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Mechanismus zum programmierten Zelltod in Bakterien

Bakterien vergiften sich von innen heraus

Toxin-Antitoxin-Systeme (TA-Systeme) sind weit verbreitete Genelemente, die Bakterien von innen heraus töten können. Abhängig von ihrer Aktivierung haben TA-Systeme im Verlauf der bakteriellen Evolution unterschiedlichste Aufgaben übernommen. Epsilon/Zeta-Systeme bilden eine TA-Familie, die besonders in humanpathogenen Bakterien verbreitet ist. Dort stabilisieren sie zum einen wichtige Resistenzgene. Zum anderen beteiligen sie sich direkt an der Virulenz mancher Pathogene. Die Aufklärung des Mechanismus, mit dem diese Epsilon/Zeta-Systeme Zellen töten, vermag beide Phänomene nun elegant zu erklären.

Programmierter Zelltod in Bakterien

Der Begriff „programmierter Zelltod“ (PCD für programmed cell death) beschreibt jede Form von Zelluntergang, der durch einen genetisch definierten, energieabhängigen zellulären Mechanismus ausgelöst wird. In Form von Apoptose übernimmt PCD in mehrzelligen Organismen eine Vielzahl an überlebenswichtigen Funktionen. Zum Beispiel werden so überschüssige Zellen während der Embryonalentwicklung entfernt oder der Organismus durch das Abtöten mutierter oder infizierter Zellen geschützt. Funktioniert dieser altruistische Selbstmord von Zellen beispielsweise in menschlichen Zellen nicht mehr ordnungsgemäß, kann dies zu Krebs, Autoimmunerkrankungen oder chronischen Infektionskrankheiten führen. Doch während PCD in multizellulären Organismen intuitiv logisch erscheint, mutet das Auftreten vom programmierten Zelltod in einzelligen Lebewesen paradox an – warum sollte eine einzelne, autark lebensfähige Zelle sich selbst töten? Trotz dieses scheinbaren Widerspruchs ist PCD jedoch auch bei Bakterien ein weit verbreitetes, für das Überleben einer Gesamtpopulation oft wichtiges Phänomen [1]. Auf einer molekularen Ebene wird in Bakterien PCD meist durch so genannte Toxin-Antitoxin-Systeme ausgelöst. TA-Systeme sind kleine Genelemente, die sich im Laufe der Evolution mithilfe mobiler genetischer Elemente (MGE) in fast allen Bakterien verbreitet haben [2]. Typische MGE, die TA-Systeme beinhalten, sind beispielsweise konjugierende Plasmide, die oft auch über Artgrenzen hinweg zwischen Bakterien ausgetauscht werden können. Meist profitieren Bakterien von solchen Plasmiden, da sie überlebenswichtige Gene für Antibiotikaresistenzen oder zusätzliche Stoffwechselwege mit sich bringen. Um ihren Wirt energetisch nicht unnötig zu belasten, gibt Plasmide, die nur in geringer Anzahl in bakteriellen Zellen vorliegen, laufen Gefahr, während der Zellteilung nur in eine der Tochterzellen vererbt zu werden (A) Trägt ein Plasmid hingegen ein Toxin-Antitoxin-System, werden die plasmidfreien Zellen abgetötet und das Plasmid in der bakteriellen Population bleibt erhalten (B). TA-Systeme bestehen meist aus einem bicistronischen Operon, das für ein toxisches Protein (rot) und sein entsprechendes Antitoxin (blau) kodiert. In Abwesenheit des Antitoxins wird das Toxin durch Bindung durch das Antitoxin inaktiviert. Gleichzeitig unterdrücken das Antitoxin und der Toxin/Antitoxin-Komplex die Transkription des Operons. Da der Antitoxinpool aber kontinuierlich dem Abbau durch zelleigene Enzyme unterworfen ist, ist die Zelle auf die ständige Neusynthese des Gegengiftes angewiesen. Verliert die Zelle nun die Fähigkeit zur Neusynthese, beispielweise durch Verlust des TA-Operons, werden der zytosolische Toxinpool aktiviert und die bakterielle Zelle abgetötet.
oft nur wenige Kopien in bakteriellen Zellen. Während der Zellteilung besteht dabei aber die Gefahr, dass durch ungleichmäßige Verteilung der Kopien Tochterzellen ohne Plasmid entstehen. Um der damit verbundenen Gefahr der Auslöschung aus der bakteriellen Population zu entgehen, nutzen Plasmide TA-Systeme als letztes Mittel, um PCD in den plasmidfreie Zellen auszulösen. Der molekulare Hintergrund hierfür ist einfach erklärt: TA-Systeme kodieren einerseits ein toxisches Protein („Toxin“), das die Zelle von innen zu vergiften droht, andererseits aber auch das dazu passende „Antitoxin“ (Protein oder RNA), das die Vergiftung durch das Toxin auf verschiedene Wege verhindert. Mithilfe des Antitoxins kann ein Bakterium nach Aufnahme eines TA-Systems daher zunächst scheinbar unbehelligt weiterexistieren. Allerdings sind diese Antitoxinmoleküle äußerst instabil und werden immer wieder von zellulären Abbaumechanismen vernichtet. Deshalb ist die Zelle auf eine ständige Neusynthese des Gegengifts angewiesen, um nicht von den Toxinen vergiftet zu werden. Verliert nun eine Zelle ein TA-positives Plasmid, ist die Produktion des Antitoxins nicht mehr möglich. Dadurch werden in der plasmidfreien Zelle die noch im Zytosol vorhandenen Toxine freigesetzt und somit an der weiteren Ausbreitung gehindert. Neben diesem auch „plasmid addiction“ genannten Mechanismus wurden im Laufe der bakteriellen Evolution viele TA-Systeme
chromosomal integriert und mit einer Vielzahl von neuen Funktionen ausgestattet: So regeln Bakterien durch kontrollierte Toxinaktivierung beispielsweise die Zelldichte von Kulturen [3] oder lösen altruistischen Selbstmord von Zellen aus, die mit Bakteriophagen infiziert sind, um so zu verhindern, dass die gesamte Population vom Virus befallen wird [4].

Epsilon/Zeta-Systeme

Die von uns erforschte Familie der Epsilon/Zeta-TA-Systeme ist besonders in pathogenen Bakterien weit verbreitet. Epsilon/Zeta-Systeme stabilisieren beispielsweise in humanpathogenen Enterokokken Plasmide, die das Vancomycin-Resistenz-Gen vanA tragen [5,6]. Da Vancomycin eines der letzten Reserveantibiotika ist, sind Infektionen mit vancomycinresistenten Enterokokken (VRE) nur noch schwer zu behandeln und führen gerade bei immunsupprimierten Patientenhäufig zum Tod [7]. Plasmid-stabilisierende Epsilon/Zeta-Systeme funktionieren hierbei wie andere TA-Systeme: Bei Verlust des Plasmids wird das Antitoxin (Epsilon) abgebaut und die damit verbundene Inhibierung des Toxins (Zeta) aufgehoben. Neben den plasmidischen Systemen gibt es in vielen Bakterien auch chromsomal vererbte Epsilon/Zeta-Systeme. So findet man beispielsweise in den Chromsomen verschiedener hoch virulenter Stämme von Streptococcus
pneumoniae (Pneumokokken) das Epsilon/Zeta-System PezAT, mit dem Zeta-
Toxin PezT (pneumococcal epsilon/zeta-toxin) und seinem zugehörigen Antitoxin PezA (pneumococcal epsilon/zeta antitoxin). Doch obwohl PezT ebenso wie sein plasmidischer Verwandter Bakterien vergiftet, scheint das PezAT-System nicht der Erhaltung eines mobilen Genelements zu dienen. Vielmehr scheint die Funktion des Zeta-Toxins PezT die Virulenz seines Wirtsbakteriums zu verstärken: Pneumokokkenstämme ohne ein funktionelles PezT-Gen zeigen eine deutlich verlangsamte Krankheitsentwicklung in Mäusen bei pneumokokkaler Sepsis oder Lungenentzündung [8, 9]. Doch wie kann ein Toxin in der einen Spezies Plasmide stabilisieren und in einer anderen zum Virulenzfaktor werden? Der Schlüssel hierzu liegt vermutlich in der einzigartigen, bis zuletzt unbekannten Weise, mit der Zeta-Toxine bakterielle Zellen vergiften.

Vergiftung von innen

Um den bakteriotoxischen Mechanismus der Zeta-Toxin-Familie aufzuklären, erzeugten wir eine abgeschwächte Variante des pneumokokkalen Zeta-Toxins PezT und studierten ihren Expressionsphänotyp im Modellorganismus E. coli [10]. Dabei zeigte sich, dass die Expression der PezTVariante in freischwimmenden E. coli-Zellen dazu führt, dass die meisten Zellen sich nicht mehr vollständig teilen können und stattdessen an ihrer Teilungsnahtstelle, dem so genannten „Septum“, aufplatzten. Dies und weitere phänotypische Merkmale wie das Fehlen einer intakten Zellwand in adhärent wachsenden Zellen deuteten darauf hin, dass die Aktivität von PezT mit der bakteriellen Zellwandsynthese interferiert. Da Zeta-Toxine auch in eukaroytischen Zellen wie beispielsweise Hefe zytotoxisch sind [11], vermuteten wir, dass das Ziel molekül der Toxine auch in höheren Organismen vertreten sein muss. Eines der hauptverdächtigen Moleküle, die als Substrat für PezT infrage kamen, war dabei der Nukleotidzucker UNAG (UDP-N-Acetylglucosamin): UNAG ist einerseits der essenzielle Baustein für das Peptidolykan (auch Murein genannt), den Hauptbestandteil der bakteriellen Zellwand, gleichzeitig aber auch von großer Bedeutung im Stoffwechsel eukaryotischer Zellen. In der Tat konnten wir in vitro und in vivo nachweisen, dass UNAG das bisher unbekannte Zielmolekül von plasmidkodierten Zeta-Toxinen als auch PezT ist. Verschiedene Methoden wie NMR, Electrospray-Ionisation und Röntgenstrukturanalyse offenbarten, dass Zeta-Toxine neuartige Kinasen sind, die unter Verwendung von Adenosintriphosphat UNAG spezifisch an der 3\'-Hydroxylgruppe des N-Acetylglucosaminrests phosphorylieren [10]. Dies führt zur Entstehung des abnormalen Nukleotidzuckers UNAG- 3P, der nicht mehr nur für die Peptidoglykansynthese unbrauchbar ist, sondern zugleich noch deren ersten enzymatischen Schritt inhibiert. Letztendlich vergiften Zeta-Toxine also die Bakterien von innen heraus, indem sie einen essenziellen Metaboliten in ein toxisches Molekül verwandeln. Da die Peptidoglykansynthese hochkonserviert ist, erklärt der Wirkungsmechanismus von Zeta-Toxinen auch sofort, wie Epsilon/Zeta-Systeme Resistenzplasmide in verschiedenen Bakterienarten stabilisieren. Doch die Aufklärung der Wirkungsweise von PezT liefert desgleichen einen schlüssigen Erklärungsansatz, wie das Toxin die Virulenz von S. pneumoniae erhöht: Pneumokokkale Zellen haben die sonderbare Eigenschaft, unter Stressbedingungen sich selbst oder gegenseitig zum Lysieren zu bringen [12,13]. Dieses Phänomen erlaubt einerseits den Austausch von genetischem Material innerhalb der Pneumokokken, fördert aber zusätzlich die Freisetzung pneumokokkaler Virulenzfaktoren. Gerade das Endotoxin Pneumolysin schädigt den infizierten Organismus in verschiedenster Weise und trägt damit in großem Maße zu Virulenz von Pneumokokken bei [14]. Da Pneumolysin generell nur durch Lyse von Pneumokokken freigesetzt werden kann, liegt es nahe, dass die verstärkte Virulenz von PezAT-positiven S. pneumoniae-Stämmen direkt mit der Autolyse einer bakteriellen Subpopulation durch eine spezifische Aktivierung von PezT zusammenhängt.

Fazit

Die Aufklärung der Wirkungsweise von Zeta-Toxinen liefert einen wichtigen Mosaikstein für die Rolle von TA-Systemen in pathogenen Bakterien und wirft eine Vielzahl neuer und interessanter Fragestellungen auf. Kann beispielsweise der neuartige Naturstoff UNAG-3P als Grundsubstanz für neue Antibiotika verwendet werden? Kann man Zeta-Toxine künstlich aktivieren und so multiresistente Keime gezielt bekämpfen? Durch welchen Mechanismus wird das chromosomale PezAT-System während pneumokokkaler Infektionen aktiviert und führt dies tatsächlich zu einer verstärkten Freisetzung von Pneumolysin? Die Forschung zu TA-Systemen wie PezAT bleibt daher weiterhin spannend und herausfordernd.

Literatur
[1] Lewis K. (2000) Microbiol Mol Biol Rev 64, 503-514
[2] Pandey D.P. et al. (2005) Nucleic Acids Res 33, 966-976
[3] Kolodkin-Gal I. et al. (2007) Science 318, 652-655
[4] Fineran P.C. et al. (2009) Proc Natl Acad Sci U S A 106,894-899
[5] Rosvoll T.C. et al. (2010) FEMS Immunol Med Microbiol 58, 254-268
[6] Sletvold H. et al. (2008) Plasmid 60, 75-85
[7] Wendt C. et al. (1998) Dtsch Arztebl 95, A-1604–1611
[8] Brown J.S. et al. (2004) Infect Immun 72, 1587-1593
[9] Harvey R.M. et al. (2011) PLoS ONE 6, e19650
[10] Mutschler H. et al. (2011) PLoS Biol 9, e1001033
[11] Zielenkiewicz U. et al. (2009) J Bacteriol 191, 3677-3684
[12] Guiral S. et al. (2005) Proc Natl Acad Sci U S A 102,8710-8715
[13] Martner A. et al. (2008) Infect Immun 76, 4079-4087
[14] Cockeran R. et al. (2002) Curr Opin Infect Dis 15,235-239

L&M 4 / 2011

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe L&M 4 / 2011.
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