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Umweltmedizin - Schadstoffgemische

Wenn die Blase raucht!

PD Dr. Peter H. Roos und Kathrin Herbst, Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der Universität Dortmund

Täglich wird der Mensch in seiner Umwelt mit einer Vielzahl von chemischen Substanzen konfrontiert, die über die Nahrung, die Atemluft oder über die Haut in den Körper gelangen. Hierbei kann der Körper den für ihn schädlichen oder unbrauchbaren Substanzen nicht einfach den Zutritt verwehren. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich mit jedem einzelnen dieser Stoffe auseinanderzusetzen, sie zu nutzen oder zu eliminieren. Gegebenenfalls bleibt ihm ein Schaden nicht erspart. Umweltmedizin und Toxikologie

Umweltmedizin und Toxikologie

Effekte von Umweltschadstoffen auf den menschlichen Organismus stehen im Mittelpunkt des Interesses von Toxikologen und Umweltmedizinern. Trotz weitgehender thematischer Überlappungen haben beide wissenschaftlichen Fachdisziplinen ihre spezifischen Akzentuierungen. Liegt bei den Toxikologen der Schwerpunkt mehr auf den molekularen Mechanismen einer Schadstoffwirkung, so sind für den Umweltmediziner eher die Schadstoffwirkungsbeziehungen, also die Zusammenhänge zwischen Schadstoffexposition und körperlichen sowie psychischen Symptomen, bedeutsam. Oftmals lassen sich aber nur schwer die Bezüge zwischen einer Symptomatik und schädigenden Umweltchemikalien herstellen. Hier sei nur auf die diffizile Problematik der multiplen chemischen Sensitivität (MCS) hingewiesen. Epidemiologisch lassen sich anhand großer Studiengruppen Zusammenhänge zwischen Schadstoffexpositionen und gesundheitlichen Schäden ermitteln. Hierbei können auch genetisch bedingte, individuell unterschiedliche Empfindlichkeiten als so genannte Gen-Umwelt-Wechselbeziehungen berücksichtigt werden. Die zusätzliche Aufklärung der zu Grunde liegenden Mechanismen in der Kausalkette „Schadstoff – Schädigung“ erhöht deren Plausibilität. Zudem wird die Möglichkeit eröffnet, experimentell Dosiswirkungsbeziehungen und damit Wirkschwellen zu untersuchen, die letztendlich zur Festlegung von Grenzwerten herangezogen werden können. Somit erscheint unter verschiedenen Gesichtspunkten eine Verzahnung von Umweltmedizin und Toxikologie sinnvoll.

Auf verschlungenen Pfaden

Zwischen Exposition und Effekt liegen oftmals verschlungene Wege. So erscheint es auf den ersten Blick befremdlich, dass bestimmte, über die Lunge aufgenommene Schadstoffe gerade in der Harnblase ihre schädigenden Wirkungen wie die Entstehung eines Urothelkarzinoms zeigen. Ein anderer Aspekt ist, dass verschiedene Schadstoffe oftmals zusammenwirken, ihre Wirkungen addieren oder sie in synergistischer Weise überproportional verstärken. Die Untersuchung kombinatorischer Substanzwirkungen ist äußerst arbeits- und zeitaufwändig. Die hohe Anzahl verschiedener Substanzen in realen Schadstoffgemischen würde eine geradezu unendlich große Anzahl von Experimenten erfordern.


Abb. 1 Zigarettenrauch stellt ein Gemisch aus tausenden verschiedenen Substanzen dar. Einige Beispiele für organische Verbindungen sowie anorganische Komponenten sind gezeigt.

Das chemikalieninduzierte Harnblasenkarzinom

Die die Harnblase auskleidenden Schichten aus Epithelzellen werden Urothel genannt. Offenbar ist dieses Gewebe anfällig für die Attacken bestimmter in den Körper gelangter Schadstoffe, wobei letztendlich ein bösartiger Tumor, ein Harnblasen- oder Urothelkarzinom entstehen kann. Schon am Ende des 19. Jahrhunderts wurde bei Arbeitern in Farbstofffabriken die Chemikalie 2-Naphthylamin, ein aromatisches Amin, als Ursache für das bei ihnen gehäuft auftretende Harnblasenkarzinom erkannt. 1936 erklärte man „Erkrankungen durch Krebs oder andere Neubildungen sowie Schleimhautveränderungen der Harnblase durch aromatische Amine“ zur Berufskrankheit. Diese Verordnung hat bis heute Bestand. Ein erhöhtes Risiko, an Harnblasenkrebs zu erkranken, findet sich in den folgenden Berufssparten in der Reihenfolge des absteigenden Risikos: uu Gummi verarbeitende Industrie und Farbindustrie uu Kunststoffindustrie uu Friseure uu Kammerjäger uu Laboratoriumsangestellte uu Textil- /Druckindustrie uu Aluminiumindustrie Aktuell sind über 50 chemische Substanzen bekannt, die das Harnblasenkarzinom- Risiko erhöhen. Neben der beruflichen Exposition gegenüber Harnblasenkarzinogenen gibt es noch eine ganz alltägliche: den Tabakrauch, entweder aktiv inhaliert oder über das Passivrauchen. Der Rauch einer einzelnen Zigarette enthält über 4800 Chemikalien, darunter zahlreiche toxische und krebserregende Stoffe wie Nitrosamine, Benzol, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) und aromatische Amine. Zudem finden sich im blauen Nebel Stoffe wie Arsen, Formaldehyd und verschiedene Schwermetalle wie Nickel und Cadmium. Tabakrauch ist also ein „illustrer“ Schadstoffcocktail (Abb. 1) und kann daher als Modell für das fatale, oftmals synergistische Zusammenwirken von Schadstoffen dienen.


Abb. 2 Das gentoxische Benzo[a]pyren (links) wird durch aufeinander folgende enzymatische Schritte in ein Epoxid, ein Dihydrodiol und schließlich in das ultimate Karzinogen, das (+)-7,8-Dihydrodiol-9,10-epoxid, überführt. Dieses kann Addukte mit der DNA bilden, insbesondere mit dem N6 des Adenins oder dem N2 des Guanins.

Die Blase raucht mit

Zigarettenrauchen erhöht das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken. Weniger bekannt ist, dass das Harnblasenkarzinom nach dem Lungenkrebs der zweithäufigste durch das Zigarettenrauchen ausgelöste bösartige Tumor ist. Zudem ist der Tabakrauch nach berufsbedingten Expositionen die häufigste Ursache für seine Entstehung. Untersuchungen an menschlichen exfoliierten Urothelzellen, die täglich in geringer Zahl mit dem Urin ausgeschieden werden, haben gezeigt, dass sie bei Rauchern ein ganz bestimmtes Enzym, CYP1A1, signifikant erhöht enthalten [1]. Es ist für den Metabolismus bestimmter Schadstoffe verantwortlich, so auch für das im Tabakrauch vorhandene Benzo[a]pyren (BaP). Mit seiner Hilfe entsteht aus dem Prokarzinogen BaP die eigentliche krebserzeugende Substanz, ein reaktiver Metabolit, der an DNA binden kann und letztendlich das Erbgut schädigt (Abb. 2). Eine solche enzymatische Aktivierung ist auch für die aromatischen Amine zur Entfaltung ihrer karzinogenen Wirkung notwendig. Lange Zeit wurde angenommen, dass das Urothel selbst nicht die Fähigkeit zum Fremdstoffmetabolismus und damit zur Prokarzinogen-Aktivierung hat. Inzwischen wissen wir, dass Urothelzellen eine ganze Reihe verschiedener maßgeblich am Fremdstoffmetabolismus beteiligter Cytochrom P450-Enzyme exprimieren [2].


Abb. 3 Untersuchung von Schadstoffeffekten auf Urothelzellen der Zelllinie 5637 mit der Immunfluoreszenz und spezifischen Antikörpern gegen CYP1A1 und AhR. A. Induktion des CYP1A1-Proteins durch Benzo[a]pyren zu erkennen durch die Rotfärbung im Zytosol (blau: Zellkern; grün: Oberflächenmarkierung mit einem pflanzlichen Lektin). B. Durch Benzo[a]pyren induzierte Akkumulation des Ah-Rezeptors im Zellkern zu erkennen durch die Grünfärbung im Zellkern (blau: Zellkern; rot: Zytoskelett/β-Aktin).

Die Gefahr liegt im Gemisch – synergistische Schadstoffeffekte in Harnblasenzellen

Das Tabakrauchkarzinogen BaP vermittelt seine Wirkungen u.a. über die Aktivierung des Arylhydrocarbon-Rezeptors (AhR) der Zelle. Nach Schadstoffbindung transloziert der AhR vom Zytosol in den Zellkern. Dort fungiert er zusammen mit seinem Dimerisierungspartner als Transkriptionsfaktor und initiiert die Expression bestimmter Gene wie die von CYP1A1 und von verschiedenen Phase II-Enzymen. Letztere können durch ihre Aktivität die schädigende Wirkung entstehender reaktiver Metabolite quasi „neutralisieren“. Dies gelingt aber offenbar nicht vollständig, sodass es im Laufe der Zeit zur Akkumulation von Mutationen kommt, die schließlich den Geno- und Phänotyp einer Tumorzelle entstehen lassen. Von den Veränderungen betroffen ist immer ein ganzes Set von Genen, die insbesondere solche Komponenten kodieren, die relevant für Zellzykluskontrolle, Apoptose, DNA-Schadensreparatur oder interzelluläre Kommunikation sind [3,4]. Die Akkumulationsrate für Mutationen hängt von Menge und Art der einwirkenden Schadstoffe sowie vom resultierenden Enzymprofil einer Zelle ab. Hier können synergistische Schadstoffeffekte eine wichtige Rolle spielen. Wir konnten an Urothelzellen von Schwein und Mensch zeigen, dass die BaP-abhängige Induktion von CYP1A1 durch die aromatischen Amine 2-Naphthylamin und 4-Aminobiphenyl (ABP) synergistisch gesteigert wird, womit die Fähigkeit der Zellen zur Generierung reaktiver Schadstoffmetabolite erhöht wird [5]. Um die zu Grunde liegenden molekularen Mechanismen und die Zielmoleküle für die synergistische ABP-Wirkung zu identifizieren, untersuchen wir zur Zeit Effekte der Einzelsubstanzen und des Schadstoffgemisches auf den AhR-Weg und auf mit ihm vernetzte Signaltransduktionswege.

Ab geht die Post …

Trifft BaP auf eine Zelle, so werden unmittelbar molekulare Prozesse in Gang gesetzt. Inwieweit diese ersten Schritte entscheidend für die Geschwindigkeit der Tumorentwicklung sind und inwieweit synergistische Effekte von Schadstoffgemischen hier von Bedeutung sind, ist noch unklar. Schon einige Minuten nach Einwirkung von BaP auf menschliche Urothelzellen finden wir die Phosphorylierung des an der Zellzyklus-Kontrolle beteiligten Proteins c-jun, wodurch dieser Transkriptionsfaktor in seine aktive Form überführt wird. Nach einigen Stunden ist insgesamt eine Erhöhung des c-jun Proteinspiegels zu sehen. Ein anderes regulatorisch wirksames Protein, NFêB, das ca. 200 Zielgene reguliert und dadurch sowohl Signaltransduktionsprozesse als auch die Expression fremdstoffmetabolisierender Enzyme beeinflusst, wird durch BaP auf Wanderschaft geschickt, wobei es sich vom Zytosol in den Zellkern bewegt. Dies gilt gleichermaßen auch für den schon erwähnten primär zytosolisch lokalisierten Ah-Rezeptor. An allen drei genannten und miteinander verknüpften Prozessen sind zahlreiche weitere Proteine beteiligt. Mithilfe von Real-Time-RTPCR, Immunoblots, Fluoreszenzmikroskopie, FACS und Proteomics- Techniken versuchen wir nun, die für die „fatale“ Wechselwirkung zwischen BaP und aromatischen Aminen verantwortlichen Komponenten dingfest zu machen.

Literatur
[1.] Dörrenhaus, A. et al. (2007) Arch Toxicol 81, 19 –25
[2.] Roos, P.H. et al. (2006) Arch Toxicol 80, 45 –52
[3.] Roos, P.H. et al. (2008) Curr Opin Mol Ther 10, 243 –250
[4.] Roos, P.H. & Jakubowski, N. (2010) Bioanalysis 2, 295 –309
[5.] Borza, A. et al. (2008) Arch Toxicol 82, 973 –980

Foto: © Kateryna Govorushchenko | istockphoto.com

Stichwörter:
Toxikologie, Schadstoffe, Zigarettenrauch, Untersuchung Schadstoffeffekte

L&M 3 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 3 / 2010.
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