Forensik- Haplotypisierung eng gekoppelter Short Tandem Repeats (STRs)
Forensik- Haplotypisierung eng gekoppelter Short Tandem Repeats (STRs)Abstammungstest
Prof. Dr. rer. nat. habil. Reinhard Szibor, Kommissarischer Direktor des Institutes für Rechtsmedizin, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Für die forensische Genetik begann die DNA-Ära vor 25 Jahren, als es Sir Alec Jeffreys [1] gelang, für Menschen sowie alle Wirbeltierspecies individuelle „genetische Fingerprints“ darzustellen. Im Genom existieren Blöcke repetetiver DNA mit hypervariablen „Minisatelliten“-Regionen, dank derer man im Southern-Blot barcode-ähnliche individuelle Muster darstellen kann. Natürlich ererbt jedes Individuum die DNAAbschnitte, die in diesen „Fingerprints“ die Banden bilden, von seinen Eltern. Auf diese Weise war es möglich, das Fingerprinting auch im Abstammungstest einzusetzen, wodurch man entweder zu definitiven Vaterschaftsausschlüssen oder zu Vaterschaftsbestätigungen kam, die im Normalfall mit Wahrscheinlichkeitsangaben von > 99,999 % einhergingen. In den Jahren zuvor wurden für den Vaterschaftstest die Blutgruppen und die Enzym- und Proteinvarianten des Blutes analysiert. Dort wurden solch hohe Vaterschaftswahrscheinlichkeiten nur dann erreicht, wenn man zufällig die Vererbung eines extrem selten Merkmals beobachten konnte. Aber solche Ereignisse waren dann eben auch selten wie ein Lottogewinn.
Short Tandem Repeats (STRs) In der darauf folgenden Entwicklung richtete sich das forensische Interesse auf die STRs [2]. Dabei handelt es sich um hypervariabele DNA-Abschnitte, die aus einer variablen Anzahl Repeats eines kurzen Motivs bestehen. Die Rechtsmedizin nutzt vorzugsweise STRs mit Tetra- oder Pentanucleotidrepeat-Struktur wie z. B. (GATA)n-variabel oder (AAAT)n-variabel etc. Diese Strukturen sind hinsichtlich der Lokalisation, der Mutabilität und ihrer Allelverteilung in der Population genau charakterisiert und mittels PCR amplifizierbar. Verschiedene industrielle Anbieter konkurrieren heute mit Analysekits, mit denen man bis zu 16 Loci simultan amplifizieren kann. Mithilfe von Genscannern lassen sich die Amplifikate hinsichtlich der Längenvariabilität elektrophoretisch auswerten. Der Vaterschaftstest für die normale Konstellation Mutter- Kind-Putativvater ist seit Einführung der STR-Analytik eine unproblematische Routineangelegenheit geworden. So werden jährlich in Deutschland etwa 30.000 Vaterschaftsgutachten im privaten oder gerichtlichen Auftrag erstattet, wobei in dieser Klientel jeder dritte Putativvater als Nicht-Vater erkannt wird. Defizienzverwandtschaftstest Schwieriger wird es, wenn der Putativvater bereits verstorben ist und nicht mehr untersucht werden kann. Zwar lässt sich aus exhumierten Skeletten noch DNA gewinnen, aber aus ethischen Gründen und auch des Aufwandes wegen möchte man diese Lösung gern meiden und wenn nur noch die Urne vorhanden ist, geht sowieso gar nichts mehr. In solchen Fällen untersucht man anstelle des Vaters möglichst enge Verwandte von ihm. Dabei kann man zwar die direkte Merkmalsweitergabe Putativvater-Kind nicht mehr prüfen, aber man kann untersuchen, ob das Kind mit den engen Verwandten des Vaters eine große Anzahl von Allelen gemeinsam besitzt. Wenn der Grad der Übereinstimmungen so hoch ist, dass sich dieser Sachverhalt auf dem Hintergrund der Allelverteilung in der Bevölkerung nicht durch Zufall erklären lässt, ist das am ehesten verwandtschaftsbedingt und es errechnet sich eine hohe Vaterschaftswahrscheinlichkeit. Auch hier ist es wieder so, dass eine Übereinstimmung in sehr seltenen Merkmalen die Vaterschaftswahrscheinlichkeit drastisch erhöht. Aber das Glück hat der Abstammungsgutachter nur ausnahmsweise: selten ist eben selten. Was kann man tun, damit „selten“ immer zutrifft? Für diese absurd anmutende Frage gibt es eine Antwort. Wenn man auf den Chromosomen mehrere STRs zusammenfasst, die genetisch so eng gekoppelt sind, dass sie immer (oder zumindest fast immer) gemeinsam vererbt werden, dann kommt man zu Haplotypen, die mit sehr geringer Frequenz auftreten [3]. Einzelne STRs werden nun bei der Berechnung durch Haplotypen ersetzt. Wenn auf einem Chromosom z. B. drei benachbarte STRs mit Allelen vertreten sind, die jeweils eine Frequenz von 0,2 aufweisen, lässt die Multiplikation 0,2 x 0,2 x 0,2 eine Frequenz von 0,008 erwarten. Diese Aussage muss allerdings sofort wieder eingeschränkt werden, weil sehr eng gekoppelte Loci Kopplungsungleichgewichte zeigen können und deshalb oft geringe Abweichungen von der Erwartung auftreten. Darum verbietet sich eine sorglose Multiplikation. Aber trotzdem zeigt das Beispiel, dass man bei der Arbeit mit Haplotypen hinsichtlich der Frequenzen völlig neue Dimensionen erschließt. Schade ist nur, dass die Haplotypisierung mit den Markern auf den Autosomen nicht funktioniert. (Autosomen sind die Chromosomen, die beim Menschen in 22 Paaren vorkommen und im männlichen und weiblichen Geschlecht identisch sind.) Leider können wir die Phasen nicht erkennen, weil man die Haplotypen der beiden Chromosomen nicht getrennt, sondern nur gemeinsam amplifizieren kann. Haben wir beispielsweise in einem Cluster von 3 STRs auf einem Chromosom die Konstellation A-B-C und auf dem homologen Chromosom a-b-c vorliegen, so können wir nicht erkennen, ob die Haplotypen A-B-C und a-b-c oder vielleicht auch ABc, Abc, aBc, aBC usw. sind. STR-Haplotypisierung funktioniert für die Gonosomen X und Y Anders als bei den Autosomen ist das bei den Geschlechtschromosomen X und Y (ChrX und ChrY), die im männlichen Geschlecht ja jeweils nur einfach auftreten. Hier beschreibt das Amplifikationsergebnis automatisch die Haplotypen. Bei der ChrY-Analyse sind die forensisch genutzten STRs absolut gekoppelt. Analysiert man hier 8 STRs und man findet zwischen zwei Männern einen identischen Haplotyp, so muss das verwandtschaftsbedingt sein, denn die Haplotypenfrequenz ist bei einer Analyse von 8 Loci so gering, dass eine zufällige Identität praktisch ausgeschlossen ist [4]. Zu beachten ist allerdings, dass es in Isolaten zuweilen zur Anhäufung identischer ChrY-Muster kommt, was für Abstammungstests problematisch sein kann. Die Y-chromosomale Typisierung zeigt Verwandtschaft in ChrY-Vererbungslinien (männliche Linien) über viele Generationen auf, was auch für die Genealogie sehr interessant ist. ChrX-STR-Haplotypen Komplizierter sind ChrX-Vererbungslinien: Sie sind zwischen Väter und Söhnen unterbrochen, verbinden aber Väter mit Töchtern und Mütter mit Söhnen und Töchtern. Man erkennt die Haplotypen im männlichen Geschlecht direkt durch einfache Typisierung der STRs. Für deren enge weibliche Verwandte kann man sie meist aus der Familienanalyse ableiten. Im weiblichen Geschlecht liegen die ChrX paarig vor und rekombinieren während der mütterlichen Meiose. Deshalb kann man für die ChrX-Haplotypisierung nur sehr enggekoppelte STR-Cluster nutzen. Für das ChrX sind in den vergangenen Jahren vier STR-Trios etabliert worden, die in sich jeweils sehr eng (<1cM), zueinander aber nicht oder nur sehr lose gekoppelt sind [5] (Abb. 1).
Diese vier STR-Cluster kann man mit dem Multiplex-PCR-Kit ArgusX12 ( Biotype AG, Dresden) co-amplifizieren. Ein entsprechendes Elektropherogramm ist in der Abb. 2 dargestellt. Der Argus X12 ist nicht nur geeignet, um beispielsweise für fragliche Halbschwestern einen gemeinsamen Vater zu beweisen oder auszuschließen, sondern es lassen sich auch Verwandtschaftsverhältnisse zwischen fraglichen Cousins und Cousinen bzw. zwischen Tanten und Neffen (bzw. Nichten) Großväter und Enkel etc. zeigen. Wenn jeweils in nur einem der 4 STR-Cluster eine gemeinsamer Haplotyp gefunden wird, schnellt die errechenbare Verwandtschaftswahrscheinlichkeit drastisch in die Höhe. Die Abb. 3 illustriert einen ChrX-Erbgang am Beispiel eines von den vier analysierbaren STR-Clustern.
Es geht nicht nur um Alimente und Erbschaften In der forensischen Genetik geht es keinesfalls nur darum, die Vaterschaft zu bestimmen, etwa um einem Kind strittiger Abstammung die Alimenten zu sichern oder um ihm die Möglichkeit zu verschaffen, sein Erbe einzuklagen. Wenn auch die Ereignisse viel seltener sind, so hat doch der Abstammungstest eine ebenso wichtige Bedeutung bei der Identifizierung von Leichen und Skeletten. Der rechtsstaatliche Grundsatz, dass jede Leiche identifiziert werden muss, ist nicht nur ein ordnungs- und sicherheitspolitisches Erfordernis. Die Bedeutung, die eine Leichenidentifizierung für die Angehörigen hat, kann gar nicht überschätzt werden. Als kürzlich Frau Prof. M. Prinz, Direktorin des Department of Forensic Biology, Office of Chief Medical Examiner, New York, darüber berichtete, wie dankbar die Hinterbliebenen der Opfer des 11. Septembers waren, dass sie mit der Bestattung eines identifizierten Knochenfragments plötzlich einen Ort der Trauer gewannen, war selbst ein Auditorium von Insidern von den Fallberichten beeindruckt.
Literatur |
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