugung von Gelen aus konzentrierten Caseinlösungen eingesetzt. Zum anderen wird das Prinzip der Käsegelbildung mittels Labenzym zur Mikroverkapselung genutzt. Für die Mikrokapselherstellung machen sich die Forscher ein allgemein bekanntes thermodynamisches Phänomen zu Nutze, die Unmischbarkeit von Öl und Wasser.

Emulsionsverfahren zur Mikrokapselherstellung

Im Emulsionsverfahren wird eine wässrige Matrixlösung aus Milchproteinen und Kernmaterial (und im Falle der enzymatischen Gelbildung dem jeweiligen Enzym) in Pflanzenöl emulgiert. Es entsteht eine Wasser-in-Öl-Emulsion. Die in der Ölphase fein verteilten Matrixlösungströpfchen werden nun durch Induktion der Gelbildung in den festen Gelzustand überführt. Durch Zentrifugation können die gebildeten Gelkügelchen aus der Ölphase abgetrennt werden. Abb. 2 zeigt schematisch die Prozessschritte des Emulsionsverfahrens.


Abb. 2 Mikroverkapselung von Heidelbeerextrakt und Probiotika mittels Emulsionsverfahren

Die Größe der Mikrokapseln spielt eine wichtige Rolle. Einerseits sollen sie beim Verzehr nicht wahrgenommen werden, also möglichst klein sein. Andererseits verbessert sich die Schutz- und Stabilisierungswirkung im Allgemeinen mit größeren Kapseldurchmessern. So muss je nach Einsatzbereich die optimale Kapselgröße ermittelt werden. Mittels Emulsionsverfahren können durch Variation der Emulgierintensität Mikrokapseln im Größenbereich zwischen 20 µm und einem Millimeter hergestellt und so an die jeweiligen Produkt- und Kernmaterialanforderungen angepasst werden.

Mikroverkapselung von Probiotika

Sollen Probiotika ihre Wirkung im Menschen entfalten, muss sichergestellt sein, dass sie in ausreichender Konzentration in aktiver Form an ihren Wirkort, den Darm, gelangen. Dazu haben die Bakterien einige Hürden zu nehmen. Bisher werden probiotische Keime getrocknet oder gefroren, bevor sie einem Jogurt hoch konzentriert zugegeben werden. Vor Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums ist die Zahl der probiotischen Keime in den Produkten aber oft stark reduziert. Während der Lagerung greifen Säuren im Jogurt die gesunden Kulturen an und zerstören einen Teil. Wird der Jogurt verzehrt, lauert mit der Magensäure schon die nächste Gefahr, die den Keimen zusetzt. Die Endstation Dickdarm erreicht so nur ein Bruchteil der Probiotika, die einst dem Jogurt zugesetzt wurden. Hier schafft die Mikroverkapselung Abhilfe. Durch Einschluss der Keime in die Milchproteingele wird ihre Stabilität und damit Überlebensrate deutlich verbessert, wie Abb. 3 zeigt [1,2].


Abb. 3 Überlebensrate der mikroverkapselten probiotischen Keime in simuliertem Magensaft im Vergleich zu den unverkapselten Keimen

Mikroverkapselung bioaktiver Pflanzenstoffe

Während probiotische Mikroorganismen aufgrund ihrer Größe in den verhältnismäßig engmaschigen Milchproteingelen zurückgehalten werden, sind die meisten bioaktiven Pflanzenstoffe in ihrer Molekülstruktur so klein, dass sie durch das Gelnetzwerk wandern können. Welchen Effekt das hat, zeigt Abb. 4. In wässriger Umgebung erfolgt die diffusive Freisetzung des Kernmaterials [3].


Abb. 4 Freisetzung der Anthocyane aus den Molkenprotein-Mikrokapseln in wässriger Umgebung

Eine Herausforderung also, mit der man sich bei der Verkapselung solcher Stoffe konfrontiert sieht. Oder vielleicht doch eine Chance? Eine genauere Betrachtung des hier eingesetzten bioaktiven Pflanzenstoffes – Heidelbeerextrakt – soll Aufschluss geben. Heidelbeeren sind reich an sekundären Pflanzenstoffen wie den Anthocyanen (AC) und verfügen so über ein sehr hohes antioxidatives Potenzial und damit Bioaktivität. Um ihre Wirkung entfalten zu können, müssen die AC vom Körper in ausreichender Menge aufgenommen werden. Bisher weiß man, dass nur ein geringer Anteil der über die Nahrung aufgenommenen Menge an AC vom Körper resorbiert wird. Noch nicht vollständig geklärt ist, an welchem Ort des Gastrointestinaltraktes und durch welchen Resorptionsmechanismus welche Form der AC resorbiert wird.

Clustervorhaben der Lebensmittelindustrie

Die Mikroverkapselung des Heidelbeerextraktes soll nun helfen, Antworten auf diese Fragen zu finden. Im Rahmen des interdisziplinären Clusterprojektes „Bioaktive Inhaltsstoffe aus mikrostrukturierten Multikapselsystemen“ arbeiten die LMTechnologen der TUM daher mit Forschern aus ganz Deutschland zusammen. Ziel ist es, Verkapselungstechnologien zu entwickeln, die eine Stabilisierung und gezielte Freisetzung des Heidelbeerextraktes im menschlichen Darm ermöglichen. Auf diese Weise sollen die Resorptions- und Wirkmechanismen geklärt werden und die Grundlage für die zukünftige Entwicklung von funktionellen LM geschaffen werden [4]. Kann nun die diffuse Freisetzung der AC aus den Mikrokapseln als Chance oder Herausforderung gesehen werden? „Das kommt ganz darauf an“, lautet die bei Wissenschaftlern im Allgemeinen nicht ganz unbeliebte Antwort. Einerseits sollen die Kapseln in wasserhaltigen LM eingesetzt werden und auf dem Weg zu ihrem Zielort ihre Beladung nicht verlieren, was eindeutig für die Hüllkapsel spricht. Andererseits kann es von Vorteil sein, am Zielort Darm eine zeitverzögerte Freisetzung zu realisieren und den noch nicht freigesetzten Anteil möglichst lange im schützenden Milieu der Matrixkapsel zu stabilisieren. In vitro, ex vivo, in vivo Voraussetzung für die Realisierung der zeitverzögerten Freisetzung im Darm ist, dass die Mikrokapseln nicht zu schnell von den Verdauungssäften des Körpers zersetzt werden. Hinweise auf die Stabilität der Kapseln im menschlichen Verdauungstrakt (in vivo) geben Laboruntersuchungen mit simulierten Verdauungsmedien (in vitro). Projektpartner an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg konnten zeigen, dass die Kapseln bei im Magen und Darm des Menschen vorherrschen Bedingungen als sehr stabil einzustufen sind. Weder in verdünnter Salzsäure bei pH 1,2 (Magen) noch in Puffermedien mit einem pH-Wert von 6,8 und Verdauungsenzymzusatz (Dünndarm) kam es zu einem signifikanten Kapselabbau. Projektpartner an der TU Kaiserslautern inkubierten die mit Heidelbeerextrakt beladenen Mikrokapseln schließlich unter Laborbedingungen in Dünndarminhalt von Menschen mit künstlichem Darmausgang (ex vivo). Als Referenz wurde unverkapselter Extrakt zugegeben. Während der unverkapselte Extrakt kontinuierlich abgebaut wurde, wirkte die zeitverzögerte Freisetzung aus den Kapseln innerhalb der ersten Stunde einer Abnahme der Anthocyankonzentration entgegen. Diese Projekte werden aus den Mitteln der industriellen Gemeinschaftsforschung (Bundesministerium für Wirtschaft/AiF) über den Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V. (FEI) gefördert (Kennung: AiF-FV 15611 N „Milchproteinhydrogele“; AiF-FV 15327 N „Mikroverkapselung“).

[1] Heidebach et al. (2009) Food Hydrocolloids 23, 1670–1677
[2] Heidebach et al. (2009) Int. Dairy J. 19, 77–84
[3] Betz, M. et al. (2009) Proceedings of the 5th ISFRS, Zürich,
188–191
[4] http://www.fei-bonn.de

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Stichwörter:
Mikrokapseln

L&M 2 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2010.
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