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Teil I: Tomaten im Weltall … oder vom Traum des Menschen, das All zu besiedeln

Teil I: Tomaten im Weltall … oder vom Traum des Menschen, das All zu besiedeln

Miniaturisierte Systeme für das All und die Praxis

Lange Zeit hat sich der Mensch damit begnügt, unseren Planeten, die Erde, zu entdecken, zu besiedeln und all seine Geheimnisse zu lüften. Auch wenn wir damit noch lange nicht fertig sind, strecken wir doch seit Jahren unsere Fühler immer weiter aus – bis in den Weltraum. Diese Welt, fernab von unserer, fasziniert den Menschen seit jeher. Doch was, wenn aus Faszination irgendwann Notwendigkeit wird? Was, wenn die Erde für den Menschen und seine Entwicklung nicht mehr ausreicht? In Sachen Ressourcen und der Erhaltung unserer Umwelt stoßen wir immer wieder auf Grenzen. So ist es nur natürlich, das der Mensch weiter vorausschaut. Was kann uns das Weltall mit all seinen Weiten in Zukunft bieten? Vermeintlich unentdeckte Welten warten nur darauf, uns ihre Möglichkeiten zu offenbaren.

Und diese Möglichkeiten können nicht von Maschinen alleine entdeckt werden. Ja, viele Missionen werden derzeit mit unbemannten Flügen zu Mond, Mars oder erdnahen Asteroiden durchgeführt. ­Allerdings ist nur der Mensch dazu in der Lage, auf unvorhersehbare Situationen intuitiv zu reagieren, sein Vorwissen einzusetzen und die richtigen Schlüsse zur Problemlösung zu ziehen. Daher gilt für zukünftige Fernexplorationen, dass der Mensch unverzichtbar sein wird. Bei einem Langzeitaufenthalt im Weltraum müssen allerdings der Transport und die Gesundheit der Besatzung sichergestellt werden.

Wie also können wir Strecken von mehreren hundert Millionen Kilometern überwinden? Schnell stößt man auf so profane Fragen wie die Nahrungsmittelbereitstellung. Wie kann man die Besatzung einer solchen Mission über Jahre im All ernähren? Wie sie mit Atemluft versorgen?

Aus Abfall wird Leben

Ein Forscherteam kennt die Antwort und arbeitet an ihrer Umsetzung: einem geschlossenen Lebenserhaltungssystem (Closed Life Support System – CLSS). Im Projekt Eu:Cropis entwickeln drei Partner unter der Führung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ein Lebenserhaltungssystem, das aus biologi­schen Abfallprodukten Sauerstoff und Nahrungsmittel produziert. Es soll 2017 während einer einjährigen Weltraummission getestet werden. Mit an Bord ist ein Ionenanalysegerät vom Fraunhofer ICT-IMM in Mainz. Seine Aufgabe: die voll automatisierte Überwachung aller Vorgänge innerhalb des Systems – und das auf engstem Raum.

Das besondere an Eu:Cropis ist, dass zwei Systeme aneinander gekoppelt sind. In dem einen System wird künstlicher Urin in Stickstoff umgesetzt, der den Tomatenpflanzen als Nahrungsmittel dient. Ein zweites, auf Algen basierendes System, wird zur Entgiftung des Gesamtsystems genutzt. So soll ein geschlossenes Habitat mit dem Menschen als integralem Bestandteil nachgebildet werden. Damit die Tomatenpflanzen während der Weltraummission genau die richtige Nährstoffmenge für ein optimales Wachstum erhalten, ist eine kontinuierliche Überwachung des Kreislaufsystems erforderlich. Die Wissenschaftler am ICT-IMM überprüfen die Konzentration der im Düngemittel enthaltenen Stoffe mittels mikrofluidischer Kapillarelektrophorese. Die gesamte Analyse läuft auf einem scheckkartengroßen Chip ab, der regelmäßig gespült wird und somit, anders als die üblichen nur einmal zu nutzenden Wegwerfchips, die ganze einjährige Mission überdauern soll.

Analytik unter und für Extrembedingungen

Wie bei allen mikrofluidischen Analysesystemen müssen auch hier besondere Herausforderungen gemeistert werden. Für den Einsatz im All musste das Ionenanalysegerät des ICT-IMM einen Rütteltest bestehen. „Kräfte von ungefähr 10g wirken beim Start einer Rakete – das 1,5-Fache musste unser Gerät aushalten“, erzählt Konstrukteur Carsten Wenzel. Um diesen Test und auch den Start zu bestehen, wurden z.B. die elektronischen Bauteile speziell mit einem für den Weltraum zugelassenen Klebstoff auf der Platine verklebt. Das per 3D-Druck hergestellte Gerätegehäuse ist mit einer Epoxidschicht und Glasfasern laminiert, was dem Kunststoff die nötige Steifigkeit verleiht. Zusätzlich wurde die Elektronik gegen die im Weltraum herrschende starke Strahlung abgeschirmt. „Außer­dem müssen alle verwendeten Chemikalien langzeitstabil sein“, erklärt Dr. Sabine Alebrand, Wissenschaftlerin am Institut. „Die Chemikalienkonzentration in den Beuteln darf sich im Verlauf der Mission durch Verdunsten nicht wesentlich ändern.“ Fünf verschiedene Beutel aus Polycarbonat hielten diesem Kriterium nicht stand. So entwickelten die Wissenschaftler kurzerhand ihre eigenen Beutel – selbst hergestellt aus Aluminiumverbundfolie mit einem Ultraschallschweißgerät. „Nun findet das Gerät auf 20x20x10cm Platz, wiegt nur 2,4kg und verfügt über die gewünschte vollautomatisierte Probenentnahme sowie Kapillarelektrophorese“, resümiert die Wissenschaftlerin.

Die Technologie kann auch unabhängig vom Experiment im All nutzbringend eingesetzt werden. Mit einem kompakten Ionenanalyse­gerät mit automatisierter Probennahme kann man z.B. auch die Qualität von Trinkwasser überwachen oder Prozesse steuern.

Darüber hinaus können die Projektergebnisse auch in globaler Sicht Antworten auf zukünftige Fragestellungen geben: Wie können Null-Emissions-Habitate in empfindlichen Regio­nen realisiert werden? Oder geschlossene Lebensräume in lebensfeindlicher Umgebung wie Katastrophengebieten? Wie können Methoden zur Düngung oder Frischwasseraufbereitung umweltfreundlicher werden?


Abb.1 Reagenzienkarussell für die automatische Anreicherung von CTCs und Halterung für die Aufnahme der mikrofluidischen
Kartusche für die Einzelablage von CTCs

Teil II: Tumorzellen im Blut … oder vom Traum des Arztes, die Therapiewirkung direkt zu prüfen

Auf eine handliche Größe kommt es auch bei anderen mikrofluidischen Analysesystemen an – auch wenn sie nicht mit einer Rakete in den Weltraum geschossen werden. Riesige, in der Anschaffung teure und wartungsintensive medizinische Analysesysteme können sich Krankenhäuser und Arztpraxen selten leisten. Doch der Gedanke der patientennahen und vor allem individualisierten Therapie ist eines der beherrschenden Zukunftsthemen. Die Wissenschaftler des ICT-IMM setzen ihr Knowhow für viele verschiedene Anwendungen ein. Doch eins haben alle gemein: Sie durchlaufen das Institutsgebäude in Mainz von der Idee über die Grundlagenforschung bis hin zu ihrer Umsetzung in kundenspezifische und marktreife Ergebnisse.

So auch geschehen im ERC Starting Grant Projekt PoCyton. Ausgangspunkt die Frage: Wie kann der (Haus)Arzt feststellen, ob die Krebstherapie beim Patienten gut anschlägt? Chemotherapie und Bestrahlung sind sehr belastend für den Körper – umso interessanter ist für die Behandelnden die Information, ob die Therapie Wirkung zeigt. Möglich machen das Durchflusszytometer, mit denen man die Menge der im Blut zirkulierenden Tumorzellen messen kann. Der Haken: Kosten bis zu 300.000 Euro und so groß wie ein bis zwei Waschmaschinen. Die Analyse nimmt zudem viele Stunden in Anspruch und das Gerät kann nur von Experten bedient und kalibriert werden. All das macht es natürlich unbezahlbar für Arztpraxen und Krankenhäuser. Die Forscherinnen und Forscher am ICT-IMM haben in PoCyton ein Durchflusszytometer entwickelt, mit dem solche Untersuchungen etwa 20-mal schneller durchgeführt werden können. „Auch die Anschaffungskosten liegen mit wenigen tausend Euro in einer ganz anderen Größenordnung“, erklärt Dr. Michael Baßler, Wissenschaftler am Institut. Jetzt mag man sich fragen, wie eine so drastische Preisregulierung überhaupt möglich ist. Ganz einfach: die optischen Komponenten des Systems wurden in preisgünstige Spritzguss-Kunststoff­kartuschen integriert. Die Fluoreszenzanregung und die Detektion erfolgen mit einem leicht zu inte­grierenden, selbstjustierenden optischen Zugang zur Kunststoffkartusche, sodass ein einfacher Austausch wie bei einer heutigen Pipettenspitze vor jeder Analyse möglich ist. Dadurch entfallen die kompletten Reinigungsanforderungen und eine potentielle Kontaminations­quelle. Das kompakte und kostengünstige OEM-Design ermöglicht somit den Aufbau einer neuen Generation von Pipettierköpfen für den wachsenden Markt von Zellexperimenten sowie die Integration in Geräte für die schnelle vor-Ort-Analytik. Denn ein weiterer Vorteil ist die erfolgreiche Miniaturisierung des Zytometers. Die Forscher haben es auf die Größe eines Schuhkartons verkleinert, was es auch attraktiv für kleine Praxen macht.


Abb.2 Mikrofluidisches System für die Ionenanalytik in einer
Weltraummission

Und wir kriegen euch doch …!

Und so funktioniert die rentabel gewordene Durchflusszytometrie: Der Blutprobe wird ein Fluoreszenzfarbstoff zugefügt. Diese Farbstoffmoleküle setzen sich gezielt auf die Tumorzellen, während andere Zellen unmarkiert bleiben. Bisher musste der Laborant den Farbstoff per Hand in die Blutprobe geben – PoCyton erledigt dies automatisch. Das Blut samt den eingefärbten Tumorzellen passiert dann eine Engstelle, an der ein Laserspot alle markierten Zellen „aufleuchten“ lässt. Die leuchtenden Tumorzellen können so erkannt und gezählt werden. Dieses Verfahren ist auch gleichzeitig der Clou von PoCyton. „Wir haben diese Engstelle so ausgelegt, dass der Durchsatz gegenüb­er der herkömmlichen Zytometrie um den Faktor 20 steigt“, hebt Dr. Baßler hervor. Trotzdem wird jedes „vorbeischwimmende“ Objekt erkannt und keine Zelle kann sich vorbeimogeln. Bei einer Milliarde Objekten in nur 10 ml Blut eine echte Kunst und allergrößte Notwendigkeit: Selbst bei schwer erkrankten Patienten sind nur etwa fünf davon zirkulierende Tumorzellen. Die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen trifft auf dieses Verfahren sicherlich zu.


Abb.3 Laboraufbau für die experimentelle Erforschung der miniaturisierten Durchflusszytometrie

… in jedem Fall!

Das Prinzip der Durchflusszytometrie wird allerdings nicht nur für zirkulierende Tumorzellen genutzt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am ICT-IMM haben jenseits des Projekts PoCyton weiter geforscht: Die Anwendungsgebiete reichen von der Wasseranalytik über Diagnostik- und Life-Science-Anwendungen über Routinetests in der Hämatologie, der Infektiologie und der Immunologie. Ein Beispiel ist die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Kollegen der Schweizer Firma rqmicro. In vielen Ländern ist durch Legionellen verseuchtes Trinkwasser keine Seltenheit. Selbst in Deutschland gab es in den letzten Jahren einige Fälle. Die stäbchenförmigen Bakterien fühlen sich besonders in Warmwasserleitungen bei 25° bis 40°C wohl. Ist ihre Konzentration im Wasser zu groß und gelangen sie als Aerosol, z.B. beim Duschen, in die Atemwege, so können sie die sogenannte Legionärskrankheit auslösen, eine potenziell tödliche Lungenentzündung. Was also tun, wenn man seine eigenen Wasserleitungen überprüfen möchte? Bislang lautet die Antwort: Probe nehmen, ins Labor schicken, mindestens zehn Tage auf das Ergebnis warten. „Mit unserem System erhalten wir die Analyse in einer Stunde“, kontert Baßler. Wenn rqmicro das Gerät in etwa zwei Jahren auf den Markt bringt, können Hausverwalter, Eigentümer oder Handwerker die Analyse selbst vornehmen.

Mikrofluidische Analysesysteme – klein, kompakt und voller Möglichkeiten. Dank ihnen können wir in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren enorme Fortschritte in den Bereichen Gesundheit, Umwelt und Sicherheit erwarten.

Literatur bei den Autoren

Bild: © Fotolia|diversepixel, © istockphoto.com|eli_asenova

L&M 9 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 9 / 2015.
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