L&M-1-2009
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Chemie als nicht empirische Wissenschaft
Chemie als nicht empirische Wissenschaft
Prof. Dr. Sigrid Peyerimhoff, Universität Bonn Der prominente Philosoph Auguste Comte, Begründer des Positivismus, hat im Jahre 1838 die Chancen einer Theoretischen Chemie wie folgt eingeschätzt: „Jeder Versuch, mathematische Methoden zur Untersuchung chemischer Fragen zu benutzen, muss als völlig irrational und gegen den Geist der Chemie angesehen werden. Falls die Mathematik jemals einen prominenten Platz in der Chemie einnehmen sollte – eine Verirrung, die glücklicherweise fast unmöglich ist – würde dies zum schnellen Niedergang dieser Wissenschaft führen.“ Dies war sicherlich keine Ermutigung für eine Theoretische Chemie. Auguste Comte lag daneben: Schon zu seiner Zeit wurden die Gesetze der Thermodynamik entdeckt und in den Hauptsätzen der Thermodynamik mathematisch formuliert. Völlig offen blieb zu jener Zeit und in dieser makroskopischen Theorie allerdings, wie es die Natur anstellt, stabile Bindungen zwischen chemischen Teilchen zu knüpfen. Der Durchbruch kam hier Anfang des vorigen Jahrhunderts, als man erkannte, dass die Bausteine der Materie, also Atome und Moleküle, aus Kernen und Elektronen aufgebaut sind, die elektrische Ladungen tragen und deren Wechselwirkung mit dem Coulomb’schen Gesetz beschrieben wird. Man entdeckte auch weiterhin, dass sich diese Bausteine der Chemie nicht mit der klassischen Mechanik makroskopischer Körper beschreiben lassen, also nicht mit der Newton’schen Mechanik, wie die Bewegung der Planeten. Vielmehr ist zur Beschreibung der Moleküle, ihrer Eigenschaften und ihres Verhaltens eine modifizierte neue Mechanik, die Quantenmechanik nötig. Der Nobelpreisträger Paul Dirac stellte rund 100 Jahre nach Auguste Comte im Jahre 1929 fest: „Die grundlegenden physikalischen Gesetze zur mathematischen Behandlung großer Teile der Physik und der gesamten Chemie sind völlig bekannt. Die Schwierigkeit besteht nur darin, dass die exakte Anwendung dieser Gesetze zu Gleichungen führt, die viel zu kompliziert sind, als dass man sie lösen könnte.“ Also auch hier zunächst wieder keine Ermutigung – aber aus ganz anderem Grunde, der Komplexität des mathematischen Problems. Aber Dirac fährt fort –und dieser wichtige Teil des Zitats wird leider oft weggelassen: „Es ist daher wünschenswert, dass praktikable Näherungsmethoden zur Anwendung der Quantenmechanik entwickelt werden.“ Und genau daran arbeiten viele Theoretiker in der Chemie. Seit rund 50 Jahren sind elektronische Rechenanlagen dazu ein essentielles Hilfsmittel. Sie bemühen sich um möglichst gute Lösungen der Schrödinger Gleichung, welche die Grundlage für große Teile der Physik und die gesamte Chemie (Dirac) ist. In dieser Nanowelt ist es den Molekülen – den Grundbausteinen der Chemie – gleichgültig, ob sie in die anorganische, organische oder Biochemie eingeordnet werden, ob sie sich zu neuen Materialien zusammentun oder als pharmazeutische Produkte sich an Moleküle im menschlichen Körper andocken; ob sie giftig, umweltfreundlich, kurzlebig sind, sich im interstellaren Raum befinden oder überhaupt mit unseren experimentellen Methoden messbar sind: die prinzipielle theoretische mathematische Beschreibung der Moleküle, ihrer Eigenschaften und Reaktionen ist die gleiche. Frank Neese: Der Weg eines Biologen zur Quantenchemie Frank Neese ist nicht der „geborene“ Theoretische Chemiker. Er begann 1988 mit dem Studium der Biologie in Konstanz. Sein Interesse tendierte offenbar sehr schnell zu biochemischen Themen. Irgendwann fiel ihm ein Buch über Lichtabsorption auf der Basis der Quantenmechanik in die Hände. Das Selbststudium der Quantenmechanik war ein wesentlicher Marker auf seinem Weg. Von der Diplomarbeit in Biologie ging es noch weiter in die Biochemie und Spektroskopie. Die Dissertation 1997 wurde dann als beste Doktorarbeit im Fach Biologie der Universität Konstanz mit dem Preis der Herbert Quandt Stiftung ausgezeichnet. Nach der Promotion ging er als Postdoc 2 Jahre in die USA. Dort arbeitete er an Eisenkomplexen mit biologischer Relevanz – immer noch vorwiegend experimentell – befasste sich aber gleichzeitig immer mehr mit quantenchemischen Verfahren als komplementäre und unterstützende Methode zur experimentellen vorwiegend spektroskopischen Untersuchung von Biosystemen. Sein Weg führte ihn zurück nach Konstanz, wo er sich 2001 mit 33 Jahren habilitierte, mit einer doppelten Venia Legendi für Bioanorganische und für Theoretische Chemie. Mit dieser interdisziplinären Auszeichnung holte ihn gleich nach der Habilitation das MPI für Bioanorganische Chemie in Mülheim, wo er als Gruppenleiter 2001 bis 2006 tätig war. 2006 erhielt er zwei Rufe: einen auf den Lehrstuhl für Anorganische Chemie der Universität Heidelberg – und den anderen auf den Lehrstuhl für Theoretische Chemie in Bonn, den er annahm. Seine Konversion vom Biologiestudenten zum Professor in Theoretische Chemie war damit abgeschlossen. Dass der Quereinstieg sehr erfolgreich verlief, hat ihm auch die Vereinigung der deutschen Theoretischen Chemiker bestätigt, die seine Arbeiten bereits während seiner Zeit im Mülheimer MPI (2005) mit dem Hans G.A. Hell mann Preis ausgezeichnet hat. Was sind die herausragenden Leistungen unseres Preisträgers? Die Spur des ORCA – ein neues Programm Im nationalen und internationalen Raum ist Frank Neese bestens bekannt für seine wegweisenden Untersuchungen zur Aufklärung der katalytischen Wirkungsmechanismen von Metallionen in biologischen Systemen, also von Cu, Mn, Ni und Eisen, die wir üblicherweise als Spurenelemente kennen. Ganz speziell auch für seine theoretische magnetische Resonanzspektroskopie in Zusammenarbeit mit Experimentatoren. Die wesentliche Grundlage seiner Rechnungen und theoretischen Interpretationen ist das Programmsystem ORCA, eine eigenständige Entwicklung von Frank Neese. ORCA ist ein Programmsystem zur quantenmechanischen Berechnung von Molekülen, ihrer Eigenschaften und Wechselwirkungen, d. h. zur approximativen Lösung der Schrödinger Gleichung für chemische Probleme. Ein wahrhaft kompliziertes System von gekoppelten Gleichungen! Aber warum eine Neuentwicklung: Es gibt doch bereits etliche quantenchemische Programmsysteme auf dem Markt, die über Jahrzehnte von großen Arbeitsgruppen entwickelt worden sind. Die Antwort scheint mir ganz klar: Mit seiner „Vorbildung“ aus Biologie und Experiment interessieren ihn weniger kleine Moleküle, sondern eher Aggregate mit vielen Atomen, von denen er die „üblichen“ Eigenschaften wie Struktur, Energie, Stabilität sowie mögliche Reaktionswege möglichst genau und möglichst schnell berechnen möchte – in Stunden und Tagen, aber nicht in Wochen oder gar Monaten. Dann interessieren ihn biologische Komplexe mit Übergangsmetallen – Cu, Ni, Mn, Fe (Spurenelemente) – Systeme, in denen ungepaarte Elektronen und magnetische Wechselwirkungen eine zentrale Rolle spielen. Für die Chemie, die Frank Neese – und mit ihm viele andere Forscher – interessiert, musste also ein neues Programmsystem geschrieben werden – ORCA. Wie erreicht er diese Effizienz: Durch originelle methodische Neuerungen, die physikalisches Verständnis und souveräne Kenntnis des mathematischen Handwerkszeugs erfordern – und nicht durch den Gang zum größerem Rechner, wie es die meisten tun würden. Eine sehr große Bedeutung hat ORCA, wenn es um aufwändige und komplizierte Berechnung von wichtigen, aber „feinen“ (spin-abhängigen) Wechselwirkungen geht. Diese Eigenschaften sind mit den üblichen auf dem Markt befindlichen Programmen nicht zu bewältigen. Für die Beschreibung der bioanorganischen Komplexe, wie sie in enzymatischen Vorgängen eine Rolle spielen oder bei der Analyse magnetischer Resonanzspektren, sind diese Eigenschaften ganz zentral. Frank Neese ist ein junger Wissenschaftler von ungewöhnlicher Breite, höchstem wissenschaftlichem Niveau und exzellentem internationalen Ansehen. Wir werden sicherlich in der Zukunft noch viel von ihm hören. Quelle: gekürzte und überarbeitete Version der Laudatio anlässlich der Preisverleihung an Prof. Frank Neese |
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