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Naturstoffe - Polyacetylenische Neurotoxine

Das sardonische Lächeln

Zu den giftigsten Pflanzen Europas gehört der Wasserfenchel aus der Gattung der Doldenblütler. Er verursacht immer noch tödliche Vergiftungen beim Mensch. Der auf Sardinien vorkommende Wasserfenchel (z.B. Oenanthe crocata) besitzt eine gewisse ethnopharmakologische Bedeutung, ist er doch wahrscheinlich identisch mit der berühmt berüchtigten neurotoxischen Pflanze, die im vorrömischen Sardinien bei der rituellen Tötung älterer Menschen herhalten musste. Nach Berichten antiker Historiker nämlich wurden Alte, die für sich alleine nicht mehr sorgen konnten, mit dieser Pflanze vergiftet und danach entweder von hohen Felsen gestürzt oder einfach totgeschlagen. Die durch das Gift verursachte Gesichtskontraktion bewirkt ein schiefes Lächeln, das als „risus sardonicus“ – sardonisches Lachen – in der lateinischen und griechischen Literatur gut dokumentiert ist. Den Zuschauern wurde damit offenbar vorgegaukelt, die Betroffenen gingen lächelnd in den Tod.

Bei den giftigen Inhaltsstoffen der Oenanthe-Arten handelt es sich vor allem um Polyacetylenalkohole wie das Oenanthe Toxin (1). Aus O. fistulosa und O. crocata wurde von G. Appendino und seiner Arbeitsgruppe (J. Nat. Prod. 2009, 72, 962-965) neben 1 das Diacetylenepoxid 2, das weit verbreitete Falcarindiol 3 und das Dihydrooenanthe Totoxin (4) isoliert. Polyacetylenische Neurotoxine wirken wahrscheinlich wie das Sesquiterpen Picrotoxin (aus der Scheinmyrte), indem es an die GABA-Rezeptoren bindet und damit Krampf erzeugend und Atem lähmend wirkt. Die Polyacetylene verursachen im Gegensatz zu anderen Toxinen keinen unangenehmen Geschmack (z.B. bitter, brennend), ja die Wurzeln von O. crocata schmecken sogar angenehm süßlich und verursachen eine rauschähnliche Benommenheit. Diese Pflanze enthält auch die größten Mengen an Polyacetylenen, und deshalb besteht eigentlich kein Zweifel, dass es sich bei jenem in der antiken medizinischen Literatur beschriebenen, ominösen „herba sardonica“ um eben diese Pflanze handelt.

Stichwörter:
Naturstoffe, Neurotoxine, Oenanthe-Toxin

L&M 5 / 2009

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 5 / 2009.
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