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Gewebeersatz aus dem Drucker

„Schwester, drucken sie schon mal einen Knorpel aus!“

Unser Körper besteht aus zahlreichen sehr unterschiedlichen Geweben und ­Organen, die jeweils einen charakteristischen makro- und mikroskopischen Aufbau aufweisen. Um diese Strukturen möglichst naturgetreu nachzubilden, benötigen wir Fertigungsprozesse, die uns hinsichtlich der Formgebung keine Grenzen setzen. Additive Fertigungsverfahren – häufig auch als „3D-Druck“ ­bezeichnet – sollen dies ermöglichen.

Biomimetischen Gewebeersatz aus patienten­eigenen Zellen, individuell zugeschnitten, einfach ausdrucken – noch klingt es wie Science Fiction. Aber Wissenschaftler glauben, dass genau das in Zukunft möglich sein wird. Und nicht nur als Implantate, sondern auch als Testsysteme werden biomimetische, das heißt die Natur nachahmende Gewebeanaloga benötigt, um beispielsweise den Effekt von Pharmazeu­tika oder chemischen Substanzen möglichst ohne Tierversuche bewerten zu können. Natürliche Gewebe erfüllen im Organismus hochkomplexe Aufgaben. Ihre Formen und Funktionen haben sich im Verlauf der Evolution immer weiter verfeinert und sind in vielerlei Hinsicht optimiert. Um Gewebe aufzubauen, die ebenso gut funktionieren wie die natürlichen, benötigen wir Herstellungsprozesse, die uns hinsichtlich der Formgebung möglichst keine Grenzen setzen.



Abb.1 Darstellung Gelatine-basierter Biotinten für den Aufbau chemisch vernetzter Hydrogele.
A: Durch chemische Modifikation werden die Eigenschaften der Gelatine kontrolliert.
B: Während unmodifizierte Gelatine bei Raumtemperatur geliert (links), werden durch die chemische Derivatisierung die Gelierkraft und die Viskosität der Gelatine-Lösungen eingestellt. So werden Biotinten mit Inkjet-druckbaren Eigenschaften (rechts) erhalten.
C: Durch eingebrachte vernetzbare Gruppen werden sta­bile Hydrogele aus Lösungen der modifizierten Gelatine erzeugt. Die Festigkeit der Gele wird unter anderem durch den Feststoffgehalt sowie den Vernetzungsgrad bestimmt.

Die richtige Technik macht’s – ­Bioprinting

Additive Verfahren bieten diesbezüglich große Flexibilität: Mit ihrer Hilfe können dreidimen­sionale Objekte, die zuvor am Computer entworfen wurden, Schicht für Schicht aufgebaut werden. Gleichzeitig benötigen wir Materialien, die den Eigenschaften biologischer Gewebe angepasst werden können. Diese sogenannten Biomaterialien müssen dann so aufbereitet werden, dass sie mittels additiver Verfahren verarbeitet werden können. Der Forschungszweig, der sich mit dem Aufbau von biologischen Strukturen mithilfe von additiven Fertigungsverfahren befasst, wird als Bioprinting bezeichnet. Die Idee dabei ist, die einzelnen Elemente, das heißt Zellen und Biomaterialien, bereits während des Aufbauprozesses in eine Anordnung zu bringen, die der eines natürlichen Gewebes ähnelt. Dabei spricht man auch von Bottom-up- oder De-novo-Aufbau. Durch die Produktion eigener extrazellulärer Matrix der Zellen und ihre Fähigkeit zur Selbstorganisierung sollen diese Basisgewebe dann zu bioartifiziellen, funktionalen Geweben reifen.

Verschiedene additive Fertigungs­verfahren mit unterschiedlichen ­Anforderungen und Potenzialen

Allen additiven Verfahren gemein ist, dass am Computer erstellte Objektgeometrien mittels ­auto­matisierter Prozesse Schicht für Schicht als reale Objekte gefertigt werden. Dabei können beispielsweise laserbasierte Prozesse zum Einsatz kommen, die schichtweise Materialien aushärten. Andere Verfahren basieren auf der dreidimensionalen Stapelung viskoser Materialien durch Extrusion feiner Filamente. Damit können Gerüststrukturen erzeugt werden, die anschließend mit Zellen besiedelt werden. Einen Schritt weiter geht der Ansatz, Zellen direkt in eine Matrix einzubringen, die der nati­ven extrazellulären Matrix der Zellen entspricht, nämlich in unterschiedlich feste, wasserhaltige Gele – sogenannte Hydrogele. Für diese Anwendung sind Verfahren erforderlich, die die Verarbeitung der wasserbasierten Materialsys­teme unter physiologischen Bedingungen erlauben, also beispielsweise bei 37°C und einem pH-Wert von 7,4. Dafür eignen sich insbeson­dere Dispensierverfahren und der Inkjet-Druck. Beim Inkjet-Druck wird eine Suspension aus Biomaterial und Zellen („Biotinte“) von einem speziellen Druckkopf über feine Düsen in Form von Tröpfchen abgegeben. Durch die Kombi­nation unterschiedlicher Matrixmaterialien und Zellen könnten damit in Zukunft ­Gewebe mit Bereichen unterschiedlicher Zelldichte und Zell­arten sowie mit spezifisch zusammengesetzter extrazellulärer Matrix erzeugt werden.



Abb.2 Über den Vernetzungsgrad (niedrig, mittel, hoch) und den Polymergehalt werden die mechanischen Eigenschaften der Hydrogele, wie beispielsweise die Quellbarkeit (links) oder die Festigkeit (rechts), eingestellt und an verschiedene native Gewebe angepasst.

Neue Materialien für das Inkjet-Bioprinting

Für den Inkjet-Druck werden dünnflüssige ­Lösungen benötigt. Bisher werden für das Ink­jet-Bioprinting insbesondere Lösungen der Biopolymere Alginat und Fibrin genutzt, da beide durch Zugabe eines Vernetzers zu Hydrogelen vernetzt werden können [1]. Allerdings sind sie nicht ideal als biofunktionale Matrix für den Aufbau von Geweben wie Haut, Gelenkknorpel oder Fettgewebe geeignet. Alginat wird aus Meeresalgen gewonnen und Fibrin bildet die Hauptkomponente von Blutgerinnseln – es ­fehlen die für die extrazelluläre Matrix spe­zifischen Ankerstellen für Zellen. Wir befassen uns am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB sowie am Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie IGVP der Universität Stuttgart daher mit der gezielten Entwicklung von geeigneten Biomaterialien für das Bioprinting. Insbeson­dere werden Materialsysteme aus Biomolekülen erforscht, die direkt aus der natürlichen extrazellulären Matrix gewonnen werden.

Die Natur als Vorbild – Biotinten aus lebenden Zellen und Biomolekülen der nativen Gewebe

Um die Funktion der Zellen zu erhalten, scheint eine möglichst naturnahe Nachbildung der nativen extrazellulären Matrix von hoher Bedeutung. Zur Darstellung von biomimetischen Hydrogelsystemen werden an den beiden Stutt­garter Instituten deshalb biologische Moleküle eingesetzt: Hydrolysiertes und damit wasserlöslich gemachtes Kollagen (Gelatine) und Glykosaminoglykane (Polysaccharide). Die besondere Herausforderung bei der Formulierung der biobasierten Biotinten besteht in der Einhaltung aller genannten Anforderungen: Sie dürfen eine Viskosität von etwa 10 mPa s nicht überschreiten, sie müssen zu stabilen Hydrogelen mit gewebeähnlichen mechanischen und biologischen Eigenschaften vernetzen und alle Komponenten müssen für Zellen ungiftig sein. Die Biomoleküle werden chemisch so modifiziert, dass die Viskosität der Biotinten kontrolliert werden können [2]. Durch zusätzlich eingeführte vernetzbare Gruppen können aus den Lösungen stabile Hydrogele erzeugt werden. Durch Variation des Vernetzungsgrades und des Feststoffgehalts kann die Festigkeit der biobasierten Hydrogele eingestellt werden – von weichem Fettgewebe bis hin zu festem Nasenknorpel [3].



Abb.3 Inkjet-Bioprinting.
A: In den Gelatine-basierten Biotinten werden lebende Säugerzellen ­suspendiert und gedruckt. Die Verwendung von Hydrogelsubstraten, die zuvor in Zellkulturmedium ­gequollen wurden (rosa Gele), verhindert das Austrocknen der gedruckten Strukturen.
B: Eine Lebend/Tot-Färbung zeigt, dass die Zellen nach erfolgtem Druck lebendig (grüne Färbung der Zellen) und zur Vermehrung fähig sind.
C: Drucker mit Mikrodispenser-Kopf und integrierter UV-Lampe.

Herausforderung – Regeneration von Gelenkknorpel

In einem Projekt zum Aufbau von künstlichen Geweben mittels Inkjet-Bioprinting wurde ein Gewebe gewählt, das beispielsweise aufgrund der fehlenden Vaskularisierung vergleichsweise einfach aufgebaut ist: der ­Gelenkknorpel. Gelenkknorpel besitzt nur eine geringe Selbstheilungs­kapazität. Knorpeldefekte, die beispielsweise durch degenerative Gelenk­erkrankungen oder traumatische Läsionen hervorgerufen wurden, sind daher nahezu irreversibel und resultieren häufig in einer fortschreitenden Zerstörung des betroffenen Gelenks. Eine vielversprechende therapeutische Behandlungsmethode ist die matrix-assoziierte autologe Chondrozytentransplantation (MACT), bei der ein geeignetes Trägermaterial mit Chondrozyten des Patienten besiedelt wird und die so erzeugten Knorpelmimetika in den Knorpeldefekt implantiert werden. Dabei zeigt sich, dass der Aufbau von Gelenkknorpel bei Weitem nicht so simpel ist, wie er auf den ersten Blick scheint. Er besitzt wie viele andere native Gewebe einen charakteristischen zonalen Aufbau. Beispielsweise steigt der Polysaccharidgehalt vom Gelenkspalt zum Knochen kontinuierlich an. Außerdem gibt es Zonen mit hoher Zelldichte sowie zellfreie Zonen. Die extrazelluläre Matrix von Gelenkknorpel besitzt außerdem herausragende mechanische Eigenschaften. So zählt Gelenkknorpel zu den festes­ten Geweben unseres Körpers, ist gleichzeitig elastisch und weist dabei einen sehr hohen Wassergehalt auf. Wie passt das zusammen? Die Antwort liegt in dem komplexen Zusammenspiel der einzelnen Matrixkomponenten. Kollagenfasern bewirken die hohe Zugfestigkeit des Gewebes, während die negativ geladenen Polysaccharide das Gewebe zu einem hoch hydratisierten Hydrogel machen und dem Knorpel so Druckfestigkeit verleihen. Um die inneren Knorpelstrukturen eines Tages möglichst naturgetreu nachbilden zu können, wird ein Baukasten biobasierter Materialien für präzise Dosierverfahren wie den Inkjet-Druck entwickelt.

Stabilisierung von Knorpelzellen – die richtige ­Matrixzusammensetzung bringt Biofunktionalität

Knorpelzellen, die aus ihrer natürlichen Umgebung, also der natürlichen extrazellulären Matrix im Knorpel, herausgenommen werden, um sie zu vermehren, verändern ihre Form (Morphologie) und Eigenschaften. Wie wir beobachteten, ändert auch die Einkapselung der expandierten Zellen in dreidimensionale Gelatine-Hydrogele daran zunächst nichts. Allerdings zeigt die Hydrogel-Zusammensetzung einen deutlichen Einfluss auf das Verhalten der Zellen. In Hydrogelen, die außer Gelatine auch Polysaccharide enthalten, wiesen die Chondrozyten eine zelltypische kugelige Morpho­logie und geringe Zellteilungsaktivität auf. Derartige Hybrid-­Hydrogele stellen demnach ein vielversprechendes 3D-System zum Aufbau von Knorpelersatzgewebe dar.

Zell-Matrix-Systeme als Biotinte für Gewebedruck

Das Baukastenprinzip der Modifizierung der Bio­moleküle aus der extrazellulären Matrix mit vernetzbaren und nicht-vernetzenden Einheiten ermöglicht es, die Eigenschaften der unvernetz­ten Lösungen und der vernetzten Hydrogele unabhängig voneinander einzustellen. Dadurch sind die Materialien einerseits zur Nachbildung von Gewebeeigenschaften geeignet und können andererseits als Biotinten mittels Inkjet-Druck verarbeitet werden [2]. Dass die entwickelten Biotinten für das Inkjet-Bioprinting mit lebenden Zellen geeignet sind, zeigten entsprechende Druckversuche mit lebenden Chondrozyten – diese nahmen eine Reise durch den Druckkanal nicht übel.

Biomimetische Biomaterialien – ein Modell für die Zukunft

Die dargestellten Materialsysteme besitzen damit drei Eigenschaften, die sie für den Aufbau funktionaler Gewebemodelle besonders qualifizieren:
- Sie basieren auf Biomolekülen der natürlichen extrazellulären Matrix.
- Sie können den mechanischen ­Eigenschaften unterschiedlicher Gewebe angepasst werden [3].
- Sie können mittels additiver digitaler Verfahren wie dem 3D-Druck zu beliebigen Strukturen verarbeitet werden [2,4]. Damit haben sie ein hohes Potenzial, in Zukunft zum Aufbau von funktionalen Gewebeersatzmaterialien beizutragen.

Literatur
[1] Malda, J. et al. (2013) Adv. Mater. 25, 5011–5028.
[2] Hoch, E. et al. (2013) J. Mater. Chem. B 3, 5675–5685.
[3] Hoch, E. et al. (2012) J. Mater. Sci. Mater. Med. 23, 2607–2617.
[4] Engelhardt, S. et al. (2011) Biofab. 3, 025003.

Bilder: © Fraunhofer IGB, Stuttgart © istockphoto.com | Artem_Egorov

Stichwörter:
bioprinting, 3D-Druck

L&M 5 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 5 / 2014.
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