L&M-8-2012
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Das enterische Nervensystem
Das enterische NervensystemGehirn im BauchWas wäre wenn? Was wäre, wenn man Ihnen erzählt, dass der Darm denkenkann? Nervenzellen und Darm? Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Sie sollten es dennoch glauben! Das Denken des Darmes entspricht vielleicht nicht dem, was wir uns gemeinhin als Denken vorstellen, aber immerhin enthält der Gastrointestinaltrakt mehr Nervenzellen als das Rückenmark: ca. 1 Mio. bei Mäusen und bis zu 600 Mio. beim Menschen. Und die braucht er auch. Das Gehirn im Bauch
Das enterische Nervensystem (ENS) durchzieht den Gastrointestinaltrakt vom Ösophagus bis hin zum Rectum und von der Schleimhaut bis zur Serosa. Der Darm ist also in allen Richtungen von Nervengewebe durchwoben. Allerdings ist die Struktur des ENS in allen Darmabschnitten unterschiedlich und an die funktionelle Situationangepasst. Man kann sich das ENS wie ein Armierungsgewebe in Hochdruckschläuchen vorstellen, es durchzieht den Darmschlauch als Netz. Allerdings nicht als ein einziges, sondern gleich im Doppel-, Triple- oder Quadruplepaket, abhängig von der Spezies. Prinzipiell unterscheiden wir zwei größere ganglionäre Netzwerke, die so genannten Plexus, den Plexus myentericus (Abb. 1a) zwischen der Längs- und Ringmuskelschicht des Darmes und den Plexus submucosus in der Verschiebeschicht unter der Schleimhaut (Abb. 1b). Finden wir bei der Maus oder der Ratte nur einen Plexus submucosus, so sind es beim Menschen schon drei. Zusätzlich finden wir aganglionäre Netzwerke in der Muskulatur, der Serosa oder der Schleimhaut. Wo Nerven sind, da ist auch Glia Oft wird die Rolle der zweiten wesentlichen Komponente des ENS, der enterischen Gliazelle, verkannt. Während wir von den Gliazellen des ZNS wissen, dass sie eine heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Funktionen darstellen (Astrozyten, Oligodendrozyten, Tanyzyten), wurde die enterische Glia lange Zeit in einenTopf mit anderen Gliazellen des peripherenNervensystems geworfen, den Schwannzellen. Allmählich lernen wir jedoch, dass die enterische Glia eine ganz eigene und darüber hinaus eine heterogene eigene Gliapopulation darstellt. Die enterische Glia lässt sich durch eine ganze Reihe von Markern darstellen, wobei S100b, Sox10, GFAP oder BFABP adulte enterische Glia im Nager markieren. GFAP lässt sich in der humanen enterischen Glia nur in besonderen Fällen färben: im Rahmeneiner Infektion oder Erkrankung des Darmes. Dies kann eine banale Appendicitis sein, aber auch ein Morbus Crohn [2], ein Colonkarzinom oder eine Dysganglionose. Letztere ist durch eine Reduzierung oder ein komplettes Fehlen von Ganglien beider Plexus gekennzeichnet. In all diesen Fällen sehen wir eine Zunahme der GFAP-Expression in der enterischen Glia. Im Prinzip können wir von einer reaktivenGliose sprechen, ähnlich der, wie sie auch im ZNS zu sehen ist. Die Reaktion der enterischen Glia spricht für eine gewisse Plastizität des Systems, wie sie auch für die Nervenzellen bekannt ist. Ein Maß für die Plastizität stellt auch die Menge an neuronalen Stammzellen dar, die wir im ENS finden können. Untersuchungen an einer GFP-Nestin-transgenen Maus zeigen, dass der neuronale Stammzellmarker Nestin in einer großen Anzahl von Gliazellen exprimiert wird. Allerdings zeigen auch einige Neurone eine ausgeprägte Nestinexpression. Die Tatsache, dass so viele neuronale Stammzellen im Darm zu finden sind, lässt ihn als ideale autologe neuronale Stammzellquelle erscheinen. Eine Isolation – selbst im adulten Darm (bei Nagernund Mensch) – ist möglich und in unserer Arbeitsgruppe etabliert.Auch das erwachsene Nervensystem pflanzt sich fort
Noch steht es nicht in allen Lehrbüchern, aber das Dogma des permanent sterbenden Gehirns ist nicht mehr zu halten. Bestand bis vor wenigen Jahren die gängige Lehrmeinung darin, dass sich das Nervensystem zwar in der Peripherie regenerieren, aber der Verlust von Nervenzellen nicht mehr ausgeglichen werden kann, so wissen wir heute, dass es im Gehirn Regionen gibt, die permanent neue Nervenzellen produzieren: Regionen mit Stammzellcharakter. Diese finden sich in der unmittelbaren Nähe der Der Mensch ist, was er isst
Wie bereits oben angedeutet, reagiert der Darm und mit ihm sein Nervensystem sehr plastisch auf Veränderungen der Lebensgewohnheiten oder im Rahmen von Erkrankungen. Eine zentrale Rolle spielen hier die so genannten entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. In den letzten Jahren zeigt sich immer mehr, welche wichtige Rolle das Darmnervensystem im Verlauf dieser Erkrankungen spielt. Zum Beispiel ändert sich die Zusammensetzung der Neurotransmitter im myenterischen Plexus bei Patienten mit Morbus Crohn. Die Expression des Gliamarkers GFAP nimmt zu und mit ihr die Expression des glialen Wachstumsfaktors GDNF, einem wesentlichen neurotrophen Faktor für die Entwicklungdes ENS [2]. In einer kürzlich publizierten Studie konnte gezeigt werden, dass GDNF (Abb. 5) und andere neurotrophe Faktoren und Zytokine in unterschiedlichen Konzentrationen in Muttermilch enthalten sind [5]. Der Gehalt an GDNF ist z. B. im so genannten Kolostrum, der ersten Milch, am höchsten und nimmt mit zunehmender Stillzeit ab. „Füttert“ man Kulturen des ENS mit Proteinextrakten aus der Muttermilch unterschiedlicher Mütter, so bilden diese Nervenzellen unterschiedlich lange Neuriten. Zusätzlich nimmt die Zahl der neuronalen Stammzellen in den Kulturen zu. Fazit Alles in allem verdient das ENS mehr Aufmerksamkeit: als stiller Kommunikator gastro intestinaler Aktivität, als solider Partner bei der Adaptierung des Darmes oder nicht zuletzt als autologe neuronale Stammzellquelle. Literatur
[1] Hagl et al., FGF2 deficit during development leads to specific neuronal cell loss in the enteric nervous system. Histochem Cell Biol, 2012, Epub ahead of print. Foto: © Prof. Dr. med. Karl-Herbert Schäfer |
L&M 8 / 2012Das komplette Heft zum kostenlosen Download finden Sie hier: zum Download Weitere Artikel online lesenNewsSchnell und einfach die passende Trennsäule findenMit dem HPLC-Säulenkonfigurator unter www.analytics-shop.com können Sie stets die passende Säule für jedes Trennproblem finden. Dank innovativer Filtermöglichkeiten können Sie in Sekundenschnelle nach gewünschtem Durchmesser, Länge, Porengröße, Säulenbezeichnung u.v.m. selektieren. So erhalten Sie aus über 70.000 verschiedenen HPLC-Säulen das passende Ergebnis für Ihre Anwendung und können zwischen allen gängigen Herstellern wie Agilent, Waters, ThermoScientific, Merck, Sigma-Aldrich, Chiral, Macherey-Nagel u.v.a. wählen. Ergänzend stehen Ihnen die HPLC-Experten von Altmann Analytik beratend zur Seite – testen Sie jetzt den kostenlosen HPLC-Säulenkonfigurator!© Text und Bild: Altmann Analytik ZEISS stellt neue Stereomikroskope vorAufnahme, Dokumentation und Teilen von Ergebnissen mit ZEISS Stemi 305 und ZEISS Stemi 508ZEISS stellt zwei neue kompakte Greenough-Stereomikroskope für Ausbildung, Laborroutine und industrielle Inspektion vor: ZEISS Stemi 305 und ZEISS Stemi 508. Anwender sehen ihre Proben farbig, dreidimensional, kontrastreich sowie frei von Verzerrungen oder Farbsäumen. © Text und Bild: Carl Zeiss Microscopy GmbH |