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Sozialrufe und Gruppenbildung bei Fledermäusen

Sozialrufe und Gruppenbildung bei Fledermäusen

Was machst du so?

Seit jeher sind Zoologen von der Frage fasziniert, welche Mechanismen der Bildung und dem Erhalt von Sozialgruppen zu Grunde liegen. Für Untersuchungen zur Aufrechterhaltung langfristiger sozialer Beziehungen bieten sich insbesondere die Fledermäuse an, da diese in sehr kurzer Zeit lange Strecken zurücklegen können. Die Mechanismen, die es solchen mobilen Individuen ermöglichen, starke soziale Bindungen zu erhalten, sind leider noch weitgehend unbekannt. Die Fähigkeit der Fledermäuse, kontinuierlich einzelne Individuen lokalisieren zu können, ist bemerkenswert, insbesondere wenn man bedenkt, dass einige Arten jeden Tag vielen hundert anderen Fledermäusen begegnen können und dass sich viele von ihnen konstant zwischen verschiedenen Unterschlupfen bewegen, die den Hauptort für soziale Interaktionen unter Fledermäusen darstellen.

Social Networking à la Fledermaus

Unterschlüpfe oder auch Schlafplätze bieten den Fledermäusen Schutz vor schlechtem Wetter und Räubern und sind wichtige Orte für viele soziale Interaktionen wie z.B. Paarung, Säugen und Fellpflege. Deshalb ist es für Fledermäuse äußerst wichtig, nach der nächtlichen Futtersuche einen geeigneten Schlafplatz zu finden. Wenn Fledermäuse stets zum selben Schlafplatz zurückkehren, dann vergeuden sie weder Zeit noch Energie für die Suche nach neuen Unterschlupfen und gehen damit auch gewissen Risiken aus dem Weg. Zudem erhöhen die Tiere so ihre Chance, immer auf dieselben Schlafplatzpartner zu treffen. Stabile soziale Beziehungen helfen, den Austausch von Informationen zur Futtersuche sowie die Aufzucht von Jungen zu erleichtern – diejenigen Fledermäuse, die stets zum selben Schlafplatz zurückkehren, können stärkere und vorteilhaftere soziale Bindungen ausbilden.
Viele Fledermäuse suchen Schlafplätze auf, die viele Jahre genutzt werden können wie z.B. hohle Bäume, Höhlen oder Felsspalten. Vertreter dieser Arten können sich beim täglichen Aufsuchen ihres Schlafplatzes zumeist auf ihr Gedächtnis verlassen. Sie finden ihre Schlafplatzpartner, indem sie jedes Mal zu denselben Schlafplätzen zurückkehren. Einige Fledermausarten hingegen verwenden Schlafplätze, die von Natur aus nur für eine kurze Zeit genutzt werden können und müssen daher zusätzliche Strategien für den Erhalt des Kontakts zu Schlafplatzpartnern entwickeln. Zum Beispiel nächtigen zwei Gruppen von Fledermäusen, die Gelbohr-Fledermäuse und die Haftscheiben-Fledermäuse, in sich entwickelnden, zusammengerollten Blättern von Pflanzen wie Helikonien oder Bananen oder unter Blättern, die so von den Tieren bearbeitet wurden, dass sie einem Zelt ähnlich sehen. Diese Strukturen, die im Unterholz tropischer Regenwälder zu finden sind, dienen nur wenige Tage bis Wochen als Schlafplatz. Anschließend müssen sich die Fledermäuse einen neuen Schlafplatz suchen. Das bedeutet, dass Fledermäuse nicht nur konstant nach einem geeigneten Schlafplatz und Schlafplatzpartnern Ausschau halten müssen, sondern dies auch noch in einem sehr komplexen Habitat tun müssen.

Kommunikationstalent Haftscheiben-Fledermaus

Vor ein paar Jahren begann ich mich für die Haftscheiben-Fledermäuse (Thyroptera tricolor) in Costa Rica zu interessieren (Abb. 1). Ich wollte herausfinden, welche Mechanismen es diesen so mobilen Individuen ermöglichen, trotz konstanter Bewegungen zwischen verschiedenen Schlafplätzen zusammenhängende Gruppen zu bilden. Wie andere Haftscheiben-Fledermäuse auch nächtigt diese Art in sehr kurzlebigen, aufgerollten Blättern, die sich nur einen Tag lang als Unterschlupf eignen. Interessanterweise verfügt diese Fledermausart über die mit am stärksten ausgeprägten Sozialkontakte, die man von Fledermäusen kennt: Die Zusammensetzung der Gruppe kann auf mehrere Jahre hin unverändert bleiben. Für die akustische Kommunikation verfügen Fledermäusen über eine hoch entwickelte Sensorik, deshalb war die Fragestellung zunächst, ob die Haftscheiben-Fledermäuse insbesondere während der Suche nach einem Schlafplatz zur einfacheren Gruppenbildung bestimmte Sozialrufe verwenden. Die Untersuchungen begannen mit einem sehr einfachen Feldexperiment. Die einzelne Fledermaus wurde in ein sich entwickelndes, aufgerolltes Blatt einer Helikonie gesetzt und im Gebiet andere Fledermäuse freigelassen. Obwohl es weitere als Schlafplatz geeignete aufgerollte Blätter gab, suchten die meisten Fledermäuse interessanterweise das Blatt auf, in dem die Fledermaus platziert war. Um festzustellen, ob und welche Art von Lautbildungen von den Fledermäusen genutzt werden, verwendeten mein Kollege Dr. Erin Gillam von der North Dakota University und ich eine akustische Ausrüstung für die Aufnahme von hochfrequenten Rufen. Wir positionierten das an einen Computer angeschlossene Mikrofon (Abb. 2) direkt neben dem Blatt, in das wir Fledermäuse hineingesetzt hatten. Zusätzlich stellten wir drei weitere Mikrofone in der Nähe des Bereichs auf, in dem wir die fliegenden Fledermäuse frei ließen. Wie zuvor auch betraten die frei gelassenen Fledermäuse häufig das Blatt, in dem eine Fledermaus platziert war. Anhand unserer Aufzeichnungen konnten wir zeigen, dass sowohl von den umherfliegenden Fledermäusen als auch von den in den aufgerollten Blättern sitzenden Fledermäusen hochfrequente Sozialrufe ausgestoßen wurden.
In unseren Experimenten zeichneten wir zwei verschiedene Arten von Vokalisationen auf: Zu einem gab es „Anfrage“-Rufe, die nur von den umherfliegenden Fledermäusen ausgestoßen wurden, und zum anderen „Antwort“-Rufe, die nur dann von den in den Blättern sitzenden Fledermäusen ausgesandt wurden, wenn eine umherfliegende Fledermaus einen „Anfrage“-Ruf ausgesandt hatte (Abb. 3). Bei insgesamt 143 Experimenten haben wir bei 95 Gelegenheiten „Anfrage“-Rufe von fliegenden Individuen und bei 69 Gelegenheiten „Antwort“-Anrufe von Individuen aus dem Schlafplatz aufzeichnen können. Auffallend war, dass „Antwort“-Rufe nur nach dem Aussenden von „Anfrage“-Rufen von umherfliegenden Fledermäusen ausgestoßen wurden und dass viele Fledermäuse genau dann die aufgerollten Blätter betraten, wenn zuvor von den sich am Schlafplatz befindlichen Fledermäusen „Antwort“- Rufe ausgingen. Unsere Beobachtungen bestätigten, dass nach einem Schlafplatz suchende Haftscheiben-Fledermäuse Rufe aussandten, die häufig eine Antwort bei den Fledermäusen auslösten, die sich bereits in einem zusammengerollten Blatt befanden. Diese „Antwort“-Rufe wiederum bewegten die umherfliegenden Individuen dazu, den Schlafplatz zu betreten. Die „Anfrage“-Rufe scheinen zuallererst für die Lokalisierung anderer Fledermäuse verwendet zu werden, da diese Rufe umgehend nach der Freisetzung aufgezeichnet wurden und nicht mehr länger zu vernehmen waren, wenn die umherfliegenden Individuen einen Gruppenpartner lokalisiert hatten. Die „Antwort“-Rufe schienen von den sich am Schlafplatz befindlichen Individuen ausgestoßen zu werden, um ihren Standort bekannt zu geben. Sie wurden nur nach einem „Anfrage“-Ruf ausgestoßen und waren nicht mehr zu vernehmen, sobald eine umherfliegende Fledermaus einen Schlafplatz betreten hatte.
Von unseren Feldexperimenten haben wir nicht nur gelernt, dass sich Haftscheiben-Fledermäuse bei der Lokalisierung von Schlafplätzen und Schlafplatzpartnern signifikant auf die akustische Kommunikation zu verlassen scheinen, sondern auch, dass diese Spezies hierfür zwei verschiedene Arten von Signalen für den Erhalt der zusammenhängenden Gruppe verwendet, wobei jedes Signal eine andere Botschaft übermittelt. Da die Fledermäuse jedoch Gebiete bevölkern, die typischerweise auch von anderen Fledermausgruppen bewohnt werden, waren wir auch daran interessiert zu verstehen, ob die „Anfrage“- und „Antwort“-Rufe zudem Informationen bzgl. einer individuellen oder Gruppenidentität enthalten, die es Fledermäusen erlauben würden, zwischen gruppenzugehörigen und fremden Tieren zu unterscheiden. Hierfür zeichneten wir viele „Anfrage“- und „Antwort“-Anrufe von bis zu 104 individuellen Tieren aus 30 Gruppen auf und analysierten die strukturellen Variationen in diesen Rufen. Wir fanden heraus, dass die von den Fledermäusen ausgesandten Rufe einzigartige Charakteristika aufwiesen, die anderen Gruppenmitgliedern eine individuelle Identifizierung ermöglichen würden. In einem nächsten Schritt sollen Playback-Experimente die Bestätigung erbringen, dass Haftscheiben-
Fledermäuse zwischen einzelnen Individuen auf Basis von Rufinformationen unterscheiden können.

Lockrufe

Welche Rolle spielt die akustische Kommunikation bei der Lokalisierung von Schlafplätzen und Schlafplatzpartnern bei anderen Fledermausarten mit kurzlebigen Schlafplatzstrukturen? Erste Experimente deuten darauf hin, dass diese auch bei den zwei Fledermausarten Artibeus watsoni und Ectophylla alba über Sozialrufe erfolgt. Interessanterweise legen unsere vorläufigen Beobachtungen nahe, dass bei Artibeus
watsoni insbesondere dann die männlichen Tiere aktiv im Schlafplatz vokalisieren, wenn die weiblichen Tiere zur Zeltstruktur zurückkehren. Im Gegensatz hierzu scheinen bei Ectophylla alba alle Gruppenmitglieder bei der Annäherung an das Zelt zu vokalisieren. Diese Unterschiede lassen vermuten, dass in der erstgenannten Spezies die Rufe verwendet werden, um einen Geschlechtspartner anzuziehen, während die zweitgenannte Spezies diese Sozialrufe für den Zusammenhalt der Gruppe einsetzt.
Zu Beginn unserer Experimente mit Haftscheiben-Fledermäusen war die Bedeutung der Sozialrufe für den Anschluss von Gruppenmitgliedern an einen Schlafplatz relativ unbekannt. Einige Studien haben bestätigt, dass einzelne Fledermausarten bei der Nahrungssuche mit Sozial rufen in engem Kontakt bleiben. Andere Untersuchungen lassen den Schluss zu, dass die Lautkommunikation auch beim Auffinden von Schlafplätzen eine wichtige Rolle spielen könnte. Erstmals konnte nun gezeigt werden, dass Fledermäuse mithilfe spezifischer Rufe und eines aktiven Informationsaustausches Artgenossen helfen einen Schlafplatz aufzufinden. Leider ist die soziale Kommunikation ein nur wenig untersuchter Aspekt des Sozialverhaltens von Fledermäusen. In Anbetracht der wenigen dazu vorhandenen Daten wissen wir nach wie vor nicht viel über die Bedeutung der akustischen Kommunikation für den sozialen Zusammenhalt, über die Arten von in Kontaktrufen enthaltenen sozialen Informationen und über die für die Erkennung unter Gruppenmitgliedern verantwortlichen Mechanismen. Das Studium der sozialen Kommunikation bei Fledermäusen kann wichtige Erkenntnisse liefern, die uns helfen, Muster für die Bildung und den Erhalt von Gruppen dieser äußerst geselligen und interessanten Säugetiere zu verstehen.

Literatur
Chaverri G, Gillam EH, Vonhof MJ (2010) Social calls used by a leaf-roosting bat to signal location. Biology Letters 6:441- 444
Chaverri G, Gillam EH (2010) Cooperative signaling behaviour of roost location in a leaf-roosting bat. Communicative and Integrative Biology 3:1-4
Chaverri G (2010) Comparative social network analysis in a leaf-roosting bat. Behavioral Ecology and Sociobiology 64:1619-1630
Gillam EH, Chaverri G (2011) Strong individual and weaker group signatures in the contact calls of Spix‘s disk-winged bat, Thyroptera tricolor. Animal Behaviour, im Druck.

Foto: © Prof. Dr. Gloriana Chaverri

L&M 1 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 1 / 2012.
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