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Sebastian Hartmann
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Chemische Synthese von Vakzinen
Chemische Synthese von VakzinenImpfung gegen Tumore?Die Impfung gegen Krankheiten – ein Segen für die Menschheit
Die Entdeckung von Emil von Behring im Jahre 1890, dass Bakterien in Mensch und Tier eine starke Immunantwort in Form von gegen Eindringlinge gerichteten Antikörpern (Immunoglobulinen) auslösen, markiert einen außerordentlichen Fortschritt in der Medizin. Seine Einführung der Impfung gegen Diphterie und Wundstarrkrampf (Tetanus) wurde 1901 mit dem ersten Nobelpreis für Physiologie und Medizin gewürdigt. Grundlage der Immuntherapie von Infektionskrankheiten ist, dass Moleküle (Saccharide, Polysaccharide, Proteine) der Zellwand von Bakterien vom Säugetierorganismus als fremd erkannt und durch die Bildung von gegen diese Fremdstrukturen gerichteten Antikörpern bekämpft werden. Immunreaktionen gegen virale Infektionen, z.B. Grippe, ließen sich schon schwieriger auslösen, weil die Viren für die Synthese ihrer Membranmoleküle den Biosyntheseapparat der Säugetierzellen nutzen. Ihre Membranmoleküle werden daher vom Organismus nicht direkt als fremd wahrgenommen. Kranke Zellen wie Tumorzellen tragen vom Organismus selbst produzierte, endogene Moleküle (Proteine, Glycoproteine und Glycolipide) auf ihren Membranen. Diese Molekülstrukturen sind nur schwach immunogen. Das Mucin MUC1 als Zielstruktur für eine Immundifferenzierung zwischen Normal- und Tumorzellen MUC1 ist ein in der äußeren Zellmembran verankertes Glycoprotein, das hoch glycosyliert ist und weit in den extrazellulären Raum (>100 nm) hinausreicht. Es wird auf nahezu allen Epithelgeweben exprimiert (Brust, Prostata, Dickdarm, Pankreas), auf den entsprechenden Tumorgeweben ist es meistens stark überexprimiert. In seinem großen extrazellulären Teil enthält es eine ausgedehnte Domäne, die aus zahlreichen, je nach Individuum in der Zahl variablen Wiederholungssequenzen besteht, so genannten Tandem Repeats. Jede dieser Wiederholungseinheiten schließt fünf potenzielle Glycosylierungsstellen, drei Threonine und zwei Serine ein. Im MUC1 auf den normalen Epithelzellen sind die Kohlenhydratseitenketten sehr lang, sie decken das Proteinrückgrat in diesem Teil völlig ab. Das MUC1-Molekül nimmt deshalb eine gestreckte, weit in die Umgebung hineinragende Form an. Es ähnelt einer mit Borsten dicht besetzten Reagenzglasbürste. Wegen charakteristisch veränderter Aktivitäten von Glycosyltransferasen (Kohlenhydrate übertragende Enzyme) sind auf den Tumorzellen die Kohlenhydratseitenketten häufig sehr viel kürzer und vorzeitig sialyliert, d.h., sie enden in dem in Schleimglycoproteinen gehäuft zu findenden C-9-Kohlenhydrat N-Acetyl-Neuraminsäure oder einer ihrer N-Acyl-Varianten (zusammen auch als Sialinsäure bezeichnet). Diese kurzen Saccharidseitenketten, O-glycosidischangeknüpft an Threonin oder Serin, gelten als tumorassoziierte Kohlenhydratantigene [1–3].Wegen der kurzen Saccharidseitenketten werden nach unserer Auffassung Peptidsequenzen in der Tandem Repeat-Region des Proteinrückgrates vom tumorassoziierten MUC1 für das Immunsystem zugänglich, welche nun zusätzlich zu den tumor assoziierten Kohlenhydratantigenentumor typische Peptidstrukturinformationen verkörpern, die auf den normalen, gesunden Zellen durch die langen Saccharidseitenketten völlig verdeckt sind. Die verkürzten Saccharidseitenketten im tumorassoziierten MUC1 haben offenbar auch zur Folge, dass sich die Konformationen der Peptidkette ändern. Die lang gestreckte Form kann nun knaufartige Faltungen (Turn-Konformationen) ausbilden [4], die weitere tumortypische Kennstrukturen darstellen. Aus den geschilderten Strukturunterschieden könnte man schließen, dass durch Impfung von Patienten mit aus Tumorzellmembranen isoliertem Mucin MUC1 eine tumorselektive Immunantwort induziert werden kann. Tatsächlich finden sich im Serum von Tumorpatienten solche Antikörper, die aber aufgrund der schon angesprochenen Toleranz keine Immunabwehr gegen das Tumorgewebe einleiten. Versuche, MUC1 von Tumorzellen zur Immunisierung einzusetzen, sind aber vor allem daran gescheitert, dass auf jedem Proteinstrang von tumorassoziiertem MUC1 sowohl kurze tumor assoziierte Saccharidantigene als auch lange, für normales MUC1 typische Kohlen hydratseitenketten in wechselnden Kombinationen angesiedelt sind. Reine tumortypische Glycoproteinstrukturen lassen sich nicht isolieren. Durch chemische Synthese kann man heute dagegen tumortypische Glycopeptidpartialstrukturen aus dem MUC1 rein herstellen [5]. Da sie zu schwach immunogen sind, müssen sie mit immunstimulierenden Faktoren verknüpft werden, um wirksame Vakzinen zu ergeben. MUC1-Glycopeptid-Vakzine durch Verknüpfung mit T-Helferzell-Epitopen
Entsprechend den oben skizzierten Unterschieden in der molekularen Struktur des Mucins MUC1 auf den normalen Epithelzellen einerseits und den Tumorzellen andererseits werden als Zielstrukturen für das Immunsystem Glycopeptidantigene aufgebaut, in denen die tumorassoziierten Saccharidantigene wie das TN-Antigen, das Thomsen-Friedenreich-(T)-Antigen oder deren mit N-Acetyl-neuraminsäure (Sialinsäure) substituierte Formen wie das Sialyl-TN-Antigen mit Peptidsequenzen aus der Tandem-Repeat-Region von MUC1 verknüpft sind. Vielstufige chemo- und stereoselektiveSynthesen sind nötig, um die Fluorenylmethoxycarbonyl (Fmoc)-geschützten Glycosyl-Aminosäure-Bausteine in chemisch reiner Form zu gewinnen. Die in diesen Verbindungen (und in den aus ihnen gewonnenen Produkten) vorhandenen glycosidischen Bindungen bewirken im Vergleich zu normalen Fmoc-Aminosäuren eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Basen und Säuren. Dennoch können sie bei Einhaltung der inzwischen ausgearbeiteten Bedingungen erfolgreich in automatisierten Festphasensynthesen von MUC1-Glycopeptidantigenen eingesetzt werden. Schema 1 gibt zusammengefasst ein Beispiel wieder, in dem ein 2-Trimethylsilylethylester-Anker (in 1) und ein Sialyl-TN-Threonin-Baustein 2 verwendet wurden [6]. Konjugate von MUC1-Glycopeptiden mit Rinderserumalbum in (BSA) in ELISA-Tests
Zur Verknüpfung mit Trägerproteinen wie BSA wurden die Glycopeptide in den Festphasensynthesen N-terminal um eine Triethylenglycol-Spacer-Aminosäure verlängert. Die so gewonnene, völlig deblockierte Form 6 wurde mit bifunktionellen Linkermolekülen umgesetzt – im vorliegenden Fall mit Quadratsäurediester bei pH 8 zum Monoamid 7. Die erhaltene monofunktionelle Form 7 reagiert mit den Aminofunktionen der Lysine im Protein in Wasser (hier ist es der Quadratsäuremonoamidester bei pH 9.5) zum Konjugat 8. Es trägt laut MALDI-Massenspektrum im Mittel sechs tumorassoziierte Glycopeptid-Antigene in unangetasteter Struktur [6]. Dieses Glycopeptid-BSA-Konjugat 8 wird in wässriger Lösung in die Vertiefungen der Mikrotiterplatte eingebracht, wo es an der hydrophoben Oberfläche haften bleibt. Nach Spülen mit Wasser erhält man eine Beschichtung, die man als Imitierung einer Zelloberfläche verstehen kann. Bringt man das durch die Vakzine 5 in der transgenen Maus induzierte Antiserum auf die Mikrotiterplatte auf, dann bleiben nach dem Waschen nur jene Maus-Antikörper an diesem Konjugat haften, die spezifisch gegen das (in der Vakzine enthaltene) Glycopeptid gerichtet sind. Diese induzierten Maus-Antikörper werden mit einem biotinylierten Schaf-Antimaus-Antikörper nachgewiesen, dessen Anhaftung wiederum mit einem Streptavidin-Meerrettichperoxidase (HPO)-Konjugat sichtbar gemacht wird, das die Oxidation eines farblosen Heterozyklus durch Wasserstoffperoxid zu einem grünen Radikalkation katalysiert. Im ELISA-Diagramm ist dessen optische Dichte gegen die steigende Verdünnung des Maus-Antiserums aufgetragen. Es zeigt sich nun, dass in einer von drei transgenen Mäusen nach der zweiten Auffrischungsimpfung mit der vollsynthetischen Vakzine 5 eine stark erhöhte Immunreaktion auftrat. Das ist ein Indiz für die Ausbildung eines immunologischen Gedächtnisses und für den Wechsel vom IgM- zum IgG-Antikörpertyp. Neutralisierungen der in der Maus induzierten Antikörper mit dem synthetischen tumorassoziierten Glycopeptidantigen 4 zeigen eindrucksvoll die hohe Strukturspezifität der ausgelösten Immunantwort. Während das in der Vakzine präsente Sialyl-TN-Glycopeptid 4 die Antikörper völlig neutralisiert, bewirken weder das unglycosylierte MUC1-Peptid gleicher Sequenz, noch das Sialyl-TN-Glycopeptid mit einer Peptidsequenz aus dem Mucin MUC4 eine Neutralisierung dieser Antikörper. Man kann also konstatieren, dass durch die synthetische Vakzine 5 eine ausgesprochen strukturselektive Immunantwort ausgelöst wurde, die spezifisch gegen die für die Epitheltumorzellen typische MUC1-Glycopeptidstruktur gerichtet ist. Antitumor-Vakzine aus MUC1-Glycopeptidantigenen und Tetanus Toxoid
Um Glycopeptid-Impfstoffe zu gewinnen, die zuverlässig eine hohe Immunogenität zeigen und zugleich beim Menschen angewandt werden könnten, haben wir die synthetischen tumorassoziierten Glycopeptide über die schon in Schema 3 vorgestellten Verknüpfungselemente Spacer-Aminosäure und Quadratsäure-Linker mit Tetanus Toxoid als Trägerprotein verknüpft [7]. Tetanus Toxoid ist ein Protein mit einem Molekulargewicht von >150.000, das zahlreiche T-Zellepitope enthält. Es wirkt stark immunstimulierend und wurde schon in mehreren Impfstoffen, z.B. gegen Influenza, mit Erfolg zur Impfung von Menschen eingesetzt. Die in der beschriebenen Weise synthetisierte MUC1-Tetanus Toxoid (TTOX)-Vakzine 9 [7] wurde zur Impfung von zehn Wildtyp-Balb/c-Mäusen verwendet. Alle zehn Tiere zeigten eine sehr starke Immunreaktion. Nach der zweiten Auffrischungsimpfung wurden im ELISA-Test Antikörpertiter von >500.000 gemessen, d.h. nach einer Verdünnung des Antiserums der geimpften Maus (Maus 8) um den Faktor 500.000 wurden noch immer 50 % der optischen Dichte des grünen Radikalkations im ELISA (s.o.) gefunden. Das ist eine so starke Immunreaktion, dass sie in jedem Falle die zuvor angesprochene natürliche Toleranz gegen die endogenen Strukturen durchbrechen würde. Es ist zudem eine Immunantwort, die strukturselektiv gegen das tumorassoziierte MUC1-Glycopeptid gerichtet ist. Gibt man dieses Glycopeptid (9 ohne TTOX und Quadratsäureteil) zum Antiserum, dann werden die induzierten Antikörper neutralisiert, und eine Bindung an die MUC1-Glycopeptid-BSA-Konjugate auf der Mikrotiterplatte kann im ELISA nicht mehr festgestellt werden. Diese Selektivität der starken Immunreaktion ist unbedingt erforderlich, denn würden die induzierten Antikörper auch an Glycopeptid-Strukturen auf normalen Epithelzellen binden, könnte das unerwünschte Folgen haben. Leider zeigten die durch die synthetische Vakzine 9 ausgelösten Antikörper in einem Durchflusszytometer nur schwache Bindung an Brusttumorzellen der Linie MCF-7. In einer solchen durchflusszytometrischen Analyse wurden die Tumorzellen mit dem auf 1:1000 verdünnten Serum einer mit Vakzine 9 geimpften Maus inkubiert, danach gewaschen und gebundene Maus- Antikörper mit einem fluoreszenzmarkierten Ziege-Antimaus-Antikörper markiert. In der „Fluorescent-activated Cell Sorting“- (FACS)-Analyse im Durchflusszytometer werden alle passierenden Zellen durch Streuung eines Laserstrahls gezählt. Die durch die Antikörper erkannten und daher fluoreszierenden Zellen aber werden gesondert ausgemessen. Um alle Abbildungen zu sehen, laden Sie bitte das PDF (oben rechts) runter
Literatur: Foto: © Prof. Dr. Horst Kunz |
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