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Stammzellforschung - Die Zukunft der Zauberzellen

Wie geht es weiter mit der Stammzellforschung in Deutschland?

Vor 10 Jahren gelang der entscheidende Durchbruch: erstmals konnten aus menschlichen Embryonen entnommene Stammzellen im Labor weitervermehrt werden. Schnell wurde klar, welche Bedeutung diesen besonderen Zelltypen in der Biomedizin zukommt, die Heilungsverfahren gegen Krankheiten wie Multiple Sklerose, Parkinson oder Herzinfarkt versprechen. Die Forschung an embryonalen Stammzellen wird in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz und das 2002 verabschiedete Stammzellgesetz geregelt. Die Grenzen sind sehr eng gesteckt und die Wissenschaftler hierzulande stehen davor, international ins Abseits zu geraten.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat schon sehr früh Stellung zur Stammzellforschung genommen und sich in die politische Diskussion wegweisend eingebracht. Die aktuelle Debatte über eine Novellierung des Stammzellgesetzes wurde nicht zuletzt durch die Empfehlungen der DFG in Gang gesetzt, die dringenden Handlungsbedarf sieht und für mehr Freiheit für die Forschung auf diesem bedeutenden Gebiet plädiert.

Herr Professor Hacker, im Bundestag wurde heftig über die fünf vorliegenden Gesetzesentwürfe debattiert. Der Streit über eine Lockerung bzw. Anpassung des derzeit geltenden und die Forschung stark reglementierenden Gesetzes geht quer durch alle Fraktionen. Die Entscheidung, die das Parlament zu treffen hat, wird nun im April fallen. Welche Hoffnungen und Erwartungen richten Sie an die Politik ?

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat ja bereits im Oktober des Jahres 2006 Empfehlungen im Hinblick auf eine mögliche Änderung des Stammzellgesetzes ausgesprochen. Wir hoffen natürlich, dass diesen Empfehlungen zumindest teilweise entsprochen wird. Unsere Hoffnungen gehen dahin, dass das Gebiet der regenerativen Medizin und insbesondere die Disziplin der Stammzellforschung in Deutschland durcheine moderate Änderung des Gesetzes einen Aufschwung nimmt. Wir möchten in diesem Zusammenhang noch einmal klarstellen: Das Embryonenschutzgesetz aus dem Jahre 1990 soll ausdrücklich weiter gelten. Es untersagt in Deutschland jegliche Manipulationen am
Embryo.

DFG-Präsident Professor Kleiner sprach kürzlich davon, dass Unzufriedenheit zur Wissenschaft gehört und diese antreibt. Warum sind die deutschen Wissenschaftler mit den derzeitigen Rahmenbedingungen, die die Forschung an embryonalen Stammzellen in Deutschland, wie in fast allen Ländern der Welt, ermöglicht, unzufrieden?

Ich glaube, Herr Kleiner meint, dass zur wissenschaftlichen Produktivität die Neugierdegehört. Wissenschaftler sind von Hause aus neugierig. Bertolt Brecht meinte, dabei handele es sich um eine der„größten Vergnügungen des Menschen“. Insofern sind Wissenschaftler auch ungeduldig, sie wollen neue Dinge entdecken und Zusammenhänge erforschen. Im Hinblick auf die Stammzellforschung ist die Unzufriedenheit anders zu verstehen. Sie bezieht sich im Grunde auf die Tatsache, dass in Deutschland nur alte Zelllinien, die vor dem Jahre 2002 im Ausland angelegt wurden, für die Forschung verwendet werden dürfen. Dies ist der Zustand, der insbesondere bei den Stammzellforschern Unzufriedenheit auslöst.

Die DFG zeigt nun in Ihrer dritten und jüngsten Stellungnahme die Entwicklung der Stammzellforschung auf und gibt zu drei wesentlichen Punkten eine Empfehlung. Welche sind das und was ist die Intention der DFG?

Die DFG empfiehlt, die Stichtagsregelung zu streichen, die deutschen Forschern nur solche Zelllinien zur Verfügung stellt, die vor dem 01.01.2002 angelegt wurden. Der Grund liegt darin, dass das Stammzellgesetz die Intention hat, das von Deutschland aus kein Anreiz für das Anlegen von Stammzelllinien im Auslandausgehen dürfe. Nun sind seit dem Jahre2002 über 500 Zelllinien im Ausland angelegt worden. Wir denken, dass ein Anreiz von Deutschland aus nicht zu vernehmen war, so dass aus Sicht der DFG der Stichtag entfallen könnte. Darüber hinaus regt die DFG an, die Strafandrohung von deutschen Wissenschaftlern zu nehmen, indem zum Beispiel klar gestellt wird, dass das Stammzellgesetz nur in Deutschland gilt. Momentan ist die Rechtslage hier relativ unklar, es ist beispielsweise nichtmöglich genau vorauszusagen, ob sich deutsche Wissenschaftler strafbar machen, wenn sie mit ausländischen Partnern kooperieren, in deren Labors neue Stammzelllinienverwendet werden. Die dritte Empfehlung geht dahin, dass es auch in Deutschland erlaubt sein sollte, Stammzelllinien für therapeutische, präventive und diagnostische Zwecke einsetzen zu dürfen.

Was entgegnen Sie Kritikern, die durcheine Aufhebung des Stichtages befürchten, dies könnte den Anreiz zum Embryonenverbrauch in anderen Ländern geben? Das Embryonenschutzgesetz, zu dem sich die DFG vorbehaltlos bekennt, macht es ja notwendig, menschliche Stammzellen für die Forschung zu importieren.

Wie bereits ausgeführt, wurden in den letzten Jahren über 500 Zelllinien im Auslandetabliert, ohne dass von Deutschland ein Anreiz ausgegangen wäre. Viele dieser Stammzelllinien sind sehr gut charakterisiert und über das „International Stem Cell Forum“ zu beziehen. Es gibt überhaupt keine Hinweise darauf, dass die Etablierung dieser Stammzelllinien von Deutschland aus veranlasst worden ist.

Im Moment zeichnet sich eine Mehrheit im Parlament für eine moderate Anpassung ab, die einen Mittelweg zwischen den extremen Positionen beschreiten will. Das hieße dann in der Umsetzung den Stichtag nur zu verschieben und die Strafbarkeit nicht aufzuheben, sondern auf Deutschland zu begrenzen. Was würde das perspektivisch bedeuten?

Man sollte im Hinblick auf die parlamentarische Entscheidung nicht zu viel spekulieren. Der Bundestag als Souverän entscheidet und jede Entscheidung wird von uns selbstverständlich akzeptiert. Wenn es zu einer Gesetzesänderung im Hinblick auf einen „Mittelweg“ kommen sollte, so würde dies die gegenwärtige Situation verbessern.

Jüngste bahnbrechende Forschungsergebnissein der Reprogrammierung von Körperzellen stellen in Aussicht auf Forschung an embryonalen Stammzellenverzichten zu können, was gerade den Kritikern neuen Wind in die Segelgetrieben hat. Wie wichtig ist die vergleichende Forschung?

In der Tat sind die jüngsten Forschungsergebnisse sensationell. Bei ihnen wurden Hautzellen dahingehend reprogrammiert, dass sie Eigenschaften von embryonalen Stammzellen annahmen. In jedem Fall zeigt sich, dass die Vorgänge der Zelldifferenzierung beeinflussbar sind. Dies öffnet große Möglichkeiten im Hinblick auf die Forschung, aber auch langfristig auf mögliche Therapien. Diese bahnbrechenden Ergebnisse wurden jedoch nur durch die Verwendung von humanen embryonalen Stammzelllinien möglich. Deshalb werden auch in Zukunft diese Linien, insbesondere neuere Linien, benötigt, um spezifische Fragestellungen im Hinblick auf die Programmierung von Körperzellenbeantworten zu können.

Die DFG hatte schon im letzten Jahr, vor Veröffentlichung der jüngsten Aufsehen erregenden Studien um Yamanaka und Thomson das neue bundesweite Schwerpunktprogramm„Pluripotenz und zelluläre Reprogrammierung“ aufgelegt. Ist das ein Signal, dass das Themenprogramm für die DFG gesonderte Bedeutung hat?

Die DFG hat in Ihrer Stellungnahme im Oktober 2006 bereits festgestellt, dass dem Ansatz der Reprogrammierung und der Gewinnung von Stammzellen mit Hilfe alternativer Methoden besondere Bedeutung einzuräumen wäre. Insofern korrespondiert das neue Schwerpunktprogramm mit dieser Empfehlung. Allerdings ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft eine Förderorganisation, die nachdem „bottom-up“ Prinzip funktioniert. Die Forschungsthemen werden von den Wissenschaftlern selbst definiert und dann einer strengen Begutachtung unterzogen. Das erwähnte Schwerpunktprogramm

„Pluripotenz und zelluläre Reprogrammierung“ wurde vom Senat der DFG als förderungswürdig erkannt, es stellt in der Tat ein Programm dar, das die besondere Bedeutung der regenerativen Medizin und der Stammzellforschung hervorhebt.

In diesem Programm geht es darum, grundlegende Erkenntnisse über molekulare Reaktionsmechanismen zu gewinnen, also Grundlagenforschung. Der Antrag der Grünen beklagt beispielsweise, dass die embryonale Stammzellforschung die in Sie gesetzten Erwartungen noch nicht erfüllt hat. Die Hochrangigkeit der Forschungsziele wird angezweifelt. Wie weit ist die Wissenschaft von therapeutischen Erfolgen entfernt?

Die Entwicklung von neuen Therapeutika benötigt in etwa 10 –15 Jahre. Wenn man davon ausgeht, dass die ersten humanen Stammzelllinien vor gerade 10 Jahren angelegt wurden, so sind Therapien auf der Basis dieser Forschungen heute noch nicht möglich. Allerdings befruchten die Ergebnisse der Grundlagenforschung mithumanen embryonalen Stammzelllinien auch Arbeiten, die neue therapeutische Prinzipien zum Inhalt haben. Ohne eine intensive Grundlagenforschung ist die Entwicklung neuer Therapien nicht möglich. Wenn Robert Koch beispielsweise im19. Jahrhundert nicht die Bakterien entdeckt hätte, so hätte es im 20. Jahrhundert die Antibiotika nicht gegeben. Gleiches gilt für die heutige Situation im Hinblick auf die regenerative Medizin.

Ganz aktuell wurde einer der höchstrangigen wissenschaftlichen Auszeichnungen Deutschlands, der Robert-Koch-Preis 2008 an drei Stammzellforscher verliehen, darunter der international renommierte deutsche Stammzellforscher Hans Schöler, MPI Münster, der die Ethik des Heilens herausstellt. Ist das als forschungspolitisches Signal zu sehen?

Die Verleihung des Robert-Koch-Preisesan drei Stammzellforscher zeigt die – auch im internationalen Rahmen – herausgehobene Stellung der regenerativen Medizin und der Stammzellforschung. Die Tatsache, dass auch ein deutscher Forscherden Robert-Koch-Preis für seine Arbeitbekommt, beweist, dass es auch in Deutschland Potenzial auf diesem Gebiet gibt, dass auch hier international kompetitive Forschung möglich ist.

Herr Professor Hacker, Sie haben zum 1. März eine neue Aufgabe angenommen und sind nun Präsident des Robert-Koch-Instituts. Wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen Start und für die Zukunft viel Glück in Ihrer neuen Verantwortung.

Foto: © Prof. Dr. Jörg Hinrich Hacker

Stichwörter:
Stammzellforschung, Debatte, Robert-Koch-Institut, Deutsche Forschungsgemeinschaft

L&M 2 / 2008

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2008.
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