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Molekulare Epidemiologie bakterieller Krankheitserreger

Abgrenzung zufälliger Häufungen von Übertragungen und Ausbruchsgeschehen

Immer häufiger hört man in den Medien von Infektionsausbrüchen, im Mittelpunkt stehen hier Ausbrüche mit multiresistenten bakteriellen Erregern (MRE). Doch woher kommen diese Erreger und was sind mögliche Ursachen für deren Anstieg? Wie kann man bei gehäuftem MRE-Auftreten zufällige Häufungen von Ausbrüchen differenzieren? Der folgende Artikel erklärt Methoden, mit denen Häufungsgeschehen analysiert und die molekulare Epidemiologie aufgeklärt werden können.

Entstehung und Weiterverbreitung von multiresistenten Erregern

Die Entstehung und Weiterverbreitung von MRE wird von verschiedenen Faktoren begünstigt. Wichtigster Grund für die Entstehung von antibiotikaresistenten Erregervarianten ist der Selektionsdruck durch Antibiotika, d. h., bei jeder Gabe eines Antibiotikums haben antibiotikaresistente Erregervarianten, die z. B. durch Mutationen oder Übertragung von Resistenzgenen entstehen, einen Wachstumsvorteil. Verschärft wird die Situation durch einen Anstieg der Antibiotikaverschreibungen in den letzten Jahren (www.p-e-g.org/econtext/germap). Während die Selektion durch Antibiotika in erster Linie für die Entstehung resistenter Varianten verantwortlich ist, sorgt die Übertragung der Erreger von einem Patienten auf den anderen für einen weiteren MRE-Anstieg. Wenn zwei oder mehr gleichartige Infektionen bzw. Infektionserreger in einem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang vorkommen, spricht man von einem Ausbruch.


Tab.1 Aufstellung geeigneter Typisierungsmethoden je nach Fragestellung zur Aufklarung der molekularen Epidemiologie

Werkzeug zur Aufklärung der molekularen Epidemiologie – die Typisierung

Die Erregertypisierung ist das wichtigste Werkzeug, um herauszufinden, ob mehrere ähnliche Erreger einer epidemiologisch identifizierten Häufung gleich sind und damit eine Übertragung stattgefunden hat. Hierzu wurden verschiedene phänotypische und genotypische Verfahren entwickelt [1], die sich durch unterschiedliche Charakteristika auszeichnen und meist nur für spezielle Fragestellungen (z. B. Ausbruchsuntersuchungen, Evolutionsstudien) besser oder weniger gut geeignet sind (Tab. 1). Grundannahme aller Typisierungen, bei der je nach Verfahren verschiedene Charakteristika des Erregers untersucht werden, ist, dass identische Erreger ein gleiches Ergebnis liefern oder zumindest eine hohe Ähnlichkeit aufweisen. In diesen Fällen ist von einer Übertragung auszugehen. Dabei sollte jedes Typisierungsverfahren reproduzierbare Ergebnisse liefern, um auch eine Vergleichbarkeit über Laborgrenzen hinweg zu ermöglichen. Darüber hinaus ist – zumindest für Ausbruchsanalysen – ein möglichst hohes Auflösungsvermögen erstrebenswert, um auch bei nah verwandten Erregern eine sichere Abgrenzung zu erreichen. Schließlich sollten die Ergebnisse zur epidemiologischen Situation konkordant sein [1].
Seit Beginn der Mikrobiologie nutzte man phänotypische Verfahren wie das Wachstumsverhalten zur Erregercharakterisierung. Da diese Verfahren jedoch nur ein sehr begrenztes Auflösungsvermögen für Typisierungsfragestellungen haben, sind sie heutzutage fast vollständig durch genotypische Verfahren ersetzt worden. Bei den genotypischen Typisierungsverfahren werden unterschiedliche Bestandteile der DNA eines Erregers charakterisiert. Vergleichbar mit dem menschlichen Fingerabdruck haben Bakterien ein DNA-Profil, das in hohem Maße charakteristisch ist, weshalb häufig auch vom „genetischen Fingerabdruck“ gesprochen wird. Anders als der menschliche kann der genetische Fingerabdruck je nach Typisierungsverfahren auch eine quantitative Aussage zum Verwandtschaftsgrad machen. Einfach gesagt: je ähnlicher die DNA, desto höher der Verwandtschaftsgrad.
Bis vor Kurzem wurde in vielen Bereichen die Pulsfeld-Gelelektrophorese (PFGE) als Standard angesehen [2]. Hierbei wird die chromosomale DNA durch ein Enzym (Restriktionsendonuklease) an definierten Stellen zerschnitten und anschließend der Größe nach aufgetrennt. So entstehen je nach Schnittstellen unterschiedlich große Fragmente, die ein für das Bakterium typisches Bandenmuster erzeugen, das dann mit anderen Mustern verglichen werden kann [3]. Die PFGE wurde neben der Analyse von Häufungen im Krankenhaus insbesondere bei der Analyse von lebensmittelbedingten Infektionen eingesetzt [4]. Da die PFGE nur mit großem Aufwand standardisierbar ist [5], wurde in der Vergangenheit bereits nach Alternativen gesucht. An erster Stelle stehen hier sequenzbasierte Typisierungsverfahren, die – im Gegensatz zu bandenbasierten Verfahren wie der PFGE – Nukleotidabfolgen einzelner Gen- oder Genomabschnitte vergleichen. Nukleotidsequenzen sind im Gegensatz zu bandenbasierten Verfahren, die meist auf Bilddateien beruhen, einfach vergleichbar, hoch portabel und leicht in zentralen Datenbanken zu verwalten.
Die Multilokus-Sequenztypisierung (MLST) war das erste sequenzbasierte Typisierungsverfahren, das diese Vorteile nutzte [6]. Hierbei werden die DNA-Sequenzen von fünf bis sieben sogenannten „housekeeping genes“ bestimmt und miteinander verglichen. Jedes Allel des jeweiligen Gens wird mit einer laufenden Nummer versehen, identische Allele bekommen die gleiche Bezeichnung und aus der Allelkombination der verschiedenen Gene eines Erregers entsteht das Allelprofil, das dann zum Sequenztyp (ST) übersetzt wird. Hierbei wird die Nomenklatur zentral in einer internetbasierten Datenbank verwaltet, um weltweit eine einheitliche Typisierungsnomenklatur zu ermöglichen. Heutzutage gibt es mehr als 80 MLST-Schemata, die für die jeweiligen Erreger spezifisch sind ( www.pubmlst.org). Ausgangspunkt für die Entwicklung der MLST waren verschiedene Fragestellungen aus dem Bereich der Erregerevolution; aus diesem Grund hat die MLST in vielen Fällen kein ausreichendes Auflösungsvermögen, um gleichzeitig auch Ausbruchsuntersuchungen zu unterstützen. Die MLST ist vielmehr dazu geeignet, längerfristige Tendenzen zu untersuchen und eine Einordnung einzelner Erreger in eine globale Population zu ermöglichen (Tab. 1).
Aufgrund der technischen Vorteile sequenzbasierter Verfahren wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten weitere sequenzbasierte Verfahren etabliert, die teilweise ein deutlich höheres Auflösungsvermögen hatten und damit für die Analyse von lokalen, zeitlich begrenzten Häufungen eingesetzt werden konnten. Hierbei wurden hoch variable, häufig von repetitiven DNA-Elementen gekennzeichnete Genabschnitte einzelner Gene zur Sequenzierung herangezogen. Die spa-Typisierung ist die hierbei am häufigsten verwendete Singlelokus-Sequenztypisierung (SLST) zur Charakterisierung der molekularen Epidemiologie von S. aureus bzw. MRSA und erreicht aufgrund der Sequenzbestimmung einer hoch variablen Repeat-Region im Protein A-Gen (spa) [7] ein gutes Auflösungsvermögen für Ausbruchsuntersuchungen. Je nach Repeat-Abfolge wird ein „spa-Typ“ vergeben, der eindeutig für jede Sequenz ist. Der besondere Erfolg der spa-Typisierung besteht neben den Vorteilen sequenzbasierter Methoden darin, dass es eine zentrale Datenbank im Internet gibt (www.spaServer.ridom.de), die qualitätskontrolliert und vollautomatisch die Nomenklatur der spa-Typen verwaltet. Damit werden jederzeit eine universelle und einheitliche Nomenklatur gewährleistet und Vergleiche von Typisierungsdaten für lokale, regionale und internationale Studien ermöglicht wie z. B. [8]. Ende 2015 waren über 300.000 Isolate mit mehr als 15.000 verschiedenen spa-Typen im spa- Server dokumentiert.


Abb.1 Typisierung von funf MRSA-Isolaten aus einem lokalen Haufungsgeschehen. Die Isolatbezeichnungen sind jeweils in den Kreisen der Diagramme angegeben. (A) zeigt die Verwandtschaftsverhaltnisse der funf MRSA-Isolate nach spa-Typisierung. Hierbei entspricht jeder Kreis einem identischen Genotyp (spa-Typ) und ist entsprechend eingefarbt. Die Zahlen auf den Verbindungslinien zwischen zwei Kreisen geben die Anzahl der evolutiven Schritte an, die zwischen zwei spa-Typen liegen, und sind ein Mas des Verwandtschaftsgrades. Je niedriger der Wert, desto hoher der Verwandtschaftsgrad. (B) zeigt die Verwandtschaftsverhaltnisse der funf MRSA-Isolate nach MLST in einem Minimum Spanning Tree. Jeder Kreis ist ein Genotyp (ST), der auf einem Allelprofil von sieben Genen beruht, und entsprechend benannt. Die Zahl auf der Verbindungslinie zweier Kreise gibt die Zahl unterschiedlicher Allele von den insgesamt sieben untersuchten Genen an. Zusatzlich sind die Kreise nach ihren spa-Typen eingefarbt.

Beispiel MRSA – Aufklärung der molekularen Epidemiologie

Wahrscheinlich der bekannteste MRE ist der methicillinresistente Staphylococcus aureus (MRSA). Bei gehäuftem Auftreten besteht die Herausforderung darin, die molekulare Epidemiologie dieser Erreger zu bestimmen, um anhand dessen zwischen einer zufälligen Häufung und einem Ausbruch, der durch Übertragung von einem zum anderen Menschen verursacht wurde, zu unterscheiden. In diesem Beispiel gibt es fünf Patienten, die in einem Krankenhaus einen MRSA-Nachweis hatten, wodurch der Verdacht von Übertragungen nahelag. Diese MRSA wurden spa-typisiert (Abb. 1A). Hierbei zeigte sich, dass es drei verschiedene spa-Typen gab (t011, t034, t032), womit eine Übertragung von Patient zu Patient in drei der fünf Fälle sicher ausgeschlossen werden konnte. Wenn man diese Isolate mittels MLST untersuchen würde, ließen sich vier der fünf Isolate nicht voneinander unterscheiden; lediglich Isolat 5 hatte einen anderen Sequenztyp (Abb. 1B). An diesem Beispiel zeigt sich sehr deutlich das unterschiedliche Auflösungsvermögen verschiedener Methoden. Was macht man aber bei den Patienten, die einen identischen spa-Typ haben? Hier kann ja eine Übertragung nicht ausgeschlossen werden, sodass hier entweder Maßnahmen für einen Ausbruch wie z. B. verschärfte Hygienemaßnahmen etabliert werden müssen oder intensive epidemiologische Recherchen die Möglichkeit einer Übertragung noch einmal überprüfen und dann ggf. doch ausschließen können. Bis vor Kurzem war diese Situation häufig der Endpunkt. Aufgrund der rasanten technischen Weiterentwicklung im Bereich der Next-Generation- Sequenzierungstechnologie ist es seit einigen Jahren möglich, das Auflösungsvermögen dramatisch zu verstärken, da nicht nur einzelne Gene, sondern ganze Genome sequenziert und deren Information auch zur Aufklärung der molekularen Epidemiologie eingesetzt werden können. Eine Analysemöglichkeit, die als „core genome MLST“ (cgMLST) bezeichnet wird [9], funktioniert in Analogie zur klassischen MLST: auch hier wird jedem Gen ein Allel zugeordnet und die Allele aller analysierten Gene bilden dann ein Allelprofil, welches das Typisierungsergebnis darstellt. Da jetzt aber Daten von weit über 1.000 Genen vorliegen, kann man ein Auflösungsvermögen erreichen, das die Erregerausbreitung mit maximaler Genauigkeit widerspiegelt. Abbildung 2 zeigt, dass von den fünf Patientenisolaten zwei (1 und 2) identisch waren und damit eine Übertragung als gesichert gewertet wurde. In den übrigen Fällen konnte eine Übertragung aufgrund der Unterschiede ausgeschlossen werden (Abb. 2). Aufgrund des hohen Auflösungsvermögens ist es zukünftig denkbar, diese Typisierung z B. in einem Krankenhaus flächendeckend prospektiv für alle MRE einzusetzen, um frühzeitig eine Erregerausbreitung zu detektieren. Nur wenn sehr ähnliche oder identische Erreger gefunden werden, sind ggf. weitere epidemiologische Recherchen notwendig. Hygienemaßnahmen können so gezielter eingesetzt werden und die knappen Ressourcen schonen.


Abb.2 Darstellung der Verwandtschaftsverhaltnisse der funf MRSA-Isolate mittels Core-genome- MLST-Analyse [10]. In diesem Minimum Spanning Tree ist jeder Kreis ein Genotyp basierend auf dem Allelprofil von 1.861 Genen und entsprechend mit einer Isolatnummer gekennzeichnet. Die Zahl auf der Verbindungslinie zweier Kreise gibt die Anzahl unterschiedlicher Allele von den insgesamt 1.861 untersuchten Genen an. Die Kreise sind zusatzlich je nach spa-Typ eingefarbt und die Grose der Kreise ist proportional zur Anzahl der Isolate mit identischem Genotyp. In diesem Beispiel sind die Isolate 1 und 2 identisch, was fur eine Ubertragung spricht.

-> alexander.mellmann@ukmuenster.de
-> stefanie.willems@ukmuenster.de


Literatur
[1] van Belkum, A. et al. (2007) Clin. Microbiol. Infect. 13 Suppl 3, 1 – 46
[2] Schwartz, D.C. & Cantor, C.R. (1984) Cell. 37, 67 –75
[3] Tenover, F.C. et al. (1995) J. Clin. Microbiol. 33, 2233 – 2239
[4] Swaminathan, B. et al. (2001) Emerg. Infect. Dis. 7, 382 – 389
[5] Murchan, S. et al. (2003) J. Clin. Microbiol. 41, 1574 – 1585
[6] Maiden, M.C. et al. (1998) Proc Natl Acad Sci USA. 95, 3140 – 3145
[7] Frenay, H.M. et al. (1994) J. Clin. Microbiol. 32,846 – 847
[8] Grundmann, H. et al. (2010) PLoS Med. 7, e1000215
[9] Maiden, M.C. et al. (2013) Nat. Rev. Microbiol. 11, 728 – 736
[10] Leopold, S.R. et al. (2014) J. Clin. Microbiol. 52, 2365 – 2370

Bild: © istockphoto.com| perkmeup

L&M 2 / 2016

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2016.
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