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Medikamententransport in lebende Zellen

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Einer der schwierigsten Schritte auf dem Weg zur Wirksamkeit eines Therapeutikums ist die Überwindung der zellulären Plasmamembran. Die Mehrheit der therapeutischen Moleküle muss diese Barriere überwinden, um an ihren Wirkort zu gelangen. Im Zellinneren angelangt, können sie dann – zum Beispiel durch Interaktion mit einem Protein – einen Signaltransduktionsweg gezielt unterbrechen oder aktivieren. Die Plasmamembran fungiert als ein Schutzwall und Zellen nehmen Nährstoffe aus dem sie umgebenden Medium vornehmlich aktiv über spezialisierte Aufnahmewege auf. Die meisten Therapeutika können jedoch über diese Mechanismen nicht einverleibt werden.

In den späten 1980er-Jahren wurde zum ersten Mal gezeigt, dass ein exogen zugegebenes Protein vom HI-Virus von Zellen aufgenommen und intrazelluläre Signalwege verändert wurden. Bald darauf folgte die Entdeckung, dass Transkriptionsfaktoren aus Drosophila die gleiche Fähigkeit aufwiesen. Die für den Membranübertritt verantwortliche Aktivität konnte auf kurze Peptidsequenzen zurückgeführt werden und der Begriff der zellpenetrierenden Peptide (cell penetrating peptides, CPPs) wurde geprägt. Zellpenetrierende Peptide weisen die erstaunliche Fähigkeit auf, in jeden Zelltyp eindringen und dabei assoziierte Moleküle ins Zellinnere transportieren zu können. Seit ihrer Entdeckung wurde intensiv an dem zu Grunde liegenden Eintrittsmechanismus geforscht, um die Transporteigenschaften von CPPs noch besser ausnutzen zu können.
Unsere Arbeitsgruppe konzentriert sich dabei auf zwei Schwerpunkte: Zum einen versuchen wir, Einblicke in den Mechanismus des Plasmamembranübertritts zu erhalten, zum anderen setzen wir zellpenetrierende Peptide ein, um zelluläre Prozesse in lebenden Zellen zu visualisieren und um gezielt in Signaltransduktionswege einzugreifen, d.h., die Zellphysiologie selbst zu manipulieren [1]. Es ist eindeutig, dass zellpenetrierende Peptide nicht auf bislang bekannte Einschleusungswege in die Zelle zurückgreifen. Daher setzt Prof. Cardoso auf eine interdisziplinäre Herangehensweise, um die Funktionsweise zellpenetrierender Peptide gemeinsam mit ihrem Team aus Biologen, (Bio)chemikern, Physikern und Ärzten zu charakterisieren.

Was sind zellpenetrierende Peptide?

Zellpenetrierende Peptide werden wegen ihrer Eigenschaft, Wirkstoffe, z.B. Therapeutika, ins Zellinnere zu befördern, auch trojanische Peptide genannt. Es handelt sich um kurze Sequenzen (? 30 Aminosäuren), die vorwiegend aus Argininen und Lysinen bestehen und somit stark positiv geladen sind. Der Mechanismus der Zellpenetration durch diese Peptide und ihre Transporteigenschaften werden immer noch sehr kontrovers diskutiert und es ist wahrscheinlich, dass nicht nur ein Mechanismus dem Membranübergang zu Grunde liegt. In Prof. Cardosos Gruppe konnte gezeigt werden, dass zellpenetrierende Peptide ohne Verbrauch metabolischer Energie ins Zellinnere gelangen [2]. Dieser Befund veranschaulicht, dass die Pfade, die für die aktive Aufnahme von Nährstoffen von der Zelle (Endozytose) benutzt werden, für die Peptidaufnahme nicht in Frage kommen. Während bei der Endozytose die aufgenommenen Stoffe in einer Doppellipidschicht eingeschlossen sind, können zellpenetrierende Peptide die Plasmamembran auf eine Weise überwinden, die zu einer direkten Bioverfügbarkeit innerhalb des Zytoplasmas führt (Abb. 1). Wie Dr. Herce durch sensitive Methoden, die ionische Flüsse über die Membran detektieren, zeigen konnte erfolgt der Membranübertritt zellpenetrierender Peptide tatsächlich direkt. Dabei „durchtunneln” die CPPs die Plasmamembran, indem sie winzige, äußerst kurzlebige Höhlen induzieren. Diese temporären Höhlen sind die Grundlage für das Erreichen des Zellinneren sowie den Transport von Therapeutika und Biomarkern [3, 4] (Abb. 2).

Verständnis über Struktur und Funktion von CPPs für die Optimierung des Medikamententransports

Ausschlaggebend für ein erfolgreiches „Delivery“ von Substanzen in Zellen ist das Verständnis der Struktur-Funktions-Beziehung von zellpenetrierenden Peptiden. Im Hinblick auf diese Fragestellung beobachtete Dr. Tünnemann, dass, obwohl die meisten zellpenetrierenden Peptide eine gestreckte Konformation einnehmen, diese Struktur keine notwendige Bedingung für die Translokation über die Plasmamembran ist. Tatsächlich sind die zum Ring geschlossenen Analoga dieser Peptide schneller und somit insgesamt effizienter, wenn es darum geht, Substanzen in das Zellinnere zu befördern [5]. Diese Studie basiert auf einer Kombination von Lebendzellmikroskopie, chemischen und physikalischen Untersuchungen sowie molekulardynamischen Simulationen (Abb. 3). Wenn ein Therapeutikum appliziert wird, so ist das Erreichen möglichst vieler kranker Zellen das vorrangige Ziel. Dies ist besonders im Hinblick auf Krebszellen von entscheidender Bedeutung. Zellpenetrierende Peptide weisen unter normalen Bedingungen Unterschiede in den Translokationseffizienzen in Abhängigkeit vom Zelltyp auf. Die Kenntnis darüber, wie man den Plasmamembranübertritt effizienter machen kann – sei es durch die kürzlich publizierte Variation des Peptid-Rückgrats oder durch weitere, noch nicht veröffentlichte Faktoren, die die Effizienz bekannter zellpenetrierender Peptide um ein Vielfaches heraufsetzen –, ist ein wichtiger Schritt für eine Therapie, die die Population von Krebszellen vollständig erreicht und eine erfolgreiche Behandlung durch eine eingeschleuste Substanz möglich macht.
Darüber hinaus arbeiten wir daran, die Bioverfügbarkeit der durch zellpenetrierende Peptide eingeschleusten Substanzen zu erhöhen. Für diesen Zweck stellen wir zellpenetrierende Peptide her, die nach erfolgreichem Membranübertritt, das Kargo freisetzen sodass die transportierte Substanz in der Zelle die volle Aktivität erzielen kann. Die Optimierung der Vehikelfunktion zellpenetrierender Peptide durch eine Kombination dieser Methoden ist eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung von neuen Trägersubstanzen in Cremes und weiteren Applikationslösungen.

Peptide als Therapeutika und Biomarker

Unser gegenwärtiger Schwerpunkt ist die weitere Optimierung der Einschleusung und die spezifische Zielsteuerung (Targeting) der Peptide um so gezielt zelluläre Prozesse sichtbar zu machen und bei krankhaften Veränderungen gezielt intervenieren zu können. Der Gebrauch von kurzen Peptiden, die die Kontaktfläche von Proteinen und damit auch deren Interaktionsvermögen mit weiteren Bindungspartnern verändern, ist aus folgenden Gründen attraktiv: Zum einen können Peptide in hoher Qualität und frei von problematischen Verunreinigungen hergestellt werden, zum anderen wirken sie hoch spezifisch und weisen durch ihre geringe Toxizität eine Alternative zu anderen niedrigmolekularen, therapeutisch wirksamen Substanzen auf. In vitro und im Tierversuch stellen sie eine Möglichkeit dar, genetische Manipulationen und die damit verbundenen Risiken zu vermeiden. Erfolgreiche peptidische Kandidaten werden durch Proteomics- und Interactomics- Ansätze identifiziert und durch In-vitro- und In-silico-Methoden auf eine Inhibition der angestrebten Wechselwirkung „maßgeschneidert”, also hochaffin gemacht. Sodann wird der Transport durch die zellpenetrierende Komponente modifiziert, sodass das entstehende Fusionpeptid optimal an seinen Wirkort gebracht und in seinem spezifischen zellulären Kompartment seine Wirkung entfalten kann.
Nach der Selektion des idealen Peptids wird die erfolgreiche Unterbrechung des Signaltransduktionsweges in lebenden Zellen untersucht. In Prof. Cardosos Arbeitsgruppe und in Zusammenarbeit mit ihren Kollegen von der Ludwig Maximilians-Universität in München wurde über die Jahre eine Vielzahl von Methoden entwickelt, um generell Protein-Interaktionen, Zellzyklus, DNASchaden und -Reparatur zu untersuchen, alles in lebenden Zellen und in Echtzeit. Diese Lebendzell-Assays sind eine Grundvoraussetzung, um zu verstehen, wie und in welcher Menge ein Therapeutikum sein Ziel erreicht, wie das Zeitfenster für die Applikation und die Dauer seiner Wirksamkeit ist und sind somit unerlässlich, um seinen Eignung als potenzielles Medikament beurteilen zu können (Abb. 4+5).

Peptide, Krankheiten und darüber hinaus

Unsere Forschung umfasst einen großen Bereich biologischer Prozesse und methodischer Werkzeuge. Die Zelle als Baustein eines jeden Organismus auf molekularer Basis zu begreifen, ist unser Impetus. Daher befasst sich die Arbeitsgruppe von Prof. Cardoso auch jenseits der Studien zum Transport von Biomolekülen, vermittelt durch zellpenetrierende Peptide, mit Protein-Protein- und Protein-DNA-Wechselwirkungen, besonders im Hinblick auf die Themenschwerpunkte DNA-Replikation, -Modifizierungen und -Reparatur, Zellproliferation und Differenzierung und das sowohl in vitro als auch in vivo. Informationen dazu, ebenso wie unsere wissenschaftlichen Veröffentlichungen, optimierte Methoden und Protokolle und Links zu Lehrressourcen für Neueinsteiger und Studenten sind auf unserer Webseite zusammengefasst (www.cardoso-lab.org). Eine Seite darin ist gesondert der Lichtmikroskopie, ihren Prinzipien und Applikationen gewidmet. Für den Meinungs- und Wissensaustausch über zellpenetrierende Peptide (CPPS) hat Dr. Herce eine dynamische Webseite entwickelt, die es Wissenschaftlern und Interessierten erlaubt, Ergebnisse und Übersichtsartikel über zellpenetrierende Peptide hochzuladen und zu diskutieren. Weiterhin enthält die Seite eine Datenbank, in denen CPP-Sequenzen, Patente, Statistiken und mehr niedergelegt sind (www.cell-penetrating-peptides.com). Diese interdisziplinären Ansätze, die Ausbildung von Studenten und Wissenschaftler und die kontinuierliche Entwicklung von neuen theoretischen und experimentellen Methoden sind wichtige Vor aussetzungen für die erfolgreiche Anwendung von Peptiden zur gezielten Manipulation von zellulären Prozessen und zur Etablierung von neuen Therapieansätzen.

Literatur
[1] Tünnemann, G. et al. [2006] FASEB J. 20, 1775-1784
[2] Ter-Avetisyan, G. et al. [2009] J. Biol. Chem. 284, 3370-337 8.
[3] Herce, H.D. & Garcia, A.E. [2007] PNAS 104, 20805-20820.
[4] Herce, H.D. et al. [2009] Biophys. J. 97, 1917-1925.
[5] Lättig-Tünnemann, G. et al. [2011] Nat. Commun. 2, 453.

Foto: © Prof. Dr. M. Christina Cardoso

L&M 1 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 1 / 2012.
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