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Von der Laborsynthese von Fullerenderivaten C60 zur Herstellung von Arzneimitteln auf deren Grundlage

Fullerene gegen AIDS

Fullerenderivate zeigen eine antivirale Wirkung gegen HIV-Viren, indem sie die Enzyme allosterisch hemmen. Dieser Effekt macht sie zu Kandidaten für neue Medikamente gegen AIDS.

Die HIVInfektion ist eines der dramatischsten Probleme unserer Zeit. 1981 wurde erstmalig die Krankheit der erworbenen Immunschwäche (SPID, AIDS) in den USA beschrieben. 1983 konnten L.A. Montagnier et al. (Nobelpreis 2008) den, ursprünglich als LAV bezeichneten menschlichen Retrovirus (lymphoadenopathiebezogenes Virus) und dann als Immunschwächevirus bezeichneten Typ I (HIV1), Erreger von AIDS identifizieren. Seitdem starben mehrere zehn Millionen Menschen an dieser Krankheit.
Im gleichen Zeitraum (1984) beschrieben R. Kerlom, H. Kroto und R. Smolli [1] eine neue allotrope Form C60 des Kohlenstoffs, die sie wegen ihrer sphärischen Form Fulleren nannten.
Bereits in den frühen 90erJahren wurde bekannt, dass eine Reihe von Fullerenderivaten eine AntiHIVAktivität aufweisen, die mit der Hemmung des Enzyms Protease und der reversen Transkriptase des Virus begründet wurde. S.H. Friedman et al. [2] schlugen ein Inhibitormodell vor, nach dem das hydrophobe Fullerenmolekül in den ebenfalls hydrophoben Hohlraum des Enzyms eindringen kann und dadurch seine katalytischen Zentren abschirmt.
Fulleren C60 besitzt die Struktur eines abgestumpften Ikosaeders (siehe Darstellung von L. Da Vinca in Abb. 1) mit sechs Achsen fünfter Ordnung wie sie auch charakteristisch für lebende Materie ist. Die Molekülstruktur bestimmter Proteine erinnert an die Form eines Fullerens. Auch einigeViren und andere lebenswichtige biologische Systeme besitzen solche Strukturen. Interessant sind die Übereinstimmungen der geometrischen Abmessungen des Fullerenmoleküls und seiner sphärischen Clusterstruktur mit denen des DNA-Moleküls.

Potenziale für die Medizin

Fulleren C60 kann demnach als strukturelles Bindeglied zwischen organischer und anorganischer Materie angesehen werden. Es ist sowohl Molekül und gleichzeitig auch Teilchen. Sein Durchmesser beträgt etwa 1 nm, was etwa an der Grenze zwischen dem „wahren“ molekularen Zustand der Materie und von Nanosystemen liegt (Abb. 2).
Zur Gewinnung von Fullerenen wird Graphit unter reduziertem Druck in Schutzgasatmosphäre im Lichtbogen in einer He- Atmosphäre verdampft. Der entstehende Ruß enthält bis zu 15 % Fullerene. Erst dieses von W. Krätschmer und L.D. Huffman [3] im Jahr 1990 entwickelte Herstellungsverfahren ermöglichte die Forschung an Fullerenen im großen Maßstab. Inzwischen wurden Tausende von wissenschaftlichen Artikeln sowie eine Reihe von Monografien [4–7] publiziert, die sich mit den Eigenschaften, der Verwendung und der Synthese von Fullerenen und ihren Derivaten beschäftigen.
Die Idee, Fullerenderivate in der Medizin zu verwenden, basiert einerseits auf ihren lipophilen Eigenschaften, mit deren Hilfe sie die Zellmembranen passieren können, und andererseits auf ihrer Fähigkeit, Singulettsauerstoff zu binden und von der DNA fernzuhalten. Fullerenderivate besitzen zytotoxische und antivirale Eigenschaften und können als Mittel für die photodynamische Therapie von Krebs eingesetzt werden. In den letzten Jahren wurde eine große Anzahl von Studien bekannt, die zeigen, dass viele organische Fullerenderivate biologische Aktivität aufweisen und zur Herstellung von Medikamenten verwendet werden können [6 – 8].

Fullerene als Wirkstoffträger

Vor etwa 20 Jahren stellte eine Gruppe von Forschern des G.A. Rasuwajew Instituts für metallorganische Chemie RAN in Nischnii Nowgorod erstmals „russisches“ Fulleren C60 her. Damit begann an vielen wissenschaftlichen Zentren Russlands und auch bei uns die aktive Forschung an Fullerenen.Auf der Grundlage der in diesem Institut entwickelten Herstellung der Fullerene C60 und C70 wurde in der Firma „Intelfarm“ in Nischnii Nowgorod erfolgreich das Teilgebiet „Synthese und Untersuchung biochemischer Eigenschaften von organischen Fulleren-Derivaten und Produktion von pharmazeutischen Wirkstoffen auf deren Grundlage“ entwickelt.
Fullerenmoleküle sind in Wasser kaum löslich, sie können deshalb dem lebenden Organismus nur schwer zugeführt werden. Bei der Synthese wasserlöslicher Verbindungen musste zudem berücksichtigt werden, dass die Wirkung membranotroper Fullerenfragmente nicht wesentlich beeinträchtigt wird und außerdem ein freier Zugang des Medikaments zu einem beliebigen Teil eines lebenden Organismus ohne Beeinträchtigung seiner Lebensdauer gewährleistet bleibt.
Die derzeit verwendeten Verfahren zur Herstellung wasserlöslicher Fullerenverbindungen basieren auf der chemischen Modifikation von Fulleren durch die Einführung hydrophiler, lösungsvermittelnder Liganden, was bisher zu einem Gemisch aus Homologen und Isomeren führte. Die biologische Aktivität ist aber mit einer spezifischen Zusammensetzung und Struktur der funktionalisierten Fullerenderivate verbunden. Es mussten deshalb gezielte Synthesen für Produkte definierter Zusammensetzung erarbeitet werden.
In den vergangenen 10 Jahren wurden von uns Aminosäurederivate von Fullerenen C60 unterschiedlicher Zusammensetzung und Struktur durch nucleophile Addition von Aminosäuren an Fulleren untersucht. Besonders der Einfluss der Konzentration der Ausgangsreagenzien, die Beschaffenheit des Phasentransferkatalysators, sterische Faktoren sowie elektrostatische Wechselwirkungen mit ionischen Gruppen wurden bezüglich der Zusammensetzung und Struktur der entstehenden Produkte analysiert. Diese Faktoren führten zu einer technischen Synthese von Fullerenaminosäure- Verbindungen, wobei die eingesetzten Fullerene quantitativ umgesetzt wurden. Zurzeit verfügen wir über eine Produktionsbasis für die Synthese der medizinisch wirksamen Substanz „Killevir“ auf Basis von N-Fulleren-polyaminocapronsäure (Abb. 3) und N-Fulleren (Tris-aminocapronoat)- Natrium („Fullevir“) im industriellen Maßstab.

Toxizität und Pharmakokinetik der erhaltenen Präparate

Die Untersuchungen über die biochemischen Eigenschaften der Aminosäure- Fullerenderivate C60 wurden am Forschungszentrum für Toxikologie und Hygiene zur Regulierung von Biopräparaten Serpuchow, Russland, durchgeführt.

- Untersuchung der immunotoxischen Wirkung. Die Untersuchungen zur Immunotoxizität im Tierversuch sollen mögliche Nebenwirkungen bei Reaktionen des Immunsystems durch Medikamente oder ihrer Metaboliten nachweisen oder ausschließen. Es zeigte sich, dass beide Stoffe in jeder Darreichungsformen keine immunotoxischen Auswirkungen auf Säugetiere haben. Bei Versuchstieren zeigten sich keine Abweichungen der untersuchten Parameter vom Kontrollniveau.

- Untersuchung akuter und chronischer Toxizität. Diese Arbeiten wurden für die Stoffe Killevir und Fullevir und einigeihrer Darreichungsformen durchgeführt. Es wurde festgestellt, dass die Medikamente in einem weiten Konzentrationsbereich keine schädigende Wirkung auf Organe haben und auch bei längerer Anwendung sicher sind. Der LD50-Wert für das Präparat Killevir liegt bei 2000 mg/kg.

- Untersuchungen zur Pharmakokinetik. Die Versuche betreffen Untersuchungen mit Ratten und Kaninchen. Die Bestimmung der Konzentration von Killevir in Organen und Geweben wurde mit der Radioisotop-Methode durchgeführt. Dazu wurden die Wasserstoffatome im Fulleren-Polyaminocapronsäure- Molekül durch Tritium ersetzt. Das erhaltene (3H)-Killevir besaß eine Volumenaktivität von 1 mCi/ml und eine molare Radioaktivität von 600 mCi/mol. Unabhängig von der Verabreichung (intravenös oder rektal) und vom Versuchstier gelangt das Präparat in alle wichtigen Organe und Gewebe. Die Verbindung wandert sehr schnell durch den Körper und reichert sich vorwiegend in der Leber, Niere und Milz an (Abb. 4). Die Verteilung des Präparats in den Organen und Geweben der Ratte 24 Stunden nach intravenöser Injektion ist im Diagramm dargestellt.

- Die antivirale Aktivität. Von Aminosäurefullerenderivaten wurde die antivirale Aktivität im Zusammenhang mit HIV, HSV und Influenza-Viren am D.I. Iwanowski Forschungsinstitut für Virologie der Russischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (Moskau) und dem Forschungsinstitut für Influenza (Sank Petersburg) sowie am I.I. Metschnikow Institut für Impfstoffe und Seren (Moskau) untersucht.

Die Untersuchungen der antiviralen Wirkungdes Präparates Killevir wurden mit HIV-infizierten menschlichen Zellen durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass das untersuchte Präparat Fullerenpolyaminocapronsäure bei Konzentrationen von 0,5 – 5,0 mg/ml eine ausgeprägte antivirale Wirkung gegen das menschliche Immunschwächevirus Typ 1 aufweist und in diesem Konzentrationsbereich aber keine zytotoxische Wirkung auf die Zellen entfaltet. Die EC50 (50 -%ige Wirkkonzentration) des Präparats betrug 0,9 g/ml. Die Untersuchungen zur Aktivität von Killevir und Fullevir in Kombination mit dem bekannten Präparat Retrovir auf das menschliche Immunschwächevirus im menschlichen Zellkulturmodell ergab eine additive antivirale Wirkung. Dies bedeutet, dass bei kombiniertem Einsatz der Präparate eine höhere Wirkung mit geringeren Konzentrationen erzielt wird als bei ihrer Einzelanwendung. Mit unseren Untersuchungen wird die in den 90erJahren erkannte Fähigkeit von Fulleren derivaten bestä tigt, HIVEnzyme zu hemmen.

Zusammenfassung

Seit zehn Jahren bearbeiten wir das Thema Synthese von Fullerenaminosäuren und ihre r Salze. Zurzeit konzentrieren wir uns auf die Untersuchung antiviral wirkender Substanzen mit breitem Wirkspektrum auf der Basis von Fullerenderivaten. Dabei zeichnet sich nicht nur ein Erfolg im Kampf gegen HIVInfektionen ab, sondern auch gegen Herpesund InfluenzaInfektionen.

Literatur

[1] Kroto, H.W., et al., [1985] Nature, 318, 162–163.
[2] Friedman, S.H., et al., [1993] J.Am.Chem.Soc., 115, 6506–6509.
[3] Krätschmer, W., et al., [1990] Nature, 347, 354–358.
[4] Hirsch, A. & Brettreich, M., [2005] Fullerene: Chemie und Reaktionen. Weinheim: Wiley-VCH., S. 423.
[5] Taylor, R., [1999] Vorlesungsskripte zur Fullerenchemie, Imperial College Press, London.
[6] Kohlenstoff-Materialien: Chemie und Physik. V.1. Medizinische Chemie und pharmakologische Potenziale von Fuller enen und Kohlenstoff-Nanoröhren. Springer, 2008.
[7] Troschin, P.A., et al, Funktionelle Fullerenderivate: Synthese methoden und Perspektiven der Anwendung in der organischen Elektronik und Biomedizin. Verlag der Staatlichen Iwanow-Universität, 2010.
[8] Nelsen, G.D., [2008] Grundlagen und Klinische Pharmakologie und Toxikologie, 103, 197-208.

Foto: © Dr. Olga Suvorova

L&M 7 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 7 / 2012.
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