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Vom Genom über das Proteom

Zum Verständnis des Lebens am Beispiel des Infektionserregers Staphylococcus aureus

Multiresistente Stämme von Staphylococcus aureus und anderen Bakterien stellen eine zunehmende Bedrohung der Menschheit dar; Ärzte, Wissenschaftler und Politiker sind sich einig: Es werden dringend neue Antibiotika, Vakzinierungsansätze sowie alternative Antiinfektionsstrategien benötigt, wenn wir nicht in die Zeit vor der Einführung der Antibiotika zurückfallen wollen. Mithilfe der neuartigen Möglichkeiten der modernen Genomforschung möchten wir zu einer umfassenden Kenntnis der Physiologie und Pathophysiologie der Staphylokokken gelangen, um sie nicht nur besser verstehen, sondern auch bekämpfen zu können. Wir forschen gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Greifswald, Münster, Tübingen und Würzburg im Sonderforschungsbereich/Transregio 34, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Erste Ergebnisse dieses hoch ambitionierten, wichtigen Vorhabens werden hier vorgestellt.

Multiresistente Bakterien – eine Bedrohung der Menschheit

Multiresistente Stämme von Staphylococcus aureus stellen eine zunehmende Bedrohung der Menschheit dar (Abb. 1). Diese gefährlichen Bakterien sind nicht nur für ein Drittel der gefürchteten Krankenhausinfektionen verantwortlich, sie können auch sonst schwere Erkrankungen wie Endokarditis oder Sepsis auslösen. Besonders problematisch: Wegen der zunehmenden und im hohen Maße besorgniserregenden Resistenz gegenüber verschiedenen Antibiotika zeigen oft nur noch wenige Medikamente die erhoffte Wirkung. Obwohl die Fachleute vor dieser Entwicklung seit geraumer Zeit nachhaltig warnen, ist immer noch keine Abhilfe in Sicht. Inzwischen kennen wir Bakterien, die durch keines der vorhandenen Antibiotika zu therapieren sind, eine Situation, die uns in erschreckender Weise an die Zeit vor der Einführung der Antibiotika erinnert. Nicht nur Fachleute, in jüngster Zeit endlich auch Politiker sind sich darin einig: Es muss dringend etwas passieren, wenn eine Katastrophe für die Menschheit verhindert werden soll. Dabei stehen neben neuen Antibiotika auch Vakzinierungsansätze sowie alternative Antiinfektionsstrategien wie eine generelle Stärkung des Immunsystems im Fokus des Interesses [1]. Eine Vision hat uns in Greifswald im Zeitalter der Genomics und Postgenomics nicht mehr losgelassen: Mithilfe der neuartigen Möglichkeiten der Genomforschung wollen wir zu einem völlig neuen und umfassenden Verständnis der Lebensprozesse pathogener Bakterien gelangen, nicht nur im Schüttelkolben im Labor, sondern auch im Infektionsprozess im Krankenhaus. Wenn wir das bakterielle Leben besser verstehen, werden wir auch lernen, die Infektionserreger wirksamer zu bekämpfen. Das war der Ausgangspunkt für den in Greifswald vor einigen Jahren gemeinsam mit Infektionsbiologen und Medizinern in Würzburg (Hacker), Tübingen (Götz und Peschel) und später auch in Münster (Peters) auf den Weg gebrachten Sonderforschungsbereich/Transregio 34 der DFG zum Thema „Pathophysiology of staphylococci in the post-genomic era“ (2006–2018). Dieser verfolgt das Ziel, durch die gezielte Anwendung des neuen Methodenarsenals der funktionellen Genomforschung, in erster Linie der Proteomics, das Leben der Pathogene, ihren Stoffwechsel, ihre Anpassung an die wachstumsbegrenzenden Faktoren, die sie im Wirt vorfinden, ihr Virulenzpotenzial, mit dem sie den Wirt versuchen zu bekämpfen, ihre Strategien, das humane Immunsystem zu umgehen und sich zu schützen, und viele andere Aspekte ihrer Pathophysiologie umfassender zu verstehen, um mit diesem neuen Wissen ausgestattet, neue Bekämpfungsstrategien abzuleiten. Das ist natürlich ein sehr ambitioniertes Vorhaben, das einen langen Atem verlangt!

Die genomische Revolution – oder Leben in seiner Gesamtheit verstehen

Wir sind gegenwärtig Zeugen einer Entwicklung, die sehr treffend mit dem Begriff „genomische Revolution“ bezeichnet wird und die zu einem Paradigmenwechsel in den Lebenswissenschaften geführt hat. Ausgangspunkt dieser neuen Entwicklung war die Publikation der ersten vollständigen Genomsequenz des Bakteriums Haemophilus influenzae im Jahre 1995. Nur sechs Jahre später folgte die humane Genomsequenz, der Öffentlichkeit vorgestellt im Weißen Haus zu Washington zum Thema „Decoding the book of life“. Das geschickt gewählte Thema verspricht die neue Dimension: Erstmalig waren die Wissenschaftler in der Lage, Leben in seiner Vollständigkeit und nicht nur Teile davon zu begreifen. Der anfänglichen Euphorie folgte jedoch bald eine gewisse Ernüchterung, denn die Genomsequenz bietet zunächst nur den Bauplan des Lebens, Lebensprozesse können noch nicht allein vom Bauplan abgeleitet werden [2]. Was mit diesem Bauplan dann passiert, wie der Bauplan des Lebens in das wirkliche Leben umgeschrieben wird, sollte auf der Ebene der „functional genomics“ entschieden werden. So befindet die Kontrolle der differenziellen Genexpression darüber, welche Gene wann und mit welcher Intensität exprimiert werden, womit jedes Protein in der benötigten Menge bereitgestellt wird, um am Ende ein komplexes, für jeden Organismus typisches Proteinnetzwerk, ein Kernstück seines Lebens aufzubauen. Ganz entscheidend ist, dass wir heute mithilfe der Multi-Omics-Techniken die Gesamtheit der Transcripte, die Vielfalt nicht codierender RNAs eingeschlossen, der Proteine oder der Metabolite in einer Zelle erfassen können. Um aus dieser Datenfülle neues Wissen abzuleiten, kommt der Bearbeitung und Aufbereitung der ungeheuren Datenmengen, die die Omics- Techniken generieren, durch Bioinformatik und Systembiologie eine Schlüsselstellung zu (Abb. 2).
Auf dem nicht einfachen, eher dornigen Weg vom Genom zum Leben gelangen insbesondere die Proteine in das Zentrum des Interesses, denn die Proteine, nicht die Gene, sind die wichtigsten Werkzeuge aller Lebensprozesse. Nur einige Hundert oder wenige Tausend verschiedene Proteine machen das Leben einfacher Bakterien aus, die mit den heutigen Proteomtechniken fast vollständig erfasst werden können. Aufgrund seiner Aminosäurefolge hat jedes dieser Proteine seine unverwechselbare Struktur und damit seine unverwechselbare Funktion und schließlich auch seinen unverwechselbaren Platz im Lebensprozess gefunden. Infolgedessen sind die einzelligen Bakterien wegen ihrer geringen Komplexität ideale Modellsysteme, um den Weg vom Genom über die Proteine zum Leben zu studieren und besser zu verstehen.
Unsere Analysen haben wir zunächst mit Bacillus subtilis, dem Modellorganismus grampositiver Bakterien begonnen [3]. Vor mehr als zehn Jahren haben wir versucht, diese Herangehensweise der physiologischen Proteomics und die damit gewonnenen Erkenntnisse auf einen verwandten pathogenen Organismus zu übertragen. Nach umfangreichen Diskussionen mit Jörg Hacker haben wir uns für S. aureus entschieden, inzwischen unser wichtigster Modellorganismus für Pathogene.


Abb.2 Von der Genomsequenz uber die Proteine zum Leben – die Genomsequenz ist nur der Bauplan des Lebens, jetzt ist die funktionelle Genomforschung gefragt, den Bauplan des Lebens in das Leben umzuschreiben. Allen voran ist die Proteomics gefragt, das "virtuelle Leben der Gene in das reale der Proteine" umzuschreiben, denn die Proteine, nicht die Gene sind die Spieler des Lebens.


Abb.3 Darstellung des Gesamtproteoms von Staphylococcus aureus A) Die wichtigsten Proteom-Subfraktionen von S. aureus. B) Ein virtuelles 2D-Proteingel: Jeder Punkt reprasentiert ein Protein. Die Lage des Proteins auf dem Gel wird bestimmt durch seine Grose und seine Ladung. C) Ubersicht uber die vorhergesagten und tatsachlich nachgewiesenen Proteine. Abdeckung des Proteoms 76 Prozent. Wenn man berucksichtigt, dass zum gemessenen Zeitpunkt nicht alle Gene exprimiert werden, ist die Abdeckung noch hoher. (mod. nach Becher et al., PloS One 4, 2009, e8176; Hecker et al., Laborwelt 15, 2014, 5)

Was kann die Proteomics zum besseren Verständnis der Pathophysiologie von S. aureus leisten?

Nach Vorlage der Genomsequenz von S. aureus waren wir in der Lage, nahezu die Gesamtheit seiner Proteine – sein Proteininventar – zu identifizieren [4, 5]. Neben bereits bekannten Proteinen wurden dabei wie bei anderen Bakterien auch solche gefunden, die noch niemals beschrieben wurden, solche mit unbekannter Funktion also. Die insgesamt fast 2.000 Proteine wurden von Dörte Becher nach verschiedenen Kriterien geordnet. Zunächst haben wir cytosolische und membranständige Proteine von solchen getrennt, die oberflächenassoziiert aus der Zelle herausragen oder die nach außen transportiert werden (Sekretom). Danach haben wir alle Proteine – soweit bekannt – Funktionseinheiten zugeordnet (Abb. 3 und 4). So konnte z. B. nahezu der gesamte Stoffwechsel, der fast die Hälfte aller Proteine beansprucht, rekonstruiert werden, nicht nur aus der etwas vagen genomischen Voraussage heraus, sondern von den realen Lebensprozessen der Bakterien abgeleitet. Daneben wurden zahlreiche Proteine den grundlegenden Funktionen des Lebens wie der Genexpression einschließlich ihrer Regulation, der Translation und Proteinqualitätskontrolle, der Signaltransduktion und vielen anderen Prozessen zugeordnet. Am Ende wurde auf der Ebene der Proteine das Leben einfacher Organismen in einer bisher kaum gekannten Vollständigkeit abgebildet. Mithilfe der quantitativen Proteomics kann man darüber hinaus auch die Investition für die eben beschriebenen Lebensprozesse berechnen und beispielsweise die Frage beantworten, wie „teuer“ der Zelle die Glykolyse oder die Translation wird (siehe Tabelle 1).
Im folgenden Schritt haben wir uns die Frage gestellt, auf welche Bedingungen das Bakterium bei einer Infektion im humanen Wirt trifft, weil die Anpassung an diese meist wachstumsbegrenzenden oder aus der Sicht des Erregers sogar lebensbedrohlichen Situationen ganz entscheidend für dessen Überleben im Wirt und damit für den ganzen Infektionsprozess ist. So haben wir im Labor die Proteine identifizieren und auch quantifizieren können, die in Beantwortung von Nährstoff-, Sauerstoff- oder Eisenhunger, oxidativen, osmotischen, Hitze- oder Säurestress und vielen anderen verstärkt synthetisiert werden. Daraus haben Stephan Fuchs und Susanne Engelmann eine Proteomsignaturbibliothek in Beantwortung infektionsrelevanter Stimuli abgeleitet. Die Signaturen sind ein wertvolles Hilfsmittel, mit dem die Physiologie und Lebensbedingungen von Bakterien abgeleitet werden können, die aus infizierten Zellkulturen oder direkt aus dem Wirt (z. B. aus der Nase) isoliert wurden [6]. Eine Signatur für oxidativen Stress (erhöhte Synthese von Katalase, Superoxidase und vielen anderen) signalisiert dem Experimentator beispielsweise, dass S. aureus es mit reaktiven Sauerstoffradikalen zu tun hat, mit denen Immunzellen Bakterien töten oder es zumindest versuchen. Diese Signaturbibliothek ist zudem ein wichtiges Hilfsmittel, um die Funktion bisher unbekannter Proteine wenigstens in erster Näherung vorauszusagen. So haben wir zahlreiche, bisher unbekannte Proteine identifizieren können, die vermutlich in die Bewältigung von Protein- oder Hitzestress, von oxidativem Stress oder von Glucose- bzw. Sauerstoffmangel einbezogen sind. Die Kinetik des gesamten Proteininventars, d.h. die Zu- oder Abnahme der Menge einzelner Proteine in Beantwortung von Hunger oder Stress konnte Jörg Bernhardt mithilfe der „Voronoi-tree maps“ sehr anschaulich und übersichtlich visualisieren, um einfache Lebensprozesse als „Tanz der Proteine“ in hoher Komplexität und Vollständigkeit abzubilden (Abb. 4).
In der Folge haben Uwe Völker und seine Mitarbeiter mithilfe dieser Kenntnisse den Lebensstil von Staphylokokken direkt im Infektionsprozess beschreiben und verfolgen können. So weisen die Bakterien, wenn sie in humane Epithel- oder Endothelzellen eindringen, eine deutliche Hemmung der Wachstumsrate und damit verbunden eine induzierte Stringent Response auf, sie zeigen eine geringe Sauerstoffkonzentration oder auch Eisenmangel an, um wenige Beispiele zu nennen, in infizierten Makrophagen treffen sie erwartungsgemäß auf oxidativen Stress. Schließlich haben Uwe Völker und Mitarbeiter mit dem alternativen Sigmafaktor der RNA-Polymerase, SigB, einen ganz entscheidenden Regulator gefunden, der für die Invasion bzw. intrazelluläre Vermehrung der Bakterien in menschlichen Epithelzellen von zentraler Bedeutung ist [7]. Das genaue Verständnis des Lebensstils des Erregers im infizierten Wirt dürfte für die Entwicklung neuer Behandlungsstrategien eine wichtige Voraussetzung sein, wenn es bis dahin auch noch ein langer, mühsamer Weg sein wird.
Von besonderer Bedeutung für pathogene Bakterien sind die mit der Zelloberfläche assoziierten sowie die extrazellulär vorliegenden Proteine. Die erste Gruppe bilden die, die nach der Infektion den ersten und direkten Kontakt mit dem Wirt und seinem Immunsystem vermitteln, etwa über die Bildung von Mikrokolonien oder Biofilmen bis zur Invasion in humane Zellen, während die sekretierten die Mehrzahl der Virulenzfaktoren beherbergen, man rechnet bei S. aureus mit deutlich mehr als 20. Für oberflächenassoziierte wie für die sekretierten Proteine haben wir in unserer Proteomdarstellung hoher Abdeckung erwartungsgemäß zahlreiche, bereits in der Literatur beschriebene wiedergefunden. Darüber hinaus haben wir viele Proteine identifiziert, die bisher noch keiner gesehen hat und die vermutlich eine zentrale Aufgabe im Infektionsprozess ausüben. Bekanntlich bilden die sekretierten Proteine das Sammelbecken für Virulenzfaktoren , mit denen der Wirt geschädigt wird (Toxine, Enterotoxine u.a.), die Nährstoffe erschließen sollen oder die die Immunabwehr des Wirtes umgehen oder torpedieren. Die genaue Funktion dieser noch unbekannten Virulenzfaktoren bei der Schädigung des Wirtes im Rahmen der verschiedenen Krankheitsbilder aufzuklären, dürfte ein umfassendes neues Verständnis des Krankheitsgeschehens zur Folge haben. Immerhin hat Susanne Engelmann bei der Analyse der Virulenzfaktoren aus definierten klinischen Isolaten von verschiedenen Patientenkohorten (Wunden, Sepsis, Osteomyelitis) zeigen können, dass nur acht Virulenzfaktoren bei allen Isolaten auftreten, während jedes Isolat über zahlreiche sekretierte Proteine verfügt, die bisher noch keiner gesehen hatte. Solche Patientenisolate sind eine Fundgrube für die Identifizierung und spätere funktionelle Charakterisierung bisher unbekannter Virulenzfaktoren im Krankheitsgeschehen [5, 8]. So hat Susanne Engelmann bereits einen neuen Virulenzfaktor identifizieren können, der vermutlich in die Umgehung der Immunanwort des Wirtes einbezogen ist.
Die umfassende Kenntnis der Virulenzfaktoren von S. aureus beflügelt auch die immunologische Forschung, denn das Immunsystem „interessiert sich“ ebenfalls für diese bakteriellen Proteine [8, 9]. So eröffnet uns Immunproteomics einen Panoramablick auf die Immunabwehr in bisher unerreichter Auflösung und Vollständigkeit (Abb. 5). Die Wirkung von Impfstoffen beruht auf der Ausbildung eines Immungedächtnisses für die Proteine der Infektionserreger, sodass wir von diesem Forschungsansatz Hinweise für die Entwicklung einer S. aureus-Vakzine erhoffen [10]. Doch hat Immunproteomics noch mehr Potenzial: Je besser wir verstehen, welchen Regeln die Kontrolle von S. aureus durch das Immunsystem folgt, desto eher können wir Phänomene erkennen, die aus dem Rahmen fallen und deshalb besonders spannend sind. Auf diese Weise haben wir entdeckt, dass S. aureus – vielleicht auch andere Bakterien? – Allergene produzieren kann, die bei Mäusen Asthma auslösen. Ob wir damit den Schlüssel zu bestimmten schweren Asthmaformen in der Hand halten, nach deren Ursache man bisher vergeblich gesucht hat, wird die weitere Forschung zeigen.


Abb.4 Die Zuordnung der Proteine von S. aureus zu Funktionseinheiten. Die Größe der jeweiligen Flächen ist ein Maß für die vorhandene Menge (nach Bernhardt et al., unveröffentlicht)


Tab.1 Investitionen und Kosten für das „einfache Leben“ von S. aureus (D. Zühlke, J. Bernhardt und S. Fuchs, unveröffentlicht)

Tanz der Proteine und das Leben – Gedanken über die infektionsbiologische Thematik hinaus

Die globalen, ausgeklügelten Mechanismen der Genexpressionskontrolle garantieren, dass jedes einzelne Protein in der benötigten Menge und zum rechten Zeitpunkt bereitgestellt wird, wie wir in einer quantitativen Modellstudie zur Beantwortung des Sauerstoffmangels durch S. aureus gezeigt haben, ein unter Infektionsbedingungen sehr häufiges Ereignis im Wirt. Dabei konnten wir bei den durch Sauerstoffmangel massiv induzierten Proteinen nicht nur solche nachweisen, die die Umstellung auf Fermentationsprozesse bewirken (z. B. Lactatdehydrogenase), sondern auch solche unbekannte Funktion, deren detailliertes Studium wichtige Aufschlüsse über bisher unbekannte Mechanismen der Anpassung an das Infektionsgeschehen bietet. Mit dieser Vorlage und Beschreibung des Proteininventars ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg vom Genom über das Proteom zum Leben zurückgelegt, Lebensprozesse einfacher Bakterien können in einer Vollständigkeit verfolgt und beschrieben werden, wie wir das vor 20 Jahren noch für undenkbar gehalten haben. Was bleibt auf diesem Wege noch zu tun, was ist der logisch folgende Schritt? Nicht der Proteinmix allein macht das Leben aus, Leben beginnt erst mit dem „geordneten Tanz der Proteine“! Die Herausforderung der kommenden Jahre wird es sein zu verstehen, wie die Lücke von der Bereitstellung des Proteininventars bis zur Zellphysiologie geschlossen wird, wie diese am Ribosom in genau abgestimmter Menge freigelassenen Proteine das eigentliche Leben organisieren. Von Bernd Bukau (Heidelberg) wissen wir, dass sie bereits während der „Geburt am Ribosom“ ihre Partner finden, sie bilden nachfolgend ein dynamisches, durch die Umweltbedingungen gesteuertes hoch sensibles und vermutlich hochgradig geordnetes Proteinnetzwerk aus, das fast alle Lebensprozesse steuert. Die fortgeschrittenen Kenntnisse über das Proteininventar machen S. aureus zu einem gefragten Modellorganismus , der über die infektionsbiologischen Themen hinaus bei der Suche nach der Antwort auf Schrödingers berühmte Frage „What is life?“ hilfreich sein könnte.


Tab.1 Auf dem Weg zum menschlichen Immunproteom von S. aureus – ein Beispiel Die sekretierten Proteine von S. aureus (Stamm 8425) wurden mittels Gelelektrophorese zweidimensional aufgetrennt und erscheinen als orangefarbene Spots. Nach Ubertragung der bakteriellen Proteine auf eine Membran wurde diese mit Serum von 16 Erwachsenen inkubiert und die Bindung von IgG-Antikorpern sichtbar gemacht (blau). Man erkennt deutlich, dass das Immunsystem auf manche Proteine stark, auf andere dagegen schwach oder gar nicht reagiert. Die Gesamtheit der bakteriellen Proteine, die eine Antikorper- oder T-Zellantwort auslosen, bezeichnet man als Immunproteom.

-> hecker@uni-greifswald.de
-> broeker@uni-greifswald.de

Literatur
[1] Akademie der Wissenschaften in Hamburg, Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Hamburg , Bd. 2, de Gruyter 2013. Antibiotika-Forschung: Probleme und Perspektiven. http://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/
2012_11_9_Antibiotika_Buch_01.pdf (accessed 16.01.2016)
[2] Kahmann, R. & Hecker, M. (2015) Biospektrum 21, 135
[3] Otto, A. et al. (2010) Nat Commun 1, 137
[4] Otto, A. et al. (2014) Int. J. Med. Microbiol. 304, 110–20
[5] Hecker, M. et al. (2010) Int J Med Microbiol 300, 76–87
[6] Fuchs, S. et al. (2013) PLoS One 8: e70669
[7] Pförtner, H. et al. (2014) Int. J. Med. Microbiol. 304, 177–87
[8] Kolata, J. et al. (2015) J. Infect. Dis.
[9] Kolata J. et al. (2011) Proteomics 11, 3914–27
[10] Bröker, B.M. et al. (2014) Int. J. Med. Microbiol. 304, 204–14

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L&M 2 / 2016

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 2 / 2016.
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