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Der Aufspürer

Wenn herkömmliche kriminaltechnische Mittel nicht mehr weiterbringen, dann ist das Spezialwissen von Mark Benecke gefragt. Fliegen und Maden sind seine Helfer, wenn es um das Aufklären von rätselhaften Todesumständen geht. Das Qualifikationsprofil des Kölner Kriminalbiologen ist in der Kombination sehr selten, vielleicht sogar einmalig. Seine Bücher über Morde und Spurensicherung faszinieren nicht nur die Fachwelt. Labor&more hatte die einmalige Gelegenheit, dem umtriebigen Wissenschaftler und Forensiker ein paar Fragen zu stellen.

Herr Dr. Benecke, das Fachwissen der Biologen gewinnt in der Kriminaltechnik und der Forensik zunehmend an Bedeutung, spezialisierte Biologen sind gefragte Experten bei der Aufklärung von Mordfällen. Wie kamen Sie zur Kriminalbiologie?

Ich hatte meine Diplomarbeit über genetische Fingerabdrücke von Fadenwürmern geschrieben. Da die Forschung auf diesem Gebiet noch in den Kinderschuhen steckte, zog ich für meine Promotion in das DNA-Labor im Keller des Instituts für Rechtsmedizin in Köln. Dabei handelte ess ich um einen umgebauten Affenstall, der direkt neben einem Sektionssaal lag. So bin ich dann erstmals mit den Leichen in Berührung gekommen, weil ich dort vorbeigegangen bin, um mir die wirbellosen Tiere auf ihnen anzuschauen. In New York bin ich später im Institut für Rechtsmedizin, wo ich fest angestellt war, und zudem von der New Yorker Polizei sowie in Virginia auf der FBI-Academy zum Kriminalisten ausgebildet worden.

Wie läuft Ihre Arbeit praktisch ab und was ist Ihr wichtigstes Handwerkszeug?

Beispielsweise gehe ich mit den Ermittlern zum Tatort und suche nach Insekten, die sich auf der Leiche angesiedelt haben. Aus der Größe und dem Entwicklungsstadium kann man zum Beispiel schließen, wie lange die Leiche schon liegt. Oder man findet in den Larven Gifte, die in der Leiche selbst schon nicht mehr nachweisbar sind. Ein anderes wichtiges Gebiet ist die Vernachlässigung von alten Leuten und Kleinkindern. Es gibt Insekten, die gehen nur auf Kot und Urin. Und wenn ich die in einer Windel finde, lässt sicher rechnen, wie lange jemand vernachlässigt wurde. Die Ermittler der Kripo rufen mich an, wenn sie an einem Tatort etwas entdecken, für dessen Beurteilung sie einen Biologen brauchen. Auch wenn ich von Anfang der Ermittlungen an am Tatort bin, warte ich, bis alle anderen Spurengesichert sind und gehe stets als Letzter zur Leiche. Wenn ich dabei einen Schutzanzug trage, dann nicht, um mich zuschützen, sondern um den Tatort nicht mit falschen Spuren zu kontaminieren. Besonders wichtig sind die Fotos, auf denen immer ein Zentimetermaßstab zusehen ist. Denn nur wenn wir exakt wissen wie groß die Tiere zu diesem Zeitpunktwaren, können wir berechnen, wann die Eier gelegt wurden, um damit Rückschlüsse auf die Tatzeit oder Leichenliegezeitziehen zu können. Erst nachdem Fotografieren suche ich nach den Tieren und nehme Proben. Die Bestimmung der Tiere und die Berechnung mache ich abschließend in meinem Büro bzw. Labor.

Haben Sie einen Lieblingsfall?

Das nicht, für mich sind alle Fälle gleich spannend. Aber hier ist ein Schöner: In einem aufgesägten Kopf saß nur eine Fliege drin. Zu Hause konnte ich mich dann mit den Akten in den Fall einarbeiten. Das war Sherlock- Holmes- mäßig spannend. Doch wenn man eine Leiche hat, die mit vielen Arten besiedelt ist, kann das ähnlich aufregend sein. Da fragt man sich: Was machen die Tiere denn da? Dieser Weberknecht mag kein Leichengewebe. Was hat der da zu suchen? Der frisst andere Tiere, die auf der Leiche leben. Oder Milben, die lassen sich von einem Käfer, der auch hier lebt, hin- und hertransportieren. Unter der Leiche finden sich gelegentlich Asseln, die nur Pflanzen fressen. Wieso sind die hier? Die schützen sich unter der Leiche, benutzen das als Häuschen.

Wie schätzen Sie die Bedeutung des genetischen Fingerabdruckes für die Kriminalistik ein ?

Genetische Fingerabdrücke sind sehr, sehr hilfreich, um Täter zu finden und Un-schuldige zu entlasten. Die erste kriminaltechnische Revolution war, dass in Deutschland vor 104 Jahren Hautleistenabdrücke, also Fingerabdrücke, eingeführt wurden. Die zweite Revolution war der durchschlagende Erfolg des genetischen Fingerabdruckes. Beides zusammengenommen sind die am häufigsten vorkommenden Tatortspuren, wobei normale Fingerabdrücke von Hautleisten in der Alltagskriminalität, also bei Einbrüchen und Autoaufbrüchen, wichtiger sind als DNA-Spuren.

Wer bearbeitet die einzelnen Analyseschritte und wie lange dauern sie?

Der erste Schritt ist das Finden der Proben am Tatort. Das kann bis zu einer Woche mit 24 Stunden Arbeitzeit an sieben Tagen dauern, wenn ein ganzes Haus durchgekämmt werden muss. Der zweite Schritt ist die evidence examination, also die Spurenträgeruntersuchung. Dabei wird z.B. die gesamte Kleidung im Kleiderschrank auf Spermaspuren untersucht. Das kann von einer Minute bis zu fünf Stunden oder länger dauern. Beim dritten Schritt muss die Spur mit einem Wattetupfer abgerieben und dann die DNA extrahiert werden. die Extraktion dauert zwei Stunden und der genetische Fingerabdruck kann mit STRs über Nacht, also innerhalb von ca. 12 Stunden erstellt werden. Meist dauert es aber viel länger, weil tonnenweise Spuren auflaufen. Das Ergebnismuss dann intelligent ausgewertet werden: Ergibt es Sinn? Ist es richtig bearbeitet worden? Das dauert noch einmalungefähr zwei Stunden. Das Vertreten des Gutachtens vor Gericht läuft unterschiedlich ab. Bei Vaterschaftstests wird das Gutachten nur abgetippt. Im Normalfall dauert dies eine Stunde, aber die Erstellung eines komplizierten Gutachtens mit z. B. ganz vielen verschiedenen Spuren, an ganz vielen verschiedenen Stellen, kann auch fünf/sechs Tage in Anspruch nehmen. Die Arbeitseinteilung ist verschieden. Ich mache das alles alleine und mit den Studierenden, doch bei Behörden wird die Bearbeitung aufgeteilt. Die Spuren werden vom polizeilichen Erkennungsdiensteingesammelt, der Kriminalbiologe machtdie evidence examination, das Gutachten wird vom Chef geschrieben, da dieser dafür Geld bekommt, und es kann sein, dass das Gutachten vor Gericht wieder von jemand anderem vertreten wird. Es ist auch möglich, dass zwei Personen, die nicht zusammen arbeiten, jeweils die Hälfte der Spuren bekommen, ohne zu wissen, welche Spur der andere bearbeitet. Oder zwei Personen arbeiten getrennt an derselben Spur. Dies dient der gegenseitigen Kontrolle: Wenn einer einen Fehler macht, fällt es dann auf.

Wie wurde die STR-PCR-Methode entwickelt und wie hoch ist der Kostenaufwand?

Nach der Entdeckung der DNA in den1960er Jahren war relativ schnell klar, dass 96 % der DNA nicht codierend sind, worauf jedoch nie jemand geachtet hat. Irgendwann wurde bekannt, dass es in der nichtcodierenden DNA repetitive Regionen gibt. Alex Jeffreys hat 1985 gezeigt, dass diese Regionen, die oft repetitiv sind, trotzdem Merkmalsunterschiede tragen, die zur Individualtypisierung benutzt werden können. Die STR-Methode ist entwickelt worden, nachdem Kary Mullis die PCR erfunden hat. Im Grunde genommen basiert die STR-Methode auf drei Dingen: 1. auf der Entdeckung der nichtcodierenden DNA, 2. auf der Erfindung der PCR und 3. darauf, vorher die Idee gehabt zu haben, dass die nichtcodierende DNA einen so hohen Wert hat, dass damit einzelne Menschen individualisiert werden können. Bei dieser Methodekosten die Chemikalien, die für die Erstellung des genetischen Fingerabdruckesgebraucht werden, ungefähr 50 $.Ein guter Sequencer kostet ca. 450.000 $.Da ein Privat Arbeiter die Geräte selbst bezahlen muss, werden deren Kosten mit in den Preis des genetischen Fingerabdruckeseinbezogen. Betriebswirtschaftlich gerechnet verkauft ein Privatarbeiter einen genetischen Fingerabdruck, der mit der STR-Methode erstellt wurde, in der Größenordnung von 300 bis 500 $. Es gibt aber auch viele Ausnahmen. Labore mit vielen Proben können die Typisierung viel billiger anbieten. Auch Behörden berechnen nur die Materialkosten, da der Steuerzahler den Rest, also Geräte, Gebäude, Licht etc., bezahlt.

Welche Rolle spielt die moderne Labortechnologie?

Labortechnologie ist in der Toxikologie und der DNA-Typisierung natürlich sehrwichtig. Da die Durchsätze aber im Vergleich zur Klinik nicht sehr hoch sind, kommt es auch darauf an, jeden einzelnen Fall in der Tiefe zu verstehen, bevor man die Maschine anschmeißt.

Wie wird sich die Kriminalbiologieentwickeln? Geben Sie uns bitte einen Ausblick in die Zukunft!

Es gibt keine Jobs und kein Mensch interessiert sich dafür, Geld in das Feld zu stecken. Es wird also wie bisher ein obskures Fach bleiben, das vor allem von Beamten auf der einen und Idealisten auf der anderen Seite am Leben gehalten wird. Ohne den Enthusiasmus meiner Studierenden und der Laien wäre ich mittlerweile in einem angloamerikanischen oder asiatischen Land Professor an einer Uni – so macht mir die Arbeit in Deutschland aber derzeit noch mehr Spaß.

Herr Dr. Benecke, herzlichen Dank für das Gespräch.

Foto: © Dr. Mark Benecke

L&M 2 / 2008

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2008.
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